„Wir müssen das nicht alles hinnehmen”
© Katharina Schiffl
MARKETING & MEDIA Redaktion 11.06.2021

„Wir müssen das nicht alles hinnehmen”

Die foodwatch Österreich-Gründerinnen Heidi Porstner und Lisa Kernegger über Lebensmitteltäuschungen.

••• Von Daniela Prugger

Es ist um die Rechte der Konsumenten nicht gut bestellt in Österreich, sagen die beiden Leiterinnen von foodwatch Österreich, Lisa Kernegger und Heidi Porstner. Doch nur, weil die Konsumenten oft nicht wissen, was für Rechte sie haben, müssen sie Irreführungen nicht hinnehmen.


medianet: Auf Ihrer Webseite haben Sie eine Rubrik namens ‚Lebensmitteltäuschung – das regt mich auf!', unter der ver­ärgerte Konsumenten Bilder von Werbebotschaften einschicken können. Was regt Sie denn auf, wenn es um Lebensmittel geht?
Heidi Porstner: Also mich regt auf, wenn Konzerne ganz evident Profite auf Kosten der Konsumenten machen. Ganz besonders, wenn es dann auf Kosten der Kinder, sprich schwächerer Gruppen in unserer Gesellschaft, geht. Und wenn keine Einsicht besteht, dass Werbeverbote an Kinder notwendig sind, sondern dreist formuliert wird, dass man sich ja selbst aussuchen kann, was man isst.
Lisa Kernegger: Und wenn in der Packung nicht so viel drin ist, wie die Verpackung groß ist. Das ist eine unnötige Materialschlacht. Was ich auch schwierig finde, ist der Umstand, dass es so viele gezuckerte Produkte gibt. Dass Produkte, von denen man es nicht erwarten würde, Zucker enthalten.
Porstner: Der Lebensmittelmarkt ist ein gesättigter Markt und deshalb ist dieser Bereich sehr anfällig für Werbeschmähs aller Art.
Kernegger: Wichtig ist uns, dass die Verantwortung nicht auf die Konsumenten abgewälzt wird. Nicht wir sind die, die uns akribisch vorbereiten müssen, bevor wir in den Supermarkt gehen und dann vielleicht sogar noch eine Diplomarbeit darüber schrei­ben müssen, um zu verstehen, welches Produkt wirklich klimaschonend ist. Die Hersteller und der Handel sind in der Verantwortung, das alles einfacher für uns zu kommunizieren. Die Übersicht über die vielen Labels zu behalten, kann nicht unsere Aufgabe sein.
Porstner: Das Lebensmittelrecht muss einerseits gut angewendet und geprüft werden. Andererseits herrscht hier auch großer Verbesserungsbedarf. Täuschungen im Supermarkt werden kaum geahndet, und die rechtlichen Spielräume sind zu groß. Es passiert jeden Tag, dass wir Lebensmittel kaufen, von denen wir eine andere Vorstellung haben als das, was sie dann tatsächlich bieten. Und das ist unserer Einschätzung nach irreführend.

medianet:
Warum haben Sie denn beschlossen, foodwatch in Österreich aufzubauen?
Porstner: foodwatch gibt es in Deutschland, in Frankreich, den Niederlanden. Eine Kollegin sitzt auch in Brüssel. Das heißt, foodwatch gibt es noch gar nicht in so vielen Ländern. Das Lebensmittelrecht ist aber europäisch, und was auf EU-Ebene beschlossen wird, betrifft uns alle. In Österreich gab es davor eigentlich keine Organisation, die sich ausschließlich mit dem Thema Essen aus Konsumentensicht auseinandersetzt.

medianet:
Wie steht Österreich im Vergleich zu Deutschland oder Frankreich da, wenn es um diese Themen geht?
Kernegger: Das kann man gar nicht so vergleichen. Es gibt einerseits das EU-Recht, das überall gleich ist. Andererseits gibt es sehr starke nationale Unterschiede. In Österreich spielt die Herkunft der Lebensmittel eine große Rolle. Das ist in Ländern wie zum Beispiel in den Niederlanden gar nicht so das Thema. Neben den kulturellen Unterschieden gibt es aber auch Unterschiede in den Produkten – eine regelrechte Doppelmoral mancher Hersteller. foodwatch hat etwa nachgewiesen, dass Titandioxid, ein potenziell krebserregender Farbstoff, in Produkten von Dr. Oetker in Österreich nach wie vor enthalten ist, obwohl er in Deutschland aus dem Sortiment genommen wurde.

medianet:
Vor Kurzem hatten Sie ein Treffen mit Gesundheits- und Sozialminister Wolfgang Mückstein. Worum ging es bei diesem Treffen?
Kernegger: Als eines der drängendsten Themen haben wir ihm den Nutri-Score vorgestellt – eine vereinfachte Nährwertkennzeichnung in Ampelfarben. Wir haben ihm einen Korb überreicht, wo wir Produkte mit dem Nutri-Score versehen haben. In Österreich haben Hersteller noch keine Rechtssicherheit, wenn sie dieses Ampelsystem verwenden wollen. Das kann Bundesminister Mückstein leicht ändern, indem er einen Brief nach Brüssel schreibt.
Porstner: Wir haben jeweils zwei ähnliche Lebensmittel von verschiedenen Produktgruppen in den Korb gepackt und zum Beispiel zwei Packerl Frühstücks­cerealien von ein und derselben Firma miteinander verglichen. Da könnte man sich denken, die sind beide gleich. Aber sogar da gibt es eklatante Unterschiede bezüglich der Nährwerte.

medianet:
Der Nutri-Score sagt also nicht unbedingt aus, ob ein Produkt gesund ist?
Porstner: Er sagt aus, welches Produkt in einer Produktgruppe das ausgewogenere ist. Leider sind auf der Verpackung von Produkten nur wenige Hauptnährstoffe verpflichtend anzugeben, nämlich der Energiewert, Kohlenhydrate, Zucker, der Fettgehalt und die gesättigten Fettsäuren, Proteine und Salz. Der Nutri-Score sieht sich zusätzlich an, ob Ballaststoffe enthalten sind, und wie hoch der Anteil an Obst und Gemüse in dem Lebensmittel ist.

medianet:
Was hat sich denn in Ländern, wo der Nutri-Score implementiert wurde, verändert?
Kernegger: Zum Beispiel, dass Hersteller ihre Rezeptur ändern. Das heißt, das System führt auch dazu, dass die Rezeptur in manchen Fällen ausgewogener wird. In französischen und deutschen Supermärkten findet man mittlerweile viele Produkte, die den Nutri-Score verwenden; in Deutschland haben Supermärkte angefangen, die Eigenmarken zu labeln.

medianet:
Ein weiteres Thema, auf das foodwatch gerade viel Wert legt, ist die Debatte rund um die ‚Junkfluencer'. Was ist denn damit gemeint?
Porstner: Wir haben uns angeschaut, wie Influencer auf YouTube, Instagram, Facebook und TikTok Lebensmittel bewerben. Wir sind daraufgekommen, dass dabei sehr oft ungesunde Lebensmittel beworben werden, und dass sich die Werbung oft an Kinder richtet. Zum Teil sind die Beiträge als Werbung gekennzeichnet. Dann gibt es aber ganz viele Zwischenstufen, die nicht so klar definiert sind. Manchmal schwärmen die Influencer von Schokolade, die sie gerade probieren. Und die Community wird aufgefordert, ein ‚Naschgesicht' zu posten …
Kernegger: Lediglich extreme Formen des Kindermarketings sind gemäß dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb unzulässig – beispielsweise eine direkte Aufforderung an Kinder, die beworbenen Produkte zu kaufen oder ihre Eltern oder andere Erwachsene zu überreden, die beworbenen Produkte für sie zu kaufen. Das gilt auch für den Online-Bereich. Rechtlich sind den Unternehmen wenig Grenzen gesetzt, wenn sie mit Influencern Lebensmittel an Minderjährige bewerben wollen. Solange diese Regeln eingehalten werden, können Lebensmittelkonzerne ihre Produkte praktisch ungehindert an Kinder und Jugendliche vermarkten.
Porstner: Unser Kritikpunkt ist, dass es derzeit keine verpflichtenden einheitlichen Beschränkungen für Werbung mit ungesunden Lebensmitteln gibt. Die einzige Möglichkeit, wie man Werbung so gestalten kann, dass nur ausgewogene Lebensmittel an Kinder beworben werden, ist ein verpflichtendes Nährwert-Profil. Alles, was dem nicht entspricht, soll einfach nicht beworben werden. Der Geschmack von Kindern wird früh geprägt; sie sind deshalb für die Lebensmittelhersteller eine wichtige Zielgruppe. Wir haben allerdings in Österreich ein massives Problem mit dem Übergewicht.


medianet: Wie funktionieren die Kooperationen zwischen Herstellern und Influencern?
Kernegger: Influencer sind Idole für Kinder und deshalb bieten sie für Hersteller die idealen Werbeumfelder. Manche Influencer haben einen Vertrag mit einem Konzern, der dann den Vorteil hat, dass Influencer ihre Zielgruppe sehr gut kennen. Für die Werbetreibenden ist das natürlich ein Traum. Über kein klassisches Medium kriegt man derartig exakt Auskunft über die Konsumenten – man sieht sofort die Response in den Kommentaren und Likes. Aber aus Sicht des Schutzes von Kindern ist das furchtbar …
Porstner: Manche Konzerne sagen, dass sie ungesunde Produkte nicht an Kinder unter zwölf Jahren bewerben. Aber auch Kids unter zwölf sind online. Doch Kinder können noch nicht oder nur schwer erkennen, dass Werbung darauf abzielt, ihr Konsumverhalten zu beeinflussen. Selbst Kinder von elf oder zwölf Jahren erkennen die Werbetaktiken zur Beeinflussung oft nicht.

Wir haben uns unter anderem ein Influencer-Pärchen angeschaut – Viktoria und Sarina aus Österreich. Deren Zielgruppe sind eindeutig Mädchen zwischen acht und vierzehn Jahren. In den Beiträgen kommen Einhörner und Haustiere vor, dann wird gebastelt. Und dann wird gebacken und dabei zum Beispiel roh essbarer Keksteig zum Löffeln beworben, den die Influencer selber kreiert haben. Was wir hier sehen, ist eine Art Symbiose zwischen den Unternehmen und den Influencern.

Kernegger: Die Lebensmittelindustrie agiert mit Online-Marketing an der elterlichen Aufsicht vorbei. Sie gelangt direkt ins Kinderzimmer und auf die Handys von Kindern und Jugendlichen. Wirksame Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel fehlen aus unserer Sicht bis dato. Aber von den Unternehmen, die sich nach unserem Junkfluencer-Report bei uns gemeldet haben, war der Tenor oft, dass man an die Eigenverantwortung appelliert. Das ist so hanebüchen. Kein Unternehmen nimmt so viel Geld für Werbung in die Hand, wenn es nicht davon ausgeht, dass sie wirkt. Hier gibt es einen falschen Anreiz des Marktes, weil die ungesunden Produkte eine höhere Marge haben. Die Selbstregulierungen in der Lebensmittel- und Werbeindustrie funktionieren einfach nicht.
Porstner: Am 31. Mai hat die Nationale Ernährungskommission ein ‚Österreichisches Nährwertprofil zur Lenkung von Lebensmittelwerbung an Kinder' beschlossen. Das ist zumindest ein erster Schritt, dass es jetzt Orientierung für eine Werbebeschränkung gibt. Das Problem: Das Nährwertprofil ist leider nicht gesetzlich verpflichtend. Trotzdem haben die Werbewirtschaft und die Lebensmittelindustrie schon im Vorfeld heftige Kritik geübt.

Lesen Sie dazu auch das Interview mit Walter Zinggl, Präsident IAA Austrian Chapter, und Irene Sagmeister, CEO We Love\TBWA, ab Seite 10 dieser ­Ausgabe.

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