Gastkommentar ••• Von Bardia Monshi
Wenn man Expats, also Menschen, die berufsbezogen ihr Heimatland verlassen haben, befragt, schneidet Wien hinsichtlich Freundlichkeit und der Leichtigkeit, Freundinnen und Freunde zu finden, schlecht ab. Als „echter Wiener” stört das nicht, man ist vielleicht sogar ein bisserl stolz auf diese Grantigkeit.
Aber wussten Sie auch, dass Kopenhagen und Berlin ähnlich schlecht bei Expats abschneiden? Woran liegt das? Ist es auch dort die „zwidere Raunzerkultur”?
Rahmenbedingungen zählen
Psychologisch betrachtet, machen wir einen häufigen Denkfehler: Wir überschätzen die Rolle der Persönlichkeit und unterschätzen die Bedeutung von Rahmenbedingungen. Wir schieben unter anderem Verhalten gerne den Menschen in die Schuhe und vergessen, in welcher Situation sie stecken. Blicken wir also etwas auf die Rahmenbedingungen in diesen Städten.
Berlin, Kopenhagen und Wien – wunderbare Kultur, großartige Lebensqualität. Die Rahmenbedingungen sind top. Das heißt aber leider noch lange nicht, dass die Bewohner dieser Städte ein entspanntes Leben führen.
Der für seine pfiffigen Studien bekannte Psychologe Richard Wiseman hat weltweit untersucht, wie schnell Menschen durchschnittlich in Städten gehen. Die geheime Messung der Gehgeschwindigkeit von Passanten ist ein Indikator für das Lebenstempo und das „Gehetzt-sein”.
Und jetzt raten Sie mal: Wien, Kopenhagen und Berlin gehören zu den Top Ten-Städten im weltweiten Vergleich der Geh-Geschwindigkeit.
Wir sind vermutlich gar nicht unfreundlich von Natur aus. Vielleicht haben wir unter anderem einfach zu viel Stress. Zu viel Hetze und „z’wenig Hetz”.
Immer in Eile, ist es schwierig noch auf andere zu schauen. Wer zur U-Bahn laufen muss, hilft zu selten dem Elternteil mit dem Kinderwagen über die Stufen.
Andere besser verstehen
Und gerade weil wir leben, wo wir leben und die Bedingungen so sind wie sie sind, ist es so wichtig, dass wir uns immer wieder an der Nase nehmen, dem Grant zu widerstehen und Menschen mit Offenheit zu begegnen, anstatt voreilig und unfreundlich zu urteilen.
Eine aktuelle Kampagne von Milka mit dem Slogan „#zartstattzwider” zeigt es schön vor, wie wichtig und hilfreich es ist, sich von seiner zarten Seite zu zeigen und gar nicht so zwider zu reagieren, wie das Gegenüber es vielleicht manchmal erwarten würde. Herzstück der neuen Kampagne, die im Jänner angelaufen ist, sind Spots mit ganz unterschiedlichen Protagonisten. Was passiert, wenn ein grantelnder Wiener Hausmeister und ein jugendlicher Kicker im Hof aufeinandertreffen? Man hat diese Szene gleich im Kopf. Doch der Spot nimmt eine überraschend positive Wendung. Einfach mal reinschauen und sich inspirieren lassen.
Dinge ergründen
Eile und der Stress machen unentspannt. Es ist ein Teufelskreis. Je mehr Stress, desto leichter kippen wir in negative Emotionen, desto leichter fühlen wir uns gestört und je mehr wir erkennen, was alles nicht passt, desto eher fühlen wir uns alleingelassen, werden ängstlicher, grantiger und ziehen uns zurück.
Manchmal kann es hier helfen, sich dem Zwider-Sein zu stellen, sich vielleicht sogar dafür zu interessieren, was der Grund dafür sein mag. Oder sich zu überlegen, welcher meiner Werte jetzt vielleicht verletzt wurde. So lernt man, was einem wichtig ist.
Zart können wir leichter sein, wenn wir beginnen, aufeinander zuzugehen, und anerkennen, dass die Rahmenbedingungen eine Auswirkung auf uns Menschen haben. Blicken wir mehr auf die schwierige Situation, in der die Menschen stecken, so fördert dies das Mitgefühl. Ein guter Start! Laden wir Menschen dazu ein, für ein paar Sekunden innezuhalten und einander eben „zart statt zwider” zu begegnen.
Ein „Engelskreislauf”
Die gute Nachricht ist, wenn das gelingt, dann beginnt ein „Engelskreislauf”: Das Innehalten und Genießen macht uns wahrnehmungsfähig für Details und wir beginnen zu entspannen und einander von Herz zu Herz zu begegnen.
Wir finden in diesen Momenten leichter in positive Emotionen. Je mehr positive Emotionen wir aufladen, desto leichter nehmen wir wahr, wen und was wir lieben, und sind so viel näher an den Dingen, die uns wirklich am Herzen liegen.
Das ist wichtig, weil je mehr wir uns verbunden fühlen, desto zukunftsmutiger werden wir und wagen uns neugierig und weniger besorgt in die Welt hinaus.
Potenzielle Alltagszwistigkeiten bekommen ein Happy End, so wie es in den Milka-Spots gezeigt wird. Wir können den Menschen mit mehr „Zartheit” begegnen. Wir können offen aufeinander zugehen, Gemeinsamkeiten entdecken, statt uns von vermeintlichen Unterschieden abschrecken zu lassen.
Bardia Monshi ist Psychologe, Gründer und Geschäftsführer des Instituts für Vitalpsychologie, Trainer, Speaker und Coach.