Europas Zulieferindustrie gerät ins Hintertreffen
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Im vergangenen Jahr lag der Weltmarktanteil der europäischen Autozulieferer bei nur noch 14 Prozent.
MOBILITY BUSINESS Redaktion 05.09.2025

Europas Zulieferindustrie gerät ins Hintertreffen

Aktuelle Strategy&-Studie zeigt: Absatzschwäche bei den Herstellern, technologische Rückstände und wachsender Druck durch chinesische Konkurrenten setzen europäische Zulieferer massiv unter Druck.

WIEN. Die europäische Automobilbranche steckt in der Krise und mit ihr das Rückgrat der Industrie: die Zulieferer. Das zeigt die aktuelle „Automobilzuliefer-Studie“ von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC. Demnach blieb der Umsatz der zehn größten Automobilhersteller der Welt 2024 mit rund 1,8 Bio. Euro gegenüber dem Vorjahr nahezu unverändert. Unter Berücksichtigung der Inflation und gestiegener Produktionskosten ergibt sich sogar ein Rückgang um 0,6 Prozent.

Dabei spüren insbesondere europäische Zulieferer die Absatzschwäche ihrer Kernkunden deutlich: Seit 2019 haben die zwei größten europäischen Automobilhersteller bis zu 30 Prozent ihres Produktionsvolumens eingebüßt. Das entspricht in Summe etwa 4,3 Mio. Fahrzeugen – und damit einem erheblichen Verlust an potenziellen Zulieferumsätzen. Immerhin konnten die 100 größten Zulieferer ihren Umsatz trotzdem noch um 1,2 Prozent steigern – von 1,14 Bio. Euro im Jahr 2023 auf 1,15 Bio. Euro im Jahr 2024. Doch dieses Wachstum geht vor allem auf chinesische Anbieter zurück. So lag der Weltmarktanteil europäischer Zulieferer 2024 bei 13 Prozent und sank damit auf ein historisches Tief (2015: 14 Prozent; 2005: 16 Prozent). Auch der Weltmarktanteil deutscher Zulieferer reduzierte sich auf 23 Prozent und erreichte damit nur noch das Niveau von 2005. Chinesische Zulieferer dagegen konnten ihren Anteil im gleichen Zeitraum aus dem Stand auf 12 Prozent steigern. Das bedeutet: Der Markt wird nicht signifikant größer, aber immer mehr Zulieferer wollen daran teilhaben, vor allem aus China. 

Zulieferer aus China sind der Studie zufolge nicht nur schneller, sondern auch strategisch besser aufgestellt. Sie nutzen ihren großen Heimatmarkt als Sprungbrett in den globalen Wettbewerb und investieren gezielt in Zukunftstechnologien wie Batterien, Software und Fahrzeugelektronik. Inzwischen zählen acht chinesische Zulieferer zu den Top-100 weltweit. 

Europäische Zulieferer geraten dagegen zunehmend ins Hintertreffen: Neben rückläufigen Absatzmengen und steigendem Wettbewerbsdruck kommt der Druck hinzu, Innovationen rasch zur Marktreife zu bringen. Denn in Schlüsseltechnologien wie Batterie und Software haben chinesische Hersteller laut Studie teils einen Preis- und Technologievorsprung von bis zu 50 Prozent gegenüber westlichen Wettbewerbern. Besonders mittelständische Anbieter leiden unter ihrer engen Spezialisierung, die in der Ära der Elektromobilität oft an Relevanz verliert. Zusätzlich verschärfen sich die Finanzierungsbedingungen. Das Ergebnis: Der Nachholbedarf im Vergleich zur asiatischen Konkurrenz wächst – technologisch, strukturell und finanziell. 

„Die europäische Zulieferindustrie, vor allem in Österreich und Deutschland, steht vor enormen Herausforderungen. Aber sie ist nicht zum ersten Mal in einer solchen Lage“, sagt Henning Rennert, Studienautor und Partner bei Strategy& Deutschland. „Bereits in den 1990er-Jahren zwang eine tiefgreifende Strukturkrise die Branche zum radikalen Wandel. Damals drängten südkoreanische Wettbewerber mit massiven Kostenvorteilen auf den Weltmarkt und deutsche Volumenautomobilhersteller gerieten in existenzielle Schwierigkeiten. Als Antwort auf die angespannte Situation wurde die Arbeitsteilung in der Industrie grundlegend neu gedacht: Es entstanden neue Geschäftsmodelle wie der Systemlieferant, ganze Unternehmensbereiche wurden ausgelagert, fusioniert oder geschlossen – und viele Zulieferer fanden so zurück zu Stärke und globaler Wettbewerbsfähigkeit. Heute stehen wir erneut an einem solchen Wendepunkt. Der Druck ist hoch. Aber die Branche hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie Krisen nicht nur bewältigen, sondern an ihnen wachsen kann.“

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