••• Von Dinko Fejzuli
Gut 700 Sondersendungen, Rekord-Einschaltquoten, so viel Informationssendungen wie noch nie, aber auch Corona-bedingt völlig neue Arbeitsweisen, Hunderte Mitarbeiter in Kurzarbeit und ein durch Stornos von Werbekunden ausgelöster Mindererlös von gut 35 Mio. Euro sind die von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz bei einem sommerlichen Hintergrundgespräch mit Journalisten zusammengefassten Auswirkungen der aktuellen Coronakrise auf den ORF.
Quoten in Rekordhöhen
Aber zunächst einmal das Positive: Vor allem auf die Quoten hat sich Corona beim ORF vorteilhaft ausgewirkt. „Mit steigenden Ansteckungszahlen stiegen auch die Zuseherzahlen”, so Wrabetz – für ihn ein Zeichen dafür, dass, wenn es wichtig wird, die Menschen vor allem dem ORF vertrauen würden.
Und so schalteten am 15. März, dem Tag vor dem Lockdown und als Kanzler Sebastian Kurz die Coronamaßnahmen verkündete, gut 2,9 Mio. Menschen die „ZiB” ein, der höchste je seit Einführung des Teletest gemessene Wert. Und insgesamt war dieser Tag ein historischer, denn da konnte der ORF eine Gesamtreichweite von 5,4 Mio. Zuseherinnen und Zusehern auf seine Programme vereinen.
Nicht nur, aber vor allem das Informationsangebot des ORF erfreute sich großer Beliebtheit beim Publikum. Die „ZiB” um 19:30 wurde in der quasi Hoch-Corona-Phase auf fast 30 min verlängert und das im Jahr 2007 eingeführte Ende der Durchschaltung der Sendung auf ORF eins und ORF 2 wurde wieder eingeführt – zunächst vorübergehend, aber wie Wrabetz ankündigte, wird die Doppelprogrammierung wohl dauerhaft bleiben.
Generell soll die „ZiB” auch künftig „nachhaltig über 17 Minuten bleiben”, also länger werden.
Und was soll programmlich abseits der „ZiB” passieren? Hier wünscht sich Wrabetz bei etwaigen Sendungen einen „augenzwinkernden” Zugang, wie ihn etwa Hanno Settele bei diversen Formaten vorgelebt hätte. Generell sollen aber Dinge, „die gut funktionieren, gestärkt werden”.
Gewisse Dinge „nachschärfen”
Nachschärfungen soll es bei der Peter Klien-Sendung „Gute Nacht Österreich” geben und die „Seitenblicke” sollen so schnell es geht wieder auf Sendung gehen.
Nachhaltige Auswirkungen hatte Corona auch absagebedingt auf die Sportberichterstattung des ORF; hier seien aber wenigstens die Sport-Großereignisse nicht abgesagt, sondern auf 2021 verschoben worden.
„Im Sommer wird uns nicht fad werden”, fasst Wrabetz einige der Vorhaben schmunzelnd zusammen.
Erfreulich sieht Wrabetz naturgemäß den Erwerb der Euroleague-Rechte, wobei künftig von der Linie, der ORF müsse nach Möglichkeit alle Sportrechte haben, abgegangen werde. Dies sei natürlich der finanzielle Situation des ORF geschuldet, aber habe auch etwas mit einem „gedeihlichen Zusammenkommen mit den Privaten” zu tun, so Wrabetz.
Ebenfalls starke Ausfälle gab es in den letzen Wochen bei den Filmproduktionen; hier werde man aber das Versprechen, heuer 100 Mio. Euro Auftragsvolumen in die Filmwirtschaft zu investieren, halten. Zusätzliche Kosten (hier spricht Wrabetz von drei bis fünf Mio. Euro) werde es durch die gesteigerten Sicherheitsmaßnahmen bei den Drehs geben.
Generell bezeichnet Wrabetz die aktuelle finanzielle Situation des ORF als „stabiler als befürchtet”. Was der Herbst bringe, wisse natürlich niemand. „Der Juni ist besser gelaufen als gedacht, aber wir bleiben vorsichtig”, so der ORF-Chef.
Ein Verlust wird dem ORF aber nicht erspart bleiben; dabei geht Wrabetz von einem Minus von 75 Mio. aus, das sich durch Dinge wie die Mindereinnahmen etwa bei Werbung, die sinkenden GIS-Erlöse, gestiegene Sicherheitskosten und Mehr kosten für die Filmwirtschaft erklärt. Operativ werde man bei einem Verlust von rund 30 Mio. Euro zu liegen kommen. „Wenn alles halbwegs normal geht”, fasse man ein EGT von minus 13 Mio. Euro ins Auge, so Wrabetz.
Ziel: 2021 ca. 75 Mio. einsparen
Durch die gute wirtschaftliche Lage im Jahr 2019 werde man sich die Verluste heuer leisten können, aber: „2021 müssen wir, außer alles bricht zusammen, wieder in die schwarzen Zahlen kommen und das ist eine große Herausforderung, denn die genannten 75 Mio. Euro müssen wir dann einsparen”, so Wrabetz.
Und dies gehe nur über eine Verminderung der Sach-, aber eben auch der Personalkosten, womit Wrabetz über die bisher schon geplante Personalreduktion um 300 Mitarbeiter bis Ende 2021 einen zusätzlichen Mitarbeiterabbau nicht ausschließen könne.
Ein weiteres, auch die gesamte Branche betreffendes, Thema ist der sogenannte ORF-Player, der am Ende vermutlich doch kein Player für alle sein werde.
Wrabetz dazu: „Ich glaube, man ist von der Idee abgekommen, dass da alle einen gemeinsamen Player machen sollen. Im Prinzip soll es ein ORF-Player sein, der Andockmöglichkeiten bietet.” Wie genau, das werde in den nächsten Monaten geklärt.
Der Player: wichtiges Thema
„Ich sehe die Möglichkeit zum Beispiel bei einem gemeinsamen LogIn, wo dann bestimmte Inhalte gemeinsam geschaltet werden können”, so Wrabetz.
Neben dem Player war auch eine gemeinsame Vermarktungsplattform des Inventars von ORF und den Privaten in den letzten Monaten immer wieder ein Thema. Hier meint Wrabetz: „Ganz aufgegeben habe ich die Idee des Marketplace nicht. Vielleicht wäre es doch gescheiter, wenn der ORF hier teilnehmen kann, auch um mit seiner Schubkraft der Sache mehr Bedeutung zu verleihen.”
Apropos Inventar: Der Idee, das ORF-Archiv auch für die Privaten zu öffnen, kann Wrabetz auch künftig vermutlich nichts abgewinnen. Er könne sich zwar „viel vorstellen”, aber die ORF-Inhalte zur kommerziellen Nutzung an Private abzugeben, gehöre nicht dazu. „Insbesondere, wenn es sich um Inhalte handelt, die der ORF dringend für die eigenen Ausstrahlungen braucht.”
Witzige Frauen gesucht
Abseits der Corona-bedingten Umstände hat sich in den letzten Tagen für den ORF eine neue Front aufgetan, an der er sich mit Kritik seitens der Künstler- und vor allem der Künstlerinnenszene konfrontiert sieht.
Nach den Jahren 2017, 2018 und 2019 sah es zunächst so aus, als sei auch heuer im „ORF-Sommerkabarett” keine einzige Frau dabei. Dies rief nicht nur die Kabarett-Kolleginnen, sondern auch die Politik auf den Plan.
Neos-Mandatarin Henrike Brandstötter twitterte etwa: „Die Programmierung des ‚ORF-Sommerkabaretts' ist ein Witz. Frauen sind zwar auch 2020 gut, aber leider wieder mal aus. Im ‚Sommerkabarett' bekommen nämlich ausschließlich männliche Kabarettisten Sendezeit.”
Hier verspricht der ORF nun Nachbesserungen und es würden zwei Kabarettistinnen nachnominiert; Wrabetz dazu im Sommergespräch: „Wir lassen uns nicht nachsagen, dass es hier keine lustigen Frauen gibt.”
Apropos Diversity: Durch die Durchschaltung der „Zeit im Bild” ist mit Eser Akbaba, die auf ORF eins das Wetter um diese Zeit moderierte, eines der wenigen bekannten TV-Gesichter mit Migrationshintergrund vom Schirm verschwunden.
Auch hier verspricht Wrabetz eine Lösung, bei der Akbaba wieder auf den Schirm zurückkehren würde, und diese Lösung würde man in den nächsten Wochen bekannt geben.
Was bleibt nach Corona
Angesprochen darauf, was für Schlüsse man aus der Corona-Zeit ziehen könne, und wie es künftig weitergehen werde, spricht Wrabetz gleich von mehreren Dingen: „Zum einen kann man als Lehre aus Corona sagen, dass ein starker öffentlich rechtlicher Sender für die Gesellschaft eine große Bedeutung hat, und zwar über die Information hinaus.”
Auch sei die hohe Nutzung beeindruckend gewesen, auch wenn man wisse, dass diese nun auch wegen der Normalisierung der Lage zurückgehen werde, aber: „Es ist davon auszugehen, dass in einer ähnlichen Krise, die eventuell kommt, die digitale Nutzung noch viel größer sein wird, und so müssen wir die Taktzahl bei unserer Digitalstrategie oder beim Thema ORF-Player erhöhen.”
Beim besagten Player sei man „ganz gut unterwegs”, aber, so Wrabetz, es müsse sich quasi auch politisch die Schlagzahl erhöhen, damit die rechtlichen Rahmenbedingungen, die notwendig für einen erfolgreichen ORF-Player seien, rascher entstünden.
Und einen Blick auf das große Ganze werfend, gehe es nun um die ORF-Strategie 2021 bis 2025, die bis Ende 2020 stehen wird.
Wie sieht das Produkt aus?
Dabei werde es vor allem um zwei Fragen gehen: Wie wird man künftig arbeiten und wie wird das Produkt aussehen? Antworten auf diese zwei Fragen möchte Wrabetz in Zusammenarbeit mit den Führungs- beziehungsweise den Aufsichtsgremien des ORF im Herbst besprechen, damit es dann im Dezember vom Stiftungsrat auch beschlossen werden kann.