„Überzeugungen, nicht Inhalte werden gewählt”
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PRIMENEWS Dinko Fejzuli 27.10.2017

„Überzeugungen, nicht Inhalte werden gewählt”

Kampagnen-Experte Philipp Maderthaner (r.) bereitete akribisch den jetzigen Erfolg von Sebastian Kurz vor.

••• Von Dinko Fejzuli

Mobilisierung ist sein Kerngeschäft und das Wahlkämpfen habe er in der Niederösterreichischen ÖVP unter Erwin Pröll gelernt, so die Presse in einem Porträt über Philipp Maderthaner, dem Kampagnen-Mastermind hinter dem Wahlerfolg von ­Sebastian Kurz. Bereits 2009 werkte der 36jährige Niederösterreicher unter Josef Pröll als Marketing- und Kommunikationschef der Bundes-ÖVP, wo er auch den künftigen Bundeskanzler Kurz kennenlernte.

Maderthaner blieb nicht bei der Partei, sondern machte sich mit seinem Campaigning Bureau selbstständig. Seine Agentur hat mittlerweile 30 Mitarbeiter, und wer die Website besucht, kann gleich lesen,worum es geht: „Wir mobilisieren Menschen. Mit Leidenschaft”, so ein Slogan. Auf Maderthaners Know-how haben bereits u.a. Austrian Airlines, ÖBB, Ö3 und eben auch Sebastian Kurz zurückgegriffen.
medianet bat Maderthaner um einige Antworten zu jener Kampagne, die letztendlich Sebastian Kurz zum großen Wahlsieger des 15. Oktober 2017 werden ließ.


medianet:
Herr Maderthaner, Sebastian Kurz hat einen für viele unerwarteten Sieg eingefahren. Was, glauben Sie, war ausschlaggebend für diesen ­Erfolg?
Philipp Maderthaner: Vor allem anderen war Sebastian Kurz sicherlich ein Kandidat, der für echte Veränderung und einen neuen Stil in der Politik stand. Er hat sich über all die Jahre nicht verbogen und seine Linie durchgezogen; da hatte die Kampagne an sich eigentlich nur den Job, das in den Vordergrund zu stellen, wofür er steht. Und daneben sicherlich eine breite Bewegung, der es weit über den Kreis der Volkspartei hinaus gelungen ist, Unterstützung zu generieren und Menschen zu involvieren. Das gab’s in diesem Ausmaß bei uns noch nicht.

medianet:
Welche Elemente der Kampagne waren aus Ihrer Sicht besonders wichtig?
Maderthaner: Sicherlich die Grassroots-Kampagne, die einen neuen, offenen Kampagnenansatz ins Zentrum gestellt hat. Jede und jeder, der Sebastian Kurz unterstützen wollte, konnte dies nicht nur einfach tun, man wurde auch über zahlreiche Mitmach-Angebote zum aktiven Teil der Kampagne. Die Verbindung von Online und Offline ist, denke ich, wirklich sehr gut gelungen. Wir haben neue Menschen auf Facebook kennengelernt, sie über Landingpages rekrutiert und sie anschließend über gezielte Direkt-Kommunikation über E-Mail oder WhatsApp Step-by-step involviert.

medianet:
Mit welchen Tools wurde hier gearbeitet?
Maderthaner: Im Zentrum der digitalen Kampagnen-Infrastruktur stand unsere eigene Software, der CamBuildr. Für Monitoring und anderes wurde aber auch mit Drittanbietern gearbeitet.

medianet:
Neben der FPÖ schaffte es Sebastian Kurz als einziger, auf diesen digitalen Kanälen relevante Reichweiten zu generieren. ­Worin sehen Sie die Gründe?
Maderthaner: Eine langjährige Aufbauarbeit und konsequentes Bespielen der Kanäle. Auch erfolgreiche Facebook-Präsenzen entstehen nicht über Nacht. Das war wirklich eine langjährige Investition, nicht nur in den ­Fanaufbau, sondern vor allem in die Content-Entwicklung.

medianet:
Manchmal erinnerten die öffentlichen Auftritte, etwa jener in der Wiener Stadthalle, stark an US-Wahlkämpfe. Wie viel Obama war im ÖVP-Wahlkampf?
Maderthaner: Nun ja, die legendäre Kampagne von Obama im Jahr 2008 war für mich damals schon ein entscheidender Inspirationspunkt. Ich habe damals begonnen, US-Wahlkämpfe intensiv zu studieren, habe aber rasch festgestellt: Kopieren allein reicht nicht. Man muss sich schon die Arbeit machen, die Methoden dort in Einzelteile zu zerlegen und für unseren Kulturkreis entsprechend zu modellieren. Das haben wir getan. Und ein Hauch von Obama-Spirit war beim Auftakt sicher zu spüren (lacht).

medianet:
Sehen Sie auch Gefahren bei einer ‚Amerikanisierung' heimischer Wahlkämpfe, gerade in Verbindung mit Dirty Campaigning generell und der Causa Silberstein konkret?
Maderthaner: Es gibt sicher vieles, was in den USA passiert, was wir hier bei uns nicht wollen. Dirty Campaigning gehört dazu. Aber etwa auch große, intransparente Super-PACs (Political Action Committee, Lobbygruppe; Anm.), die Millionen in Wahlkämpfe pumpen. Auch in diesem Wahlkampf gab es ja durchaus Vereine, wo nicht klar war, wie sie mit Parteien verbunden sind. Die Volkspartei hat da, so wie Alexander Van der Bellen damals, auf volle Transparenz gesetzt.

medianet: Stichwort Silberstein: Wie ist Ihre Sicht der Dinge, wenn es um externe Berater und Spin-Doktoren geht: Sollte man darauf eher verzichten?
Maderthaner: Wenn jemand für seine zweifelhaften und schmutzigen Methoden weltweit bekannt ist, muss man sich natürlich fragen, warum wird so jemand engagiert. Aber ich glaube, über das Thema ist genug gesprochen worden. Generell macht es schon Sinn, sich Experten für einzelne Fachgebiete zu holen, Dirty Campaigning sollte nicht dazu gehören.

medianet:
Negative Campaigning als politische Strategie, bei der statt der eigenen Stärken die Kritik am politischen Gegner im Vordergrund steht, hat in vor allem den USA langjährige Tradition. Gefährdet diese Art des Wahlkämpfens nicht dennoch langfristig die Demokratie? Braucht – europäischer – Wahlkampf unter Umständen in Zukunft striktere Regeln?
Maderthaner: Wir haben uns in diesem Wahlkampf aus großer Überzeugung für einen diametral anderen Ansatz entschieden, nämlich einen Positiv-Wahlkampf zu führen, ohne andere anzupatzen oder schlecht zu machen. Dass dieser Zugang von den Wählerinnen und Wählern bestätigt wurde, freut uns fast am meisten an diesem Erfolg. Vielleicht ist das nun Vorbild für andere …

medianet: Kritik an der Kampagne gab es trozdem, etwa dass es bei vielen Inhalten am Ende doch um das Thema Migration ging – ob Soziales und die ‚Einwanderung' in das System, ob Sicherheit und damit die Sicherung der Grenzen oder ähnliche Themenkombis. Themen wie Bildung, Umwelt, Gesundheit oder die Generationenfrage kamen – zumindest breitenwirksam, so die Kritiker – kaum vor.
Maderthaner: Das Programm von Sebastian Kurz hatte 260 Seiten und hat alle entscheidenden Themenbereiche abgedeckt. Dass über einzelne Kapitel nicht so umfassend berichtet wurde, sollte man der Kampagne nicht zum Vorwurf machen.

medianet:
Bei diesem Wahlkampf gab es auch so viele TV-Konfrontationen wie nie zuvor. Welche Bedeutung haben die TV-Aufritte der Kandidaten kurz vor der Wahl, wenn man weiß, dass ein beträchtlicher Teil der Wähler ihre Entscheidung wenige Tage vor dem Urnengang fällt.
Marderthaner: Ich persönlich halte diesen TV-Debatten-Wahnsinn für völlig übertrieben. Ich denke nicht, dass das am Ende noch viel bewegt hat. Wer schaut sich so viele Debatten freiwillig an, außer jenen, die es müssen? Das sollte man wirklich ändern.

medianet:
Etwas anderes fiel ebenfalls auf: In diesem Wahlkampf gab es keine ‚Partei' mehr, sondern eine ‚Bewegung' und de facto auch keine ÖVP mehr, sondern nur mehr Sebastian Kurz. Ähnliches sahen wir schon beim EU-Wahlkampf von Othmar Karas. Verlieren Parteien im klassischen Sinne im Wahlkampf an Bedeutung und geht es nur mehr um die Person?
Maderthaner: Absolut. Generell haben es Institutionen, auch Parteien, schwerer im Mobilisierungswettbewerb, als starke Anliegen oder charismatische Persönlichkeiten.

medianet:
Und was bedeutet das für die Inhalte?
Maderthaner: Ich bin kein Freund der Begriffe ‚Inhalte' oder ‚Themen', weil es so nüchtern und langweilig klingt. Was Menschen bewegt, sind Überzeugungen, Standpunkte, Leidenschaften, Meinungen und Visionen. Diese sollte man in den Mittelpunkt stellen, dann klappt auch die Mobilisierung. Das gilt im Übrigen gleichermaßen für Organisationen wie für Unternehmen. Auch Unternehmen sollten sich weniger über ihre Produkte definieren und mehr über ihre Überzeugungen dahinter. Das bewegt Menschen. Viele unserer Kunden sind in dem Bereich schon sehr erfolgreich.

medianet:
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Welche Kommunikationskanäle werden aus Ihrer Sicht in künftigen Wahlkämpfen an Bedeutung gewinnen und welche verlieren?
Maderthaner: Der Kreislauf zwischen Facebook, Website bzw. Landingpage und E-Mail war für uns in diesem Wahlkampf der wichtigste. Daneben sicherlich Twitter und Instagram. Aber E-Mail ist nach wie vor für die Mobilisierung perfekt, weil ich mit angereichterten Profilen meiner Unterstützer wunderbar personalisiert und punktgenau aktivieren kann.

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