Gastbeitrag ••• Von Anne M. Schüller
Klassische Managementformationen sind die meiste Zeit damit beschäftigt, sich selbst zu organisieren, anstatt sich ums Geschäft und die Kunden zu kümmern. Die Hauptaufgabe eines Unternehmens aber sollte sein, einen Beitrag zur Lebensqualität respektive zum beruflichen und bzw. oder geschäftlichen Erfolg seiner Kunden zu leisten. Erfolg entsteht hierbei nicht länger auf Kosten Dritter oder der Umwelt, sondern indem man das Dasein der Menschen verbessert. Dabei geht es um Habenwollen, Mitmachenwollen, Emotionen und Sinn – eingebettet in eine sich zunehmend technologisierende Welt. Sinn und das damit verbundene Glückserleben entstehen, wenn befähigte Mitarbeiter möglichst konkrete Aufgaben erledigen können, bei denen sie sich als wesentlich erleben. Vor allem die junge Generation verlangt es nach Sinn. Sie will Selbstwirksamkeit spüren und nicht zum Spielball Dritter werden.
Neue Organisationsstruktur
Der erste Schritt in diese Richtung erfolgt mit einer neuen Organisationsstruktur. In den üblichen pyramidalen Top-down-Organigrammen kommt der Kunde nicht einmal vor, sie sind ein reines Selbstverherrlichungsprogramm der Führungsspitze. Sie konzentrieren sich auf Macht und nicht auf den Markt. Sie zementieren Hierarchiedenke, Starrheit und Konformität. Solche Ordnungssysteme sind wie die Monokulturen in unseren Wäldern: ungesund und auf Dauer nicht überlebensfähig. Sie haben im digitalen Sturm nicht den Hauch einer Chance. Bei dem Ziel, sich von innen heraus neu zu erfinden, geht es nicht nur um Digitalisierung in der Produktion, sondern vor allem um neue Arbeits- und Führungsmodelle. In einer Organisationsstruktur wie sie in meinem Buch „Fit für die Next Economy” erläutert wird, gibt es keine starken Hierarchien und isoliert agierende Silos. Alles kreist um den Unternehmenszweck und die Kunden. Wer den Organisationsumbau lostreten will, für den gilt es zunächst, den Sinn und Zweck des Unternehmens zu definieren.
Das hat mit den Visionsformulierungen und Leitbildern von früher, oft Mission Statements genannt, nichts mehr zu tun. Die sind Kommunikationsprosa für die Öffentlichkeit, an die intern sowieso niemand glaubt. Sie müssen zunächst neu gedacht und dann neu formuliert werden.
Purpose im Mittelpunkt
Toptalente und auch die Kunden erwarten heute, dass ein Unternehmen hehrere Ziele verfolgt als Marktführerschaft und Maximalrenditen. Sie wollen wissen, welchen Nutzwert ein Anbieter für die Welt und die Menschen bietet. So sagt Google eben nicht, wie Old-School-Unternehmen das täten: „Wir sind der größte Suchmaschinenbetreiber der Welt”, sondern: „Wir organisieren die Informationen der Welt.” Dieser Nutzwert, der „Purpose”, ist so attraktiv, dass man die Produkte des jeweiligen Anbieters besitzen, dessen Services nutzen und/oder unbedingt mit ihm zusammenarbeiten möchte. Als Kunde, Mitarbeiter und Lieferant will man ein solches Ökosystem gern unterstützen, ein Teil dessen sein und mit Stolz darüber berichten.
Vom Kunden aus denken
Während übliche Manager vor allem an den Wettbewerb, ihre Quartalsziele und die Kosten denken, haben kluge Unternehmer längst verstanden, dass sich alles um die Kunden (und ihre Daten) dreht. Sie suchen gezielt nach Problemen und einer passenden Lösung dafür. „Vom Kunden her denken” nennen sie das. Auch Amazon folgt diesem Weg. Wer je bei einem verzwickten Anliegen mit deren Kundenservice zu tun hatte, der weiß, was ich meine. „Wir sehen uns als Erfinder, die die Welt für ihre Kunden besser machen wollen”, sagt Jeff Wilke, Amazon-CEO und zweiter Mann nach Jeff Bezos, in einem Wirtschaftswoche-Interview. „In jedem Land, in dem ich unterwegs bin, informiere ich mich zuerst darüber, wie es dort mit der Kundenzufriedenheit aussieht. Erst dann schaue ich mir die Umsatzzahlen an.”
Kundenwünsche steuern heute die Unternehmen. Was die Kunden „disliken”, fällt durch. Was sie hingegen in den Himmel loben, kann Weltruhm erlangen. Durch digitale Anwendungsprogramme beschleunigt, sind sie unglaublich schnell unterwegs. Ihre Erwartungen steigen täglich. Die Messlatte ist aus ihrer Sicht nicht der Wettbewerb, sondern branchenübergreifend der Beste seines Fachs.
Weg vom „Silodenken”
Tradierte Unternehmen hecheln dem, was Interessenten und Konsumenten heute wünschen und wollen, meist nur hinterher. Viele werden diesen Wettlauf verlieren. Die Bremskraft ihrer Strukturen, die Trägheit ihrer Prozesse und veraltete Mindsets werfen sie aus dem Rennen. Sie sind vor allem gut darin, Vorgehensweisen mühsam zu machen, ihren Kunden Zeit zu stehlen und ihnen ein schlechtes Gefühl zu geben. Früher haben die Kunden so was murrend ertragen. Aber diese Zeiten sind längst vorbei.
So wird sich das Marketing, das vielfach immer mehr zur Werbeschleuder und zum Datenjunkie verkommt, schnellstens neu aufstellen müssen. Silodenken, isolierte Aktivitäten und Bereichsegoismen sind nicht mehr tragbar. Experten aus den einzelnen Disziplinen werden sich um Kundengruppen und -projekte scharen und das Bestmögliche für die Kunden tun. Alle Aktivitäten an den einzelnen Touchpoints sind dabei synchronisiert – Customer Touchpoint Manager werden das steuern.
Brücken schlagen
Kernaufgabe des Customer Touchpoint Managers ist es, als Brückenbauer an den externen Touchpoints des Unternehmens, also den Berührungspunkten u.a. zwischen Produkten, Mitarbeitern und Kunden, eine 100%ige Kundenfokussierung zu erreichen. Ihr Ziel ist die Transformation des gesamten Unternehmens hin zu einer kundenorientierten Organisation.