"Mündige Konsumenten dürfen auch rauchen"
© Andi Bruckner
RETAIL Redaktion 17.06.2022

"Mündige Konsumenten dürfen auch rauchen"

Der Zigarettenkonsum ist während der Coronapandemie gestiegen, berichtet Ralf-Wolfgang Lothert von JTI Austria.

••• Von Georg Sander

WIEN. Die Regulierung ist vehement. Tabak ist im Negativen der Vorreiter bei Regulierungen, beispielsweise, was Werbung betrifft”, stellt Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsführung bei der JTI Austria GmbH, dem Nachfolger der österreichischen Tabakwerte, klar. Lothert, der selbst Nichtraucher und Ausdauersportler ist, kann auf lange Erfahrung zurückgreifen und muss es wissen. Er studierte Jus in Tübingen und Freiburg i.Br., machte in Cardiff seinen MBA in Finance and General Management, arbeitete zunächst für die Deutsche Treuhandgesellschaft, dann für DaimlerChrysler Railwaysystems, ehe er 2001 zu Philip Morris in die Tabakindustrie wechselte.

Seit 2013 ist er nun bei JTI und weiß über die Bedürfnisse und Anforderungen der Branche Bescheid; in seiner Funktion als Head of Corporate Affairs and Communications gibt er einen Einblick in die Branche.

Mehr Verkauf während Covid

In Österreich hat JTI 500 Mitarbeiter, weltweit 40.000. Der Marktanteil liegt bei 33%, man hat im Portfolio Marken wie Camel, Benson & Hedges, Winston oder American Spirit. Zwölf Mrd. Zigaretten werden jährlich von zirka 5.000 Trafikanten in 595 Mio. Packungen in Österreich verkauft. Während Corona waren es mehr, was zu einem stabilen Wachstum der Branche führte. „Die letzten zwei Jahre waren Ausnahmen, aber der Markt in Österreich ist stabil, 0,5 bis ein Prozent weniger und dann auch wieder mehr. Man wird es erst nach 2022 wieder vergleichen können, wenn wir wieder in normalem Fahrwasser sind”, führt er aus. Denn der Umsatz ist im Rahmen der Pandemie gewachsen, weil die Grenzen geschlossen waren: „Vor der Covidzeit wurden rund 16 Prozent der Ware nicht in Österreich gekauft, nun lag der Wert bei neun Prozent. Der größte Gewinner war der Staat, er hat 110 Millionen Euro mehr als im Vorjahr eingenommen. Wir sahen zudem eine Verlagerung weg von Hotspots wie Bahnhöfen, Flughäfen und Innenstädten.” Das freut die betroffenen Trafikanten einmal mehr, einmal weniger. Den Finanzminister freue das zwischenzeitliche Mehr, schließlich fallen auf Tabakwaren 77% Steuern an – nach der Mineralölsteuer ist diese Steuer die ertragreichste für den Staat, mit einem Volumen von rund 2 Mrd. €. So weitergehen wird es aber wohl nicht.

Nun würden die Menschen wieder mehr verreisen und demzufolge auch im Ausland einkaufen. Das betrifft vor allem östliche und südliche Nachbarländer. Die Zigarettenstange, die man zum Frisörbesuch in beispielsweise Ungarn oder Slowenien mitkauft, wird also ein Comeback feiern. Klar ist aber auch: Wenn dann wieder so viele Zigaretten wie zuvor im Ausland gekauft werden, dann „gehen dem Finanzminister 400 Mio. Euro durch die Lappen”.

Steuererhöhung

Im April wurden die Preise für Zigaretten wieder angehoben, der Preisanstieg von 20 Cent pro Packung ist in dem Zusammenhang eine moderate Preissteigerung. Die Steuern sind hoch, die Regulierungen ebenfalls eng, beispielsweise, was die Werbung betrifft. „Tabak ist schädlich, Punkt. Der Mensch mag aber Genussprodukte”, so Lothert. Wie eingangs erwähnt, ist die Branche stark reguliert, quasi „negativer Vorreiter”. Fraglich sei, inwieweit die Tabakbranche als Vorbild für andere herangezogen werde, sei es Zucker oder Alkohol: „Es lässt meine Ohren klingeln, wenn sich die WHO dieselben Regulatorien beim Zucker wünscht.”

Lothert wünscht sich demzufolge mündige Konsumenten. Der Anteil jugendlicher Raucher ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark zurückgegangen. 2001 rauchten noch 27,5%, heute sind es unter sechs: „Noch in zehn, zwanzig Jahren wird geraucht werden. Aber für ein Unternehmen, das Tabakwaren verkauft, ist es wichtig, dass man den Konsumenten aufklärt, dass es erwachsene Konsumenten sind, die sich selber für so ein Genuss­produkt entscheiden können.” Die Unternehmen müssten also agil bleiben und sich auf die Zukunft vorbereiten, dabei klug kommunizieren, was ja bislang, im Gegensatz zu Werbung außerhalb, innerhalb der Trafik noch erlaubt ist.

Keine Buzzwords

Neben den Regulatorien gibt es Alternativprodukte, die der Branche zusetzen könnten. Zwar, wie eben erwähnt, werde auch in Zukunft geraucht werden, aber es kommen eben immer neue Produkte auf den Markt. Allgemein kann man auch anhand der Learnings aus Corona festhalten, dass die Unternehmen gut aufgestellt sind. „Erstens sind Worte wie Flexibilität und Agilität keine Buzzwords. Wir konnten auch wie etwa im Labor nicht ins Homeoffice. Zweitens: Kommunikation innen und nach außen ist viel wichtiger geworden, auch für Führungskräfte. Drittens: Es braucht Planbarkeit und Rechtssicherheit – in der Krise noch mehr und grundsätzlich. Darüber hinaus ist es wichtig, resilient zu sein.” Das betrifft eben die Zukunft, die von mehr oder weniger schädlichen Rauchwaren wohl mitgeprägt sein wird.

Noch schätze er den Anteil an Nikotin-Pouches, eZigaretten und anderen auf fünf bis sieben Prozent. Lothert mahnt aber ein, dass diese keineswegs so billig bleiben würden. Im Gegensatz zu Tabak fällt ja nur die Umsatzsteuer an: „Irgendwann wird der Staat aufwachen und will dann auch nicht weniger aus den neuen Produkten verdienen.”
Verantwortungsvollen Genuss, das möchte man ermöglichen. Wenn man an die Entwicklungen der letzten Jahre denkt, sagt er aber abschließend: „Was einen fuchsteufelswild macht, ist, dass bestimmte Regulierungen eingeführt werden, ohne dass es einen Nachweis gibt, dass diese wirken.” Im Sinne der Fairness sollte sich das wohl ändern.


Das vollständige TV-Interview sehen Sie unter: tv.medianet.at/video/industry-ohne-filter-tabak-business-osterreich
Redaktion TV: Andy Marada

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