Zu wenig Gemüse und Obst, zu viel Fleisch
© Mitja Kobal
RETAIL Redaktion 26.06.2020

Zu wenig Gemüse und Obst, zu viel Fleisch

Greenpeace kritisiert die Agrarflächenwidmung in Österreich, die zu stark auf Fleischproduktion zielt.

••• Von Daniela Prugger

Ein aktueller Greenpeace-Report zeigt die Schwachstellen in der Versorgungssicherheit auf: Bei Obst und Gemüse ist Österreich stark von Importen abhängig. Besonders gering ist der Selbstversorgungsgrad bei Tomaten (20%), Spargel (47%), Marillen (40%) und Erdbeeren (39%). Gleichzeitig wird ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen für die Nutztierhaltung und für die Produktion von Fleisch genutzt. „Wir können es uns immer weniger leisten, verschwenderisch mit der Ressource Boden umzugehen”, erklärt Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Sebastian Theissing-Matei im Interview mit medianet. Er gibt einen Ausblick auf die Herausforderungen, die in der Klima­krise auf uns zukommen.


medianet: Österreich produziert zu wenig Obst und Gemüse. Woran liegt das?
Sebastian Theissing-Matei: Rund 60 Prozent aller Ackerflächen werden dazu genutzt, Futtermittel für Tiere anzubauen, anstatt gesunde Lebensmittel direkt für uns Menschen. Das liegt zum einen daran, dass das Agrar-Fördersystem keine Anreize dafür setzt, mehr pflanzliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse anzubauen. Zum anderen wird Obst und Gemüse in Ländern mit schwächeren gesetzlichen Standards oft nochmal billiger produziert. Es liegt an der österreichischen und europäischen Politik, hier gegenzusteuern und unser Lebensmittelsystem gesünder, nachhaltiger und krisenfester zu machen.

medianet: Österreich ist stark von Importen abhängig. Salopp gefragt: Was ist daran problematisch?
Theissing-Matei: Es wird jetzt zu Recht überall darüber diskutiert, was die Lehren aus der Coronakrise sein müssen. Und ein Blick auf unsere Lebensmittelversorgung zeigt: Wir sind gerade bei Obst und Gemüse in außerordentlich hohem Maß von Importen abhängig. Das kann in einem Krisenfall – egal ob das eine Pandemie ist, die Klima­krise oder ein Atomunfall – eine echte Schwachstelle in unserer Versorgung darstellen.

medianet: Selbst Marillen oder Spargel werden großteils importiert …
Theissing-Matei: Die österreichischen Supermärkte haben hier natürlich aufgrund ihrer Marktmacht eine Rolle und können mitgestalten, welche Lebensmittel aus welchen Ländern schlussendlich in den Regalen liegen. Aus dieser Verantwortung darf man die Supermärkte auch nicht entlassen. Man sollte aber auf jeden Fall ebenfalls nicht unerwähnt lassen, dass unsere Analyse den gesamten Lebensmittelkonsum in Österreich betrachtet – sprich auch den gesamten Bereich der Gastronomie. Aufgrund der fehlenden Kennzeichnung der Herkunft der Lebensmittel in der Gastronomie ist hier auch der Anteil der importierten Lebensmittel deutlich höher als in den Supermärkten.

medianet: Was bedeutet das für die kommenden Jahre, wenn sich die Klimakrise zuspitzt?
Theissing-Matei: Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass Klimamodelle davon ausgehen, dass es in Zukunft aufgrund von ausgeprägter Trockenheit vermehrt zu Ertragseinbußen kommen wird, können wir es uns immer weniger leisten, so verschwenderisch mit der Ressource Boden umzugehen. Die starke Ausrichtung der österreichischen Landwirtschaft auf die Produktion von tierischen Lebensmitteln wie Fleisch ist extrem ressourcenintensiv. Die Produktion von Fleisch verbraucht deutlich mehr landwirtschaftliche Fläche, als die Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln wie etwa Gemüse.

medianet:
Was muss passieren, damit sich das ändert?
Theissing-Matei: Sowohl aus Sicht des Umweltschutzes als auch aus Sicht unserer Gesundheit sollten Produktion und Konsum von Fleisch deutlich sinken, während wir – im Einklang mit der Natur – mehr pflanzliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte anbauen und essen sollten.


medianet: Viele Umfragen zeigen, dass die Österreicher Regionalität, Frische und Bioprodukte bevorzugen. Laut Ihrem Report stammen aber nur 58% des hierzulande konsumierten Gemüses aus regionaler Selbstversorgung, bei Obst sind es nur 46%. Wie passt das zusammen?
Theissing-Matei: Da kann man den Konsumenten nicht die Schuld zuschieben. Einerseits kennen wir die Situation natürlich selber alle, dass wir im Supermarkt ein bestimmtes Produkt gern aus Österreich, am besten in Bio-Qualität, kaufen wollen, und im Gemüseregal findet sich das einfach nicht. Andererseits umfassen die Selbstversorgungsstatistiken natürlich auch den gesamten Bereich der Gastronomie.

medianet: Hat die Coronakrise zu einem Umdenken im Konsumverhalten geführt?
Theissing-Matei: Ich denke, es ist uns zumindest allen wieder stärker bewusst geworden, wie wichtig eine funktionierende Versorgung mit Lebensmitteln für uns alle ist. Wichtig ist auf jeden Fall, dass jetzt auch die österreichische Bundesregierung die Lehren aus der Krise zieht und Schritte für eine sicherere, krisenfeste Lebensmittelversorgung setzt. Und das heißt unter anderem, dafür zu sorgen, dass mehr Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte produziert werden.

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