Neue Studie geht dem „Bewerber-Loch“ auf den Grund
© Roland Kreutzer
Heinz Herczeg.
CAREER NETWORK Redaktion 18.05.2022

Neue Studie geht dem „Bewerber-Loch“ auf den Grund

50% der Mitarbeiter sind unzufrieden, aber nur 18% wollen ihren Arbeitgeber wechseln.

WIEN. Während der Pandemie hat sich für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezeigt, welche Bedeutung sie als Mensch tatsächlich für ihren Arbeitgeber haben. Laut der aktuellen Marketagent-Studie von April 2022 des auf Mitarbeitergewinnung und -bindung spezialisierten Beratungsinstituts lifeCreator Consulting haben nur rund 50% der österreichischen Arbeitgeber darin reüssiert, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter zu erfüllen. 50% sind demnach enttäuscht. Aber diese Unzufriedenheit macht sich nicht in der Jobwechselbereitschaft bemerkbar: Aktuell wollen nur 18% ihren Arbeitgeber wechseln. Die Folge: Bleibende Unzufriedenheit und sinkende Motivation, die Unternehmen und Wirtschaft Geld kostet.

Offene Stellen zu besetzen, ist derzeit ein schwieriges Unterfangen. Ob junge Lehrlinge, motivierte Mitarbeiter für die Gastronomie und Hotellerie, talentierte IT-Experten oder qualifiziertes Gesundheitspersonal – aktuell sind laut Jobplattformen rund 60% mehr Stellenanzeigen als 2019 inseriert. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass nach dem Beginn des Ukrainekrieges die Bereitschaft, den Job zu wechseln, laut der LifeCreator-Studie 2022 auf 18% gesunken ist (im März 2019 lag sie laut Statista bei knapp 30%). Ein hohes Angebot trifft auf reduzierte Nachfrage – wie lässt sich diese Deadlock-Situation ändern?

Kommunikation auf Augenhöhe ist wichtiger denn je
Für die österreichweite, repräsentative Marketagent-Studie wurden 763 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 14 und 39 Jahren im April befragt. Die Pandemie hat die Lupe auf bereits vorhandene Probleme gelegt: Führung, Wertschätzung, Kommunikation, Anpassungsfähigkeit, Unterstützung und digitale Anwendungen wurden für alle Mitarbeiter relevant. Auch wurden der Management-Stil und die Leadership-Kompetenz der Unternehmensführung erstmalig für alle Mitarbeiter sichtbar und messbar. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der „Mangel an Kommunikation der Unternehmensführung mit den Mitarbeiter zur aktuellen Situation des Unternehmens“ jener Aspekt ist, der für viel Enttäuschung gesorgt hat. Nur 54,6% der Studienteilnehmer haben dies mit „ausreichend“ bewertet. Infolgedessen steckt in der effizienten Kommunikation nach innen und außen enormes Potenzial; dazu zählen etwa bereits die laufende Information über die aktuelle Situation des Unternehmens oder umgesetzte Maßnahmen.

Maßnahmen zur Wertschätzung der Mitarbeiter essenziell
Ein weiterer Aspekt, der oftmals unterschätzt wird, geht deutlich aus der Studie hervor: Mitarbeiter wünschen sich Führungskräfte, die ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie persönlich für das Unternehmen wichtig sind. Das bedeutet eine Rückkehr zu den ursprünglichen Werten: Der Mensch zählt und möchte mit seinen Sorgen, Ängsten und Bedürfnissen ernst genommen werden. Maßnahmen zur Wertschätzung der persönlichen Leistungen, die sich auch in einem adäquaten Gehalt widerspiegeln, sind laut Studie die signifikantesten Gründe für die Entscheidung, zu wechseln oder zu bleiben. Während sich zielgruppenspezifische Unterschiede zeigen, wird eines deutlich: 90% der Befragten machen sich Sorgen aufgrund der aktuellen Ereignisse und der daraus resultierenden Konsequenzen auf ihr Leben.

Den Mitarbeitern Sicherheit in unsicheren Zeiten bieten
Studien-Initiator Heinz Herczeg fasst zusammen: „Aufgrund der aktuellen Ereignisse sind den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine gute Arbeitsatmosphäre, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Vertrauen in die persönlichen Fähigkeiten und vertrauensbildende Maßnahmen sehr wichtig. Dies ist eine großartige Chance für das Management, genau jetzt ihre Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden, wenn sie hier ihren Beitrag leisten.“ Gelingt dies nicht, kann die Unzufriedenheit dem Experten zufolge zu Leistungsabfall bis hin zu psychischen Krankheiten führen. „Verlassen Mitarbeiter das Unternehmen, kann das Kosten in der Höhe eines Jahresgehalts bedeuten“, warnt Herczeg. „Dazu kommt der mögliche Imageschaden, wenn ehemalige Mitarbeiter ihre negativen Erfahrungen im Bekanntenkreis teilen oder auf Bewertungsplattformen veröffentlichen und andere potenzielle Mitarbeiter dadurch abschrecken.“

Sicherheit beim Jobwechsel schaffen
In vertiefenden Interviews mit Kandidatinnen und Kandidaten fand Studienautor Herczeg heraus, was Menschen davon abhält, so stracks wie noch bis 2019 den Job zu wechseln: „Das Bedürfnis nach Sicherheit und Vertrauen. Bevor sich Menschen für einen neuen Job und Arbeitgeber entscheiden, wollen sie Beweise, dass sich ein Wechsel lohnt.“ Diese Tatsache zeigt die Studie in den Quellen, die Jobinteressierte nutzen, um die passende Stelle zu finden: Neben den klassischen Stellenbörsen werden ex aequo „Empfehlungen von Freunden, Bekannten und Mitarbeitern“ genannt. Statt klassischen Bewerbungsgesprächen werden „Kennenlern-Einladungen“ ins Unternehmen bevorzugt, um Vorgesetzte, Teamkollegen, Arbeitsumfeld und Schreibtisch oder Arbeitsplatz persönlich erleben zu können. Das bedeutet für Arbeitgeber, dass eine einfache Stellenanzeige nicht mehr ausreicht. Glauben Kandidaten, im neuen Job ein gutes Arbeitsklima, eine interessante Tätigkeit, wertschätzende Vorgesetzte und nette Kollegen vorzufinden, sind sie auch 2022 bereit, zu wechseln.

Auf die Beratung von externen Experten setzen
Heinz Herczeg, Gründer der lifeCreator Consulting, betont: „Die Erfahrung zeigt, dass Führungskräfte beim Finden des passenden Personals die besten Ergebnisse erzielen, wenn sie auf die Expertise von Spezialistinnen und Spezialisten in den Bereichen Mitarbeitergewinnung und -bindung setzen. Vor allem können sie mit den richtigen Maßnahmen die Krise als Chance nützen.“ Herczeg zufolge werden sich schlussendlich jene Unternehmen behaupten, die jetzt ihre Stärken nach innen und außen kommunizieren, ihre Führungskräfte zu empathischen und wertschätzenden Leadern entwickeln, die Mitarbeiter als Job-Botschafter ausstatten und Jobsuchenden konkrete Kennenlernmöglichkeiten bieten.

Wie Unternehmen zukünftig zu den begehrten Fachkräften kommen
Der Mangel an Lehrlingen hat sich durch die Pandemie noch zugespitzt: Grundsätzlich ist eine steigende Beliebtheit bei den Eltern erkennbar, ihre Kinder in die AHS zu schicken. Konsequenz: Immer weniger Jugendliche entscheiden sich nach der 9. Schulstufe aufgrund von unzureichender Berufsorientierung für eine Lehre. Pandemiebedingt wurden viele Infoveranstaltungen und Berufsmessen eingestellt. Die Studie von lifeCreator weist auf, dass die fehlenden Kennenlern- und Schnuppermöglichkeiten mit ein Grund sind, warum Österreich aktuell zu wenige Lehrlinge hat. Bemerkenswert ist aber folgende Trendwende weg von der AHS: Fast zwei Drittel der 20- bis 39-Jährigen sind der Meinung, mit einer Lehre „die besten Chancen für die eigene berufliche Entwicklung und im Leben allgemein“ zu haben. Jetzt sind daher Schulen und Unternehmen gefordert, den Jugendlichen Kennenlern- und Ausprobiermöglichkeiten zu bieten. Dabei soll der Fokus darauf liegen, dass sich die jungen Menschen in ihren Interessen, Stärken und Fähigkeiten erfahren können. Das bedeutet ein Umdenken: weg von Werbekampagnen hin zu Erlebnisse-Schaffen.

In einer virtuellen Roadshow wurden auch frühere Studienergebnisse mit Vertretern der Zielgruppen und Experten diskutiert. Mit dabei waren Jugendforscher Simon Schnetzer, Daniel Laiminger, Geschäftsführer der Jobplattform Hokify, Business Network-Spezialist Thoman Gaiswinkler von LinkedIn, Doris Palz von Great Place To Work und Markus Ellmer, Forschungsleiter von Teamecho. Alle Aufzeichnungen sind frei zugänglich: https://www.lifecreator.at/roadshow2022/

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