Vom U4 in die Pflege
© Lisa Resatz
Pionier Der Absolvent des „Pioneers”-Lehrgangs der WU Executive Academy setzt auf flache Hierarchien und einen Kulturwandel hin zur Selbst­verantwortung.
CAREER NETWORK Redaktion 02.11.2018

Vom U4 in die Pflege

Einst leitete Markus Platzer den legendären Club „U4”, heute die Pflegewohnhäuser der „Casa Leben im Alter Gruppe”.

WIEN. Chefallüren sind Markus Platzer, dem Geschäftsführer der Pflegewohnhäuser der „Casa Leben im Alter Gruppe” der Caritas, fremd. Sein Werdegang bescherte dem 41-Jährigen allerdings spannende Erkenntnisse in Sachen Leadership. Nach dem VWL-Studium an der WU Wien begann er, im Finanzministerium in der Budgetsektion zu arbeiten. „Ich dachte damals: Als Volkswirt bin ich genau da, wo ich sein will.” Falsch gedacht. Als Platzer am dritten Arbeitstag vergaß, den Herrn Sektionschef ebenso anzusprechen, wurde er zum Rapport zitiert. Mit dem strikten, hierarchischen System konnte Platzer nicht viel anfangen und er wechselte in die Bankenbranche: „Das war schon besser passend, aber auch noch nicht ganz.”

Ein „Ausreißer” im CV

Schließlich kam ein Anruf von Freunden, der Platzers Lebenslauf gehörig durcheinanderbringen sollte. „Sie sagten: Markus, wir haben das U4 übernommen.”

Das U4, das ist der legendäre Rock-Club in Wien-Meidling. Die Untergrund-Disco hatte einige Monate zuvor ihre Tore geschlossen, die Freunde wollten sie nun wiederbeleben. Platzer half bei der Konzepterstellung, vier Tage später kam erneut ein Anruf: Der Geschäftsführer war abgesprungen, ob nicht er den Job haben wolle. Platzer holte wegen mangelnder Erfahrung in der Gastronomie einen befreundeten Catering-Unternehmer mit ins Boot und kündigte seinen Job in der Bank: „Das war noch vor der Finanzkrise und somit für die meisten unverständlich.” Den Studierenden und Absolventen von heute will er mitgeben, dass „das, was die anderen sagen und das, was man wirklich tun sollte, nicht immer dasselbe ist. Ich denke: Wenn der Job nicht zu 85 Prozent passt, sollte man einen anderen machen.” Die ersten Wochen als U4-Geschäftsführer waren hart, abends und nachts arbeitete er am Umbau des Clubs mit, um 8 Uhr morgens fuhr er in die Bank, bis zum Ende der Kündigungsfrist. Danach hieß es, vier bis fünf Nächte den Laden schupfen und tagsüber Termine mit Lieferanten und Bürotätigkeiten. Der Club florierte wie schon lange nicht, das Feiern zehrte aber an der Substanz. Platzer entschied sich, erneut die Branche zu wechseln und landete im Sozialbereich.
Die Bewerbung für die Leitungsposition eines Pflegewohnheims der Caritas kam aus einem Bauchgefühl heraus; prompt wurde er zum Bewerbungsfrühstück eingeladen – und bekam nach einigen Runden den Job. Anfangs fiel es jedoch ihm schwer, mit den 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – die meisten waren Frauen – richtig zu kommunizieren: „Ständig saß jemand weinend vor mir.” Platzer merkte, dass er mit der direkten, mitunter etwas harschen Wortwahl aus der Eventbranche im Sozialbereich nicht weiterkam. „Ich habe begonnen, mich mit gewaltfreier Kommunikation zu beschäftigen, habe nebenbei eine Ausbildung zum Coach und Organisationsentwickler gemacht.” Die Herausforderung war, dennoch authentisch und klar in der Sprache zu bleiben. Er brachte wieder Lebensfreude ins Pflegewohnheim, organisierte Oktoberfeste, Tanzabende und Punschstände und befasste sich eingehend damit, Arbeitsabläufe zu optimieren, um – ähnlich wie schon im U 4 – „den Menschen eine gute Zeit zu verschaffen”: „So anders ist es gar nicht. Egal in welcher Lebensphase, die Menschen wollen immer dasselbe: dazugehören, lachen, wahrgenommen werden.”

Mehr Mitbestimmung

Seit 2011 führt Platzer die Pflegewohnhäuser der „Casa Leben im Alter Gruppe” und ist für mehr als 500 Mitarbeiter zuständig. Vor drei Jahren hat er begonnen, neue partizipative Arbeitsprozesse einzuführen und Hierarchien weiter abzubauen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ich als Geschäftsführer am Schreibtisch die richtige Entscheidung für den Pflegeassistenten im Wohnheim treffe, ist sehr gering”, sagt er. Die Mitarbeiter teilen sich selbst ihre Dienste ein, können, – wie er selbst es auch getan hat – auf Sabbatical gehen. „Wir probieren viel aus und schauen drei Wochen später darauf, ob es funktioniert hat (Motto: Good enough to try!). Und wir versuchen step by step, die Entscheidungen stärker zu den Mitarbeitern zu verlagern.” Nach drei Jahren beginnen die Veränderungen in Richtung Kulturwandel zu greifen, sagt Markus Platzer. (sb)

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