KI-Einsatz: Chance und gleichzeitig Risiko
© Selina Palla
Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands
DOSSIERS Redaktion 21.11.2025

KI-Einsatz: Chance und gleichzeitig Risiko

Die Künstliche Intelligenz setzt sich auch im Handel vermehrt durch. Das erleichtert Prozesse, aber die Gegenseite schläft nicht.

Wie stellt sich die Situation im heimischen Handel im Lichte von Künstlicher Intelligenz dar? Einerseits unterstützt diese bei der Effizienz­steigerung – in Zeiten knapper werdender Budgets eine willkommene Hilfe. Andererseits gibt es auch Verbrecher, die die KI für sich entdecken und weiterhin auf „klassische“ Wege des Diebstahls setzen. Dieses Spannungsfeld diskutieren Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will (Bild), Präsident Stephan Mayer-Heinisch und Robert Spevak, Leiter des HV-Ressorts Sicherheit im Handel, im Interview.

medianet: Fangen wir mit guten Nachrichten an: Inwiefern konnten heimische Händler Künstliche Intelligenz und Co. in den letzten Monaten für sich nutzen?
Rainer Will: Unsere Händler in Österreich und dem D-A-CH-Raum sind längst keine Zuschauer mehr. Allen ist bewusst, dass die Auswirkungen der KI gar nicht hoch genug eingeschätzt werden können. Viele kleinere und mittlere Betriebe setzen KI zumindest punktuell ein, sei es für personalisierte Newsletter, eine dynamische Bestands­optimierung, Chatbots im Kundenservice oder für die automatisierte Bilderkennung in der Katalogpflege. Große Handelsgruppen treiben die KI-Transformation noch intensiver voran. Use Cases, die schnell ROI zeigen, verbreiten sich am schnellsten.

medianet: Mit welchem Ergebnis?
Will: Bessere Conversion, weniger Retouren, präzisere Werbeausspielung – ohne dass gleich überall ein Data-Science-Labor entstehen muss. Die ‚AI Readiness Studie‘, die wir heuer erstmals gemeinsam mit Google publiziert haben, zeigt es deutlich: ein Drittel aller heimischen Unternehmen verzeichnet bereits Effizienzgewinne durch KI, 22 Prozent berichten von Kostenersparnissen und starke 15 Prozent von Umsatzsteigerungen.

medianet: Die Politik bekommt die Inflation nicht in den Griff. Inwiefern kann Automatisierung, Omnichannel-Marketing und Co. die Händler unterstützen, nicht nur Umsätze, sondern auch für Investitionen notwendige Gewinne zu generieren?
Stephan Mayer-Heinisch: KI und Automatisierung senken die Stückkosten, etwa durch effizientere Logistik oder automatisches Repricing. Omnichannel erhöht die Kundenreichweite und steigert den Umsatz pro Kunde. Entscheidend ist die Reihenfolge: kurzfristig mehr Effizienz bei Prozessen, Logistik, Payment, Fraud-Prevention; mittelfristig mehr Umsatz durch persönliche Kundenansprache, A/B-Testing und KI-optimierte Loyalty-Lösungen. So entstehen im besten Fall Margen, aus denen Investitionen finanziert werden können. Gleichzeitig braucht’s disziplinierte Metriken: Jeder Digital-Euro muss den Weg in höhere Deckungsbeiträge zeigen.

medianet: Mehr Online, weniger Personal im Store: Wie melden die Mitglieder Kriminalität bzw. Cybercrime?
Robert Spevak: Kriminalität im stationären Handel bleibt ein wichtiges Thema, insbesondere der klassische Ladendiebstahl, der hierzulande einen jährlichen Schaden von 500 Millionen Euro verursacht. Auch Falschgeld, Raubüberfälle, Bankomat-Sprengungen und Betrugsversuche bei Selbstbedienungskassen zählen zu den Sicherheitsrisiken. Eine deutlich stärkere Zunahme bei den Fallzahlen sehen wir aber ganz klar im digitalen Bereich: Phishing, Account-Takeovers, Payment-Fraud und Bot-Attacken auf Online-Shops sind auf dem Vormarsch und werden durch die rasanten KI-Entwicklungen befeuert. Selbiges gilt für Fake-Webshops. All diese Betrugsmaschen treffen Handelsbetriebe schnell in Umsatz und Vertrauen. Das heißt: Cyber-Hygiene, Fraud-Scoring und Versicherungen sind heute bei uns operative Basics. Vor allem für KMU-Händler ist es eine massive Herausforderung, mit den vielfältigen neuen Bedrohungsszenarien Schritt zu halten. Hier unterstützen wir gezielt mit dem HV-Ressort  ‚Sicherheit im Handel‘.

medianet: Apropos Cyber­sicherheit: Fernost flutet den Markt, das ist nicht per se ­kriminell, aber die ­Produkte wären oftmals in Europa ­illegal. Was kann man tun?
Mayer-Heinisch: Der scheinbar günstige Warenbezug über Fernost-Plattformen wie Temu, Shein und AliExpress kommt uns letztlich teuer zu stehen. Millionen falsch deklarierter Pakete entziehen den Städten und Gemeinden wichtige Kommunalsteuereinnahmen, weniger lokale Jobs bedeuten weniger Steueraufkommen. Die Müllflut der Online-Ramschhändler aus China gefährdet nicht nur unseren Planeten, sondern auch unsere Innenstädte.
Will: Das Hauptproblem im europäischen E-Commerce ist der mangelhafte Vollzug von EU-Regularien. Hinzu kommt, dass der derzeitige EU-Rechtsrahmen die Rolle von Online-Marktplätzen aus Drittstaaten nur unzureichend berücksichtigt. Wir haben daher einen bundesweiten Aktionsplan mit vier Kernforderungen für ein Level Playing Field im E-Commerce vorgestellt: Erstens fordern wir die sofortige EU-weite Abschaffung der 150-Euro-Zollfreigrenze, wir können nicht bis zur EU-Zollreform 2028 warten. Zweitens brauchen wir mehr Ressourcen für die Zollbehörden und strenge Importkontrollen. Drittens empfehlen wir auf nationaler Ebene die Einführung einer Plattform-Haftung für die korrekte Warendeklaration, um Zoll- und Mehrwertsteuerbetrug zu unterbinden. Und viertens fordern wir als ultima ratio bei wiederholtem Rechtsbruch zumindest temporäre Sperren für kriminelle Plattformen.

medianet: Wer Web sagt, muss auch Daten sagen. Die EU versucht sich hierbei an Regulierungen; mancherorts wie bei KI werden Sie dies begrüßen, sind Regulierungen aktuell sonst ein Hemmschuh?
Will: Natürlich schafft Regulierung eine gewisse Rechtssicherheit. Das ist grundsätzlich gut für Investitionen, ­Governance und Verbrauchervertrauen. Aber: Zu starre und zu umfangreiche Regeln hemmen unsere Geschwindigkeit und Experimentierfreude, das erleben wir etwa beim AI-Act. Im direkten Vergleich der EU mit den Vereinigten Staaten zeigt sich der Regulierungs-Overkill. Während in der EU in den letzten fünf Jahren über 13.000 neue Regelungen verabschiedet wurden, waren es in den USA 3.500. Im kleinen Österreich verschärft der große Föderalismus die Entwicklung.
Mayer-Heinisch: Laut ‚Retail Restrictiveness Indicator‘ (RRI) der Europäischen Kommission zählt der Einzelhandel zu den am stärksten regulierten Sektoren der EU und im Ländervergleich liegt Österreich auf dem vorletzten Platz. Nur in Frankreich ist die Überregulierung noch schlimmer ausgeprägt. Der Reformstau, die Abgabenbelastung und die Überregulierung gefährden unsere Wettbewerbsfähigkeit und mittlerweile auch die Überlebensfähigkeit unserer Branche, hier besteht unmittelbarer Handlungsbedarf.

medianet: Österreich ist von internationalen Entwicklungen betroffen. 2022 war es der russische Überfall auf die Ukraine, welche internationalen Entwicklungen sind es 2025/26, die den Handel on- und offline vor Herausforderungen stellen?
Spevak: Wir erleben zurzeit eine geopolitische Fragmentierung, volatile Rohstoff-Weltmärkte, etwa bei Kaffee, Kakao oder auch Seltenen Erden, sowie neue Handelsbarrieren und Strafzölle der Trump-Administration. Das wirbelt die Lieferketten durcheinander, erhöht unsere Beschaffungskosten und sorgt für Planungsunsicherheit. Zusätzlich erhöhen politische Spannungen zwischen den USA und China die Wahrscheinlichkeit von kurzfristigen Lieferstopps oder Preis-Schocks. Viele Händler müssen daher ihre Sourcing-Strategien diversifizieren.

medianet: Sehen Sie den  heimischen Handel insgesamt als resilient genug, um diese vielen Thematiken zu bewältigen?
Mayer-Heinisch: Ja, aber mit Vorbehalt. Die Resilienz ist spürbar, viele Händler haben seit der Pandemie ihre digitalen Hausaufgaben gemacht, Omnichannel-Prozesse eingeführt und Cash-Reserven verbessert. Aber Resilienz braucht kontinuierliche Investitionen, etwa in Cybersecurity, datengetriebene Prozesse und flexible Lieferketten. Kleine Händler sind hier oft flexibler, große Händler dafür stabiler aufgestellt. Mein Fazit: Der heimische Handel ist grundsätzlich belastbar, aber die kommenden zwei Jahre werden zeigen, wer aus den kurzfristigen Turbulenzen dauerhafte Wettbewerbsvorteile machen kann.

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