Die gefährliche Fata Morgana der Vorsorge
© Panthermedia.net/Michael Jung
FINANCENET Redaktion 29.09.2023

Die gefährliche Fata Morgana der Vorsorge

Internationale Studie zeigt geringe Risikokompetenz in der Bevölkerung und weitverbreitete Trugschlüsse.

••• Von Reinhard Krémer

Gallup International hat im Auftrag der Vienna Insurance Group (VIG) die Risikokompetenz in neun Ländern Zentral- und Osteuropas (CEE) untersucht. Die repräsentative Studie zeigt dabei deutliche Defizite sowie weitverbreitete Trugschlüsse hinsichtlich der finanziellen Absicherung durch staatliche bzw. gesellschaftliche Institutionen.Rund zwei Drittel der Bevölkerung sind sich der abgefragten Risiken in den Bereichen Gesundheit, Beruf, Wohnen, Haftung und Cyber wenig bis gar nicht bewusst: Sieben von zehn Befragten glauben nicht an den Eintritt dieser Risiken, obwohl der potenzielle Schaden gleichzeitig als hoch eingeschätzt wird.

Rund zwei Drittel nehmen an, dass die öffentliche Hand beim Eintritt von Gesundheitsrisiken und Berufsunfähigkeit einspringt, sogar bei Schäden am Wohnobjekt sind es 60%. Der Fokus der Studie lag auf folgenden Schwerpunkten: den Risiken, schwer zu erkranken, die Arbeitskraft zu verlieren, im Wohnbereich, der Haftung bei selbstverschuldeten Unfällen sowie Internetbetrug.

Erheblicher Nachholbedarf

Abgefragt wurden auch die bei Risikoeintritt potenziell zu erwartenden Kosten sowie getroffene Maßnahmen, um diese Risiken selbst zu managen oder die daraus resultierenden Schäden zu begrenzen.

„Menschen schützen sich nur dann vor Risiken, wenn sie ein Bewusstsein für Themen wie Vorsorge und Risikoabsicherung haben”, erklärt Hartwig Löger, CEO der Vienna Insurance Group.
Prävention ist laut der repräsentativen Studie die am häufigsten getroffene Maßnahme zur Abdeckung potenzieller Risiken, frei nach dem Motto: „Ich passe auf, dann passiert mir das erst gar nicht.” Jeweils ein Drittel der Befragten gibt an, eine Versicherung für Gesundheitsrisiken, Berufsunfähigkeit und persönliche Haftungsrisiken zu haben.

Die Vorsicht überwiegt

Im Wohnbereich haben im Schnitt 45% der Bevölkerung eine Versicherung. Zwischen 20 und 30% haben eigene Rücklagen als Vorsorge für diese Risiken gebildet und gehen offensichtlich davon aus, dass das ausreichend sei. Jeder Fünfte hat überhaupt keine Maßnahmen getroffen, was unter anderem auf die damit verbundenen Kosten oder Verdrängung zurückzuführen ist.

Der Ruf nach dem Staat

Auffällig ist, dass ein Großteil der Befragten davon ausgeht, dass Schäden zumindest teilweise vom Staat beziehungsweise der Gesellschaft getragen werden.

So nehmen zwei Drittel der Befragten an, dass die öffentliche Hand beim Eintritt von Gesundheitsrisiken und Berufsunfähigkeit einspringt; bei Schäden im Wohnobjekt sind knapp 60% dieser Meinung.
Rund 40% glauben, dass dies sogar für Schäden aus Internetbetrug zutrifft, und fast die Hälfte meint, dass auch persönliche Haftungen durch den Staat übernommen werden.
Mit der Höhe des zu erwartenden Schadens steigt die Erwartungshaltung an eine Übernahme der Kosten durch Staat oder Gesellschaft: Rund 90% wünschen sich, dass Kosten aus Gesundheitsrisiken und dem Verlust der Arbeitskraft und 80%, dass Schäden im Wohnbereich von der Allgemeinheit übernommen werden.
Deutlich mehr als die Hälfte ist der Ansicht, dass dies auch für die Kosten aus Internetbetrug und persönlichen Haftungen gelten sollte.

Mehr Beratung erwünscht

Einem erheblichen Teil der Befragten dürften die eigenen Wissensdefizite zum Thema Risiko dennoch bewusst sein.

Mehr als jeder Zweite wünscht sich mehr Informationen und Beratung von kompetenten Stellen. Etwa ebenso viele wären grundsätzlich bereit, einen finanziellen Beitrag zu leisten, um sich gegen Schäden selbst zu schützen. „Wir sehen es in unserer Verantwortung, diesem Wunsch nach Information und Beratung auch unabhängig vom Verkaufsinteresse nachzukommen und Aufklärungsarbeit zu leisten”, so VIG-Chef Löger.

Vier Risikotypen

In der Studie wurde anhand soziodemografischer und psychologischer Merkmale eine Risiko-Verhaltens-Typologie entwickelt, die vier Risikotypen unterscheidet: Verdränger, Unsichere, Rationale und Hochängstliche. Der höchste Anteil entfällt mit 33% auf die Verdränger, die glauben, immer alles fest im Griff zu haben. Sie unterdrücken belastende Emotionen und vermeiden stressauslösende Situationen konsequent. Grundsätzlich haben sie Verständnis für Finanzen, sind aber aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht oder schwer auf dieser Ebene ansprechbar.

Ein Viertel „Unsichere” …

28% sind den Unsicheren zuzuordnen. Sie beschäftigen sich oft zwanghaft mit unangenehmen Emotionen und versuchen, ihre Risiken unter Kontrolle zu halten. Unsichere verfügen damit über ein sehr hohes Risikobewusstsein, es mangelt ihnen jedoch an Kompetenz, wie damit finanziell umzugehen ist. Ihre Risiko-Bewältigungsstrategien sind daher nur punktuell effektiv.

… und „Rationale”

27% sind Rationale – sie sind gelassen und davon überzeugt, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können und suchen aktiv nach Problemlösungen.

Auch wenn sie ein nur schwach ausgeprägtes Risikobewusstsein haben und eher bereit sind, Risiken einzugehen, sind ihre Bewältigungsstrategien durchaus effektiv, auch, weil sie über solide Kenntnisse in finanziellen Belangen verfügen.
Den geringsten Anteil weisen mit zwölf Prozent die Hochängstlichen auf. Sie neigen zu Überreaktionen, reagieren oft impulsiv, haben zwar mehr Risikobewusstsein als der Durchschnitt, ihre Bewältigungs­strategien sind aber wenig effektiv.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL