••• Von Martin Rümmele
Die Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern und die Fusion der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse haben schon mit dem Start der neuen Träger zu Jahresbeginn für Diskussionen gesorgt. Entgegen der von der ehemaligen türkis-blauen Regierung angekündigten Einsparungen für eine „Patientenmilliarde” durch die Kassenfusion gab die ÖGK zu Jahresbeginn steigende Defizite für die nächsten Jahre bekannt. Für heuer gab man einen Bilanzverlust von 175,3 Mio. € an, bis zum Jahr 2024 soll dieser auf 544 Mio. € steigen. Kumuliert bedeutet das einen Bilanzverlust in fünf Jahren von insgesamt 1,7 Mrd. €. Das sei eine vorsichtige Schätzen und die „schlechtmöglichste Variante”, sagt der Obmann des Dachverbandes der Sozialversicherungträger, Peter Lehner.
Defizit explodiert
Doch das Coronavirus SARS-CoV-2 hat alle Planungen obsolet gemacht. Es kommt weit schlimmer, als man es sich zu Jahresbeginn hätte erträumen können. Allein die ÖGK befürchtet angesichts der Coronakrise für heuer ein Defizit von bis zu einer Mrd. €. ÖGK-Arbeitnehmer-Obmann Andreas Huss hat deshalb bereits eine Ausfallshaftung des Bundes verlangt.„Die Coronapandemie schlägt auch in der Österreichischen Gesundheitskasse wie eine Bombe ein”, sagte Huss. Erste Abschätzungen zeigen, dass allein im März rund 160 Mio. € weniger an Beiträgen geflossen sind als im Vorjahr. „Kommt nur von einem Drittel der Arbeitgeber keine Zahlung, beispielsweise, weil die Beiträge gestundet werden, fehlen uns Monat für Monat rund 200 Mio. Euro”, rechnet Huss vor. Dem gegenüber stehen jährliche, automatische Kostensteigerungen. „Wir garantieren auch unseren Vertragspartnern, Ärzten sowie Apotheken weiterhin die Zahlungen, genauso wie unseren Versicherten”, betont Huss.
Lehner wagt eine Schätzung für das Gesamtsystem noch nicht. „Es wird zu einer massiven Reduktion der Einnahmen kommen durch die hohe Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Wir wissen auch noch nicht, welche Kosten uns durch Corona wirklich entstehen.” Allein die Medikamentenausgaben seien im März massiv gestiegen; Lehner: „Das hat in gewissem Maß auch mit einem Hamstereffekt zu tun – den wir auch mit der Drei-Monatsrezeptur bewusst ermöglicht haben, damit die Menschen zu Hause bleiben können. Die Frage wird sein, ob Leute das jetzt aufbrauchen oder lagern.” Man sei im März bei einer Steigerung von 24% bei den Medikamentkosten im Gesamtsystem.
„Vertrauen ins System”
Ob die soziale und selbstverwaltete Krankenversicherung das überleben kann, wird von manchen Experten bereits angezweifelt. Wie weit die Staatshilfe gehen wird, ist offen; Lehner will jedenfalls nichts von einer Verstaatlichung wissen: „Ich habe großes Vertrauen an die Selbstverwaltung und gehe nicht davon aus, dass es das System an die Grenzen bringt.” Es gebe für die verschiedenen Kassen ganz unterschiedliche Voraussetzungen. „Das berufsständische Prinzip ist nach wie vor besser wie ein Staatliches.” Er glaube nicht, dass Letzteres besser, günstiger und treffsicherer wäre. Lehner: „Verstaatlichung ist keine Option.” Dass es staatliche Hilfe für die Versicherung gibt, wie es sie auch für Unternehmen gebe, sei wichtig, „aber nicht, dass man das System verstaatlicht – das ist weder für eine Fluglinie sinnvoll, noch für die Sozialversicherung.” Nachsatz: „Vor Corona hätte ich gesagt, das geplante Defizit ist zu stemmen. Es wäre im Rahmen der Selbstverwaltung und mit Maßnahmen möglich gewesen. Wie das jetzt aussieht, traue ich mir nicht zu sagen.” Ob es letztlich eine Unterstützung des Bundes braucht, könne er noch nicht sagen, das sei von Versicherungsträger zu Versicherungsträger unterschiedlich, sagt Lehner, der auch Obmann der Selbständigenkasse SVS ist. Er werde aber entsprechende Ansinnen von Kassen unterstützen. „Die Menschen erwarten sich eine gute Versorgung und dass dass die Sozialversicherung funktioniert.”