medianet: Aktuell wird viel diskutiert über die Gesundheitsversorgung und die Aufwertung des niedergelassenen Bereichs. Wie stellt sich die Situation für Sie dar, und wo liegen die Problembereiche?
Helmut Mödlhammer: Wir haben sicher im Vergleich zu anderen Ländern ein sehr gutes System, das von der Bevölkerung geschätzt wird. Wir haben aber auch zwei unterschiedliche Entwicklungen: in Zentralräumen einerseits und in ländlichen Gebieten andererseits. Dort sind die Anforderungen ganz andere, das zeigt auch eine aktuelle Umfrage: Die Menschen hier sind zufrieden, fürchten aber Verschlechterungen. Nicht zuletzt, weil der klassische Hausarzt, der rund um die Uhr erreichbar ist, eine aussterbende Rasse ist. Der wird aber aufgrund der Erreichbarkeit und nicht zuletzt auch der Vertrautheit sehr geschätzt. Wir sehen aber bei Ausschreibungen, dass sie gerade am Land immer schwerer zu besetzen sind. Hier müssen sich Kommunalpolitiker Antworten überlegen.
Peter McDonald: Dem kann ich mich nur anschließen. Wir haben eine hohe Zufriedenheit und auch eine hohe soziale Sicherheit und eine gute Versorgung, wo etwa in fast jedem Dorf ein Allgemeinmediziner verfügbar ist. Man muss aber auch sagen, dass das etwas Wichtiges und eben nicht Selbstverständliches ist. Wir haben aber in der Primärversorgung auch Handlungsbedarf, um das System fit für die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts zu machen. Die Menschen legen Wert auf eine ganzheitliche Betreuung und wollen, dass sich ein Arzt auch Zeit nimmt. Hier müssen wir den Blick auf die Bedürfnisse der Menschen legen und das tun wir, indem wir jetzt auch verschiedene Dinge in Pilotprojekten ausprobieren und etwa die Zusammenarbeit von verschiedenen Gesundheitsberufen forcieren.
medianet: Wie ist das im Detail?
Andrea Wesenauer: Wir sehen in allen Analysen, dass die Menschen den Wunsch nach einem klaren Ansprechpartner und einem Gesamtkoordinator haben. Hier gibt es einen starken Wunsch nach einer Betreuung und Behandlung aus einem Guss. Dazu muss man sagen, dass wir das Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren stark ausgebaut haben und EU-weit etwa die zweithöchste Arztdichte haben – quer durch alle Bereiche. Die hohe Strukturdichte führt auch zu einer hohen Kontaktdichte, weil es im Gesundheitsbereich eine angebotsinduzierte Nachfrage gibt: Das Angebot ist groß, aber die Menschen wissen eigentlich nicht, wo sie sich jetzt hinwenden sollen, um optimal versorgt zu sein. Hier geht es also darum, Präferenzen zu setzen, und das tun wir etwa mit den Primärversorgungszentren auch. Da geht es darum, Patienten unter einem Dach oder in einem Netzwerk optimal zu betreuen.
Reinhold Glehr: Das sehe ich ähnlich; die Überspezialisierung und die freie Wahl werden auch zu einem Problem zusammen mit der wachsenden Überalterung, dem steigenden Anspruchsdenken und dem Wunsch, dass alles rasch und optimal gelöst wird. Das führt zu zwei Problemen: Zum einen wird es teuer, wenn jemand etwa beim Problem mit dem linken Ohr sofort zum Superspezialisten für linke Ohre gehen will. Und zum anderen führt das auch zu einer Geringschätzung der Hausärzte in der öffentlichen Diskussion. Das hat sich nun mit der Gesundheitsreform zum Glück geändert. Wir brauchen eine Aufwertung des Hausarztes.
medianet: Wir hören aber, dass es zunehmend schwierig wird, ärztlichen Nachwuchs für den Beruf des Hausarztes zu gewinnen. Stimmt das und woran liegt es?
Glehr: Es geht gar nicht vorrangig ums Geld, sondern um die Frage, wie wir junge Ärzte motivieren können und die Rahmenbedingungen so gestalten, dass das passt. Für den Nachwuchs ist die Lehrpraxis sehr wichtig, es braucht aber noch Finanzierungsmöglichkeiten, weil ein ausbildender Arzt das aus dem laufenden Praxisbetrieb nicht finanzieren kann.
Mödlhammer: Wir haben Jung-ärzte befragt. Es fehlt ihnen die Ausbildung für den Beruf des Hausarztes, es fehlen wirtschaftliche Schulungen, wie Praxen geführt werden können, und neben der wirtschaftlichen Sicherheit ist die Lebensqualität wichtig. Man will nicht mehr laufend Wochenend- und Nachtdienste machen.
Wesenauer: Wir sehen tatsächlich, dass die Dichte der Bewerbungen nicht mehr so groß ist. Gerade wo Hausapotheken als zusätzliche Einnahmequelle fehlen, wird es schwerer. Viele Ärzte wollen aber auch nicht mehr als Einzelkämpfer tätig sein. Viele Frauen wünschen sich zudem Teilzeitmodelle. Hier sind einfach neue Formen des Angebots gefragt, die etwa die Primärversorgungszentren bieten können. Gleichzeitig können dort auch längere Öffnungszeiten angeboten werden. Es geht aber darum, das System evolutionär zu entwickeln und nicht eine Revolution zu starten. Wenn ein System funktioniert, werden es die Patienten annehmen und auch die Ärzte.
medianet: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem ersten Zentrum in Oberösterreich gemacht?
Wesenauer: Hier entsteht in Enns gerade ein Verbund, wo vier Ärzte gemeinsam bauen und auch andere Berufsgruppen eingebunden werden. Wir waren überrascht, wie viele Ärzte kamen und für sich auch solche Lösungen wollten.
Mödlhammer: Das ist sicherlich der richtige Ansatz. Machen wir Modellregionen und testen verschiedene Dinge aus. Wo es aber bestehende, funktionierende Systeme in Form von guten Hausarztmodellen gibt, sollte man diese erhalten. Wir müssen aber dabei aufpassen, dass wir nicht ein Zweiklassensystem schaffen, wo es gut ausgebaute Zentralregionen gibt und andere Bereiche darben.
McDonald: Weder das eine ist das Ziel noch eine flächendeckende Umsetzung. Es geht darum, die Systeme weiterzuentwickeln. Hier ist schon viel passiert. Die Frage wird sein, wie der Bedarf der Zukunft aussieht und wie auch die Kommunikation der Zukunft aussehen wird. Wir werden auch die Ärzte entlasten müssen, etwa durch eine telefonische Erstberatung. In machen Fällen kann das hilfreich sein. Das wird gerade alles getestet.
Glehr: Was mir hier gefällt, ist ein System mit verschiedenen Angebotsformen. Wichtig ist, dass nicht eine begünstigt wird. Man muss also bei Veränderungen im System sehr achtsam agieren. Das ist auch wichtig, um junge Ärzte in die Allgemeinmedizin zu bringen. Wenn sie das Gefühl haben, da kommen in einigen Jahren Neuerungen, werden sie jetzt nicht einsteigen und sich für einen Bereich entscheiden. Die Vielfalt ist also wichtig.
medianet: Wie sind die Strategien der Krankenversicherung?
Wesenauer: Es wird Angebote brauchen, die die Patienten ansprechen und die verfügbar sind. Die Menschen wollen ja nicht unbedingt in anonyme Spitalsambulanzen, sondern lieber dorthin, wo sie persönlich betreut werden. Patienten nutzen also die Systeme nicht einfach aus, sondern entscheiden sich oft auch Hilflosigkeit für eine Versorgungsform.
McDonald: Nicht zuletzt deshalb brauchen wir Zieldefinitionen und Qualitätsmessungen. Es passiert noch viel zu oft, dass Patienten im Kreis geschickt werden. Wichtig ist eine Lösung, die patientenfreundlicher ist und im Idealfall auch kostengünstiger. Mir gefallen hier die Ansätze mit Netzwerken sehr gut, die eine optimale Versorgung ermöglichen. Das spart dann auch Geld und Leid. Nun wird es wichtig sein, das umzusetzen. Wir wollen hier einen Wettbewerb der guten Ideen entfachen, um die Versorgung zu verbessern und nicht zuletzt auch in Prävention und Vorbeugung zu investieren.
Mödlhammer: Dazu wird es sicherlich auch eine Stärkung der Eigenverantwortung benötigen. Man muss auch ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass die teuerste Stelle nicht unbedingt die beste ist.
Wesenauer: Hier ist es wichtig, einen Best Point of Service zu definieren und zu schauen, welchen Bedarf man abdecken muss. Da geht es um Verfügbarkeit und vor allem ein besseres Ineinandergreifen der bestehenden Systeme.
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