Eine neue Ära beginnt
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LUXURY BRANDS&RETAIL eva winterer Britta Biron 12.04.2024

Eine neue Ära beginnt

Wien/Zug/Luzern. In den vergangenen Monaten wurde in der Uhren-Community häufig darüber spekuliert, ob die guten Zeiten für die edlen Zeitmesser vorbei sind. Das kräftige Wachstum der Exportzahlen der Schweizer Uhrenhersteller hatte sich im vergangenen Jahr eingebremst, und im heurigen Februar musste die erfolgsverwöhnte Branche zum ersten Mal seit zwei Jahren sogar einen Umsatzrückgang – minus 3,8% auf 2,05 Mrd. CHF – hinnehmen. Und am Sekundärmarkt gingen die Preise seit März 2022 zum Teil drastisch nach unten. Mit 144,922 USD lag etwa – so die Daten von New Bond Street Pawnbroker – der Durchschnittspreis einer Patek Philippe 2023 um 14% niedriger als 2022. Und selbst Rolex-Uhren wurden billiger, im Schnitt um 26.178 USD (–8%).

Schluss mit Hype …

Aber eine Momentaufnahme liefert nicht das ganze Bild – betrachtet man die Entwicklung über einen Zeitraum vom fünf bis zehn Jahren, zeigt sich das Gegenteil einer Krise. Der ungesunde Hype ist vorbei, die Blase geplatzt, die Spekulanten und Glücksritter haben den Markt für Certified Pre-owned (CPO) verlassen, Experten sehen diese Entwicklung positiv.
„Die Preisausreißer der vergangenen Jahre waren schon speziell – man kann sagen, es war eine Ausnahmesituation. In den 30 Jahren meiner Geschäftstätigkeit habe ich noch nie etwas in dieser Form erlebt”, so Michael Gunczy, Inhaber der Uhrmacherei, einem kleinen feinen Fachgeschäft in der Wiener Innenstadt. Die Preise liegen wieder – wie im Handel mit gebrauchten Luxusartikeln üblich – etwas unter dem der Neuware.
„Jetzt geht es wieder um Wertbeständigkeit und ein Investment, an dem man Freude hat, wenn man es trägt”, ist auch Nina-Despina Macourek, Uhrmachermeisterin und CPO-Manager Austria bei Bucherer, froh darüber, dass im Handel mit Secondhand-Uhren wieder Normalität eingekehrt ist. Der ungesunde Spekulationshype hatte ihrer Meinung nach aber auch einen positiven Effekt: „Er hat das Interesse am Markt geweckt und den Bekanntheitsgrad erhöht. Die vielen Zeitungsberichte über den Boom in der Branche waren ein Werbeeffekt.”
„Der Uhrenmarkt hat sich sehr verändert”, weiß Reinhold Frey, Gesellschafter der Wiener Timelounge und seit mehr als 45 Jahren in der Branche tätig. „Erst in den 1980er- und 1990er-Jahren stieg das Interesse durch geschickte Marketingmaßnahmen. Bis dahin galt eine Armbanduhr als nicht sammelwürdig.”
Die Analysten von New Bond Street Pawnbroker beziffern den weltweiten Gesamtmarkt für Luxusuhren mit rund 50 Mrd. USD, wobei gebrauchte Uhren mit 25 Mrd. USD einen mehr als entscheidenden Beitrag leisten. Das Wachstum wird sich bis 2032 nicht einbremsen. Das Schweizer Beratungsunternehmen Luxeconsult prognostiziert für 2032, dass der Umsatz am Sekundärmarkt mit 80 Mrd. USD jenen von neuen Uhren übertreffen wird.
„Der Gebrauchtuhrenmarkt ist quasi unlimited”, erklärt Frederike Knop, Managing Director & COO von Chronext. Dazu reicht ein Blick in die weitersteigende Schweizer Exportstatistik von neuen Uhren. „Es ist ein endloser Zyklus. Ich kauf etwas Neues, ich gebe es weiter, ich kauf mir etwas anderes. Das heißt, wenn der Uhrenmarkt und die Marken das Potenzial richtig nutzen, dann könnte man quasi jeden einzelnen Uhrenträger bespielen.” Daraus leitet sich eine grundlegende Frage ab: Was macht die Faszination von Gebrauchtuhren aus?
Die Experten sind sich darin einig, dass emotionale Faktoren eine wichtige Rolle spielen.

… und Spekulation

„Viele Menschen werden zeitbewusster. Sie wollen die aktuelle Schnelllebigkeit mit beständigen Werten, die eine Geschichte erzählen, überbrücken”, meint Julien Rossier, Österreich-Geschäftsführer von Bucherer. „Eine Uhr zeigt nicht nur die Zeit an. Sie hat eine Seele und diese Seele wird weitergegeben. Es geht um mehr als pre-owned, es geht um pre-loved.”
Natürlich geht die Faszination für Uhren über die emotionale Bindung hinaus. Es ist die Leidenschaft für die handwerkliche und technologische Präzisionsarbeit, die Sammlerleidenschaft für einzigartige Modelle, und natürlich zählt auch der Faktor Wertbeständigkeit.
Gunczy sieht über die emotionale Bindung hinaus zwei weitere Hauptmotive: „Neben dem Preisvorteil gebrauchter Uhren gegenüber neuen Uhren leisten sich Käufer nun jene Uhren, die sie sich vor etwa 20 Jahren noch nicht leisten konnten.”
Knop betont einen weiteren Unterschied: „Pre-owned-Kunden sind unglaublich vorinformiert – speziell Frauen. Wir sehen einen großen Unterschied im Such- und Kaufverhalten. Frauen haben auf der Homepage viel Recherche betrieben. Im Gegensatz dazu kommt der männliche Kunde mit einer sehr genauen Vorstellung, vergleicht die Preise und entscheidet sich deutlich schneller.”

Die Ära der Frauen

Gunczy sieht einen weiteren Geschlechterunterschied: „Frauen geht es stärker darum, etwas Besonderes zu finden.”
Zwar ist der Uhrenmarkt – ob neu oder gebraucht – eine Männerdomäne, aber die Frauen holen auf. So prognostiziert etwa die Schweizer Privatbank Vontobel, dass der wirtschaftliche Aufstieg von Frauen zu mehr Luxuskäufen von Schmuck und Uhren führen wird; Vontobel beschreibt diese Entwicklung mit dem Begriff „Womenomics”. Die verstärkte „Ich kann mir selbst Blumen kaufen”-Mentalität zeigt sich beim Uhrenkauf. Zwei Drittel der Frauen, so eine Deloitte-Studie zum Uhrenmarkt aus dem Herbst 2023, kaufen Uhren für sich selbst.
„Es ist schon spannend, zu sehen, dass, sobald Uhrenmarken Frauen als Marketing-Testimonials einsetzen, sich sehr viel mehr Frauen für die Produkte interessieren”, so Knop.
Michael Gunczy unterstreicht: „Es ist gar nicht so einfach, das richtige Angebot zu haben, da gebrauchte Damenuhren im Verhältnis viel weniger angeboten werden.” Das führt er darauf zurück, dass Frauen eher „Behalterinnen” sind. Die Chronext-Managerin sieht das ähnlich: „Wo der männliche Kunde im Kurzschluss eher sagt, er würde sich etwas Neues kaufen, lassen Frauen reparieren. Die Kundinnen legen besonderen Wert darauf, dass die Uhren ihren Wert erhalten und lassen sie regelmäßig aufbereiten.”

Unisex-Modelle …

Laut Deloitte verschwimmen die Grenzen zwischen typischen Damenuhren, bei denen bisher Material und Design im Vordergrund standen, und Herrenuhren, die für bestimmte Aktivitäten, wie etwa Tauchen oder Fliegen, konzipiert wurden. Der Trend geht jetzt verstärkt zur Inklusion und Unisex. Das bestätigt auch der anlässlich des diesjährigen internationalen Frauentags präsentierte „Herology”-Report der Online-Plattform Chrono24. Fast ein Drittel (32%) der von weiblichen Kunden gekauften Uhren haben eine Gehäusegröße von 40 mm oder mehr, vor fünf Jahren lag der Anteil dagegen bei nur 20%.
Jenny Bodenseh, CFO von Chrono24, kommentiert: „Der Markt für Luxusuhren wird klassisch von männlichen Käufern dominiert. Doch wir konnten beobachten, dass auch Frauen in den vergangenen Jahren immer mehr Interesse an hochwertigen Zeitmessgeräten haben. Weibliche Uhrenfans treffen dabei mit ihrer steigenden Vorliebe für großformatige Uhren den Nerv der Zeit. Auch in meinem unmittelbaren Umfeld stelle ich fest, dass das Interesse an hochwertigen Uhren zunimmt und Frauen immer größere Luxusuhren am Handgelenk tragen.”
Deutliche Geschlechterunterschiede gäbe es aber dennoch. So ist der Anteil der weiblichen Käufer bei Marken, die auch für edlen Schmuck oder exklusive Mode stehen, allen voran Chanel und Cartier, dreimal höher als jener der männlichen. Auch bei Chopard, Bulgari und Ulysse Nardin machen Frauen das Gros der Käufer aus, gefolgt von Piaget und Rolex. Zenith, Tudor und Seiko mit einem eher maskulinen Image haben dagegen den größten männlichen Kundenstamm und landen bei weiblichen Kundschaft auf den hinteren Plätzen.
Bei Rolex sind Frauen nicht nur anteilig gut vertreten, der unangefochtene King am Luxusuhrenmarkt dominiert auch die absoluten Verkaufszahlen. Fast jede dritte von Frauen gekaufte Uhr auf Chrono24 trägt das markante Kronen-Logo.

… liegen im Trend

Knop sieht nach Analyse der Nutzungszahlen auf der Chronext-Plattform weniger Unterschiede zwischen den Geschlechtern: „Wir haben uns angesehen, was denn eine Frauenuhr ist und was die weibliche Kundin kauft. Und siehe da, Frauen kaufen die gleichen Uhren wie Männer.” Vor allem, wenn sie die Möglichkeit haben, die Uhren direkt zu probieren. „Denn 38 Millimeter wirken auf Bildern sehr groß. Trägt man sie am Handgelenk, sieht sie ganz anders aus.”
„In den 70er- und 80er-Jahren war eine 36 Millimeter-Uhr eine vergleichsweise große Herrenuhr. Heute wird sie auch von Frauen gerne getragen”, sagt Macourek über den Wandel der Vorlieben, und Rossier ergänzt : „Der Uhrenmarkt ist heute in der Modellpräferenz durchmischt. Es gibt keine Trennung mehr zwischen Geschlechtern oder Generationen. Wir haben bisher immer versucht, zu kategorisieren, etwa in Millennials, Gen Z oder Babyboomer. Heutzutage ist jedoch die einzige existierende Kategorie, dass es keine Kategorien gibt. Daher muss man sich sehr breit bei Marken, Größe, Design oder Certified Pre-owned aufstellen.”
Der breiter und größer werdende Markt für Gebrauchtuhren bringt aber nicht nur zusätzliches Geschäft, sondern auch neue Herausforderungen im Hinblick auf Sicherheit und Transparenz mit sich. Allerdings ist Certified Pre-owned, kurz CPO, nur ein neuer Begriff, kein neues Konzept.
Gunczy meint dazu: „CPO heißt es erst in der letzten Zeit, als neue Player auf den Markt gekommen sind. Zuvor war der Markt von kleinen Händlern geprägt und es hieß Secondhand.” Er ergänzt: „Es geht um die Abgrenzung von Transaktionen von Privat zu Privat. Die Zertifizierung durch einen Händler bedeutet, dass die Uhr echt ist.”
Frey sieht das steigende Interesse von Konzessionären und Herstellern am Secondhand-Markt durchaus positiv: „Das ist eigentlich ein Ritterschlag für den Gebrauchtuhrenhandel.”
Bucherer ist einer der neuen, großen Player am Markt. Seit 2019 ist der Handel mit Uhren aus Vorbesitz ein wichtiger Geschäftsbereich. „Der Vertrauensfaktor hat dabei für uns höchste Priorität. Jede Uhr, die der Kunde bei uns kauft, wurde von einem für die Marke zertifizierten Uhrmacher auf ihre Authentizität geprüft und sorgfältig geprüft”, erklärt Odilo Lamprecht, Global Director für das CPO-Geschäft. Und Macourek ergänzt: „Es gab immer schon gebrauchte Uhren. Mit CPO haben gebrauchte Uhren einen Luxuswert bekommen.”

Mehr Transparenz …

Beim Thema Vertrauen sieht Gunczy den klassischen stationären Händler durchaus im Vorteil: „Es ist der persönliche Kontakt, der die Vertrauensbasis immer weiter stärkt. Ich kenne die Kunden persönlich und weiß, was sie wünschen. So kann ich ein eigenständiges Angebot entwickeln.” Bei aller Digitalisierung und dessen Mehrwert erkennt Gunczy den fehlenden persönlichen Kontakt als die Schwäche des Online-Handels, besonders im Luxusbereich. „Wir erleben immer wieder Kunden, die etwas online kaufen und nach der Lieferung und dem Probieren bemerken, dass ihnen das Modell nicht gefällt und sie die Uhr wieder hergeben möchten.”
Rossier bestätigt: „Wer eine CPO-Uhr kauft, will sie zuerst probieren und am Handgelenk spüren.”
Den Vorteil des phytigalen Geschäftsmodells – also der Verbindung von analogem und digitalem Handel – erkennen verstärkt auch E-Commerce-Unternehmen.
Chronext betreibt neben seinen Online-Shops bereits einige stationäre Lounges, unter anderem in Berlin, Hamburg, Düsseldorf oder München, und weitere Locations in Stuttgart, Dresden und Zürich sind geplant.

… steigert Vertrauen

„Wir werden ein luxuriöses Kundenerlebnis bieten und in den direkten persönlichen Kontakt vor Ort treten. Denn besonders die Kunden am Gebrauchtuhrenmarkt stellen wesentlich mehr Fragen. Transparenz ist daher unglaublich wichtig.”
Knop ist sich bewusst, dass für E-Commerce-Unternehmen das Thema Sicherheit und Zertifizierung einen noch höheren Stellenwert hat. „Chronext hat bereits vor zehn Jahren den Begriff CPO verwendet. Wir haben uns stark weiterentwickelt. In unserer haus­eigenen Uhrmacherei kontrollieren und zertifizieren wir die Uhren nach einem strengen 17-schrittigen Authentifizierungsprozess. Bei Marken, mit denen wir eng zusammenarbeiten, wird doppelt kon­trolliert. Da sprechen wir von pre-­certified.”
Die Managerin ergänzt: „Wir versuchen auf alle Arten und Weisen, unseren Kunden mögliche bestehende Unsicherheiten zu nehmen. Wir legen hohen Wert darauf, dass der Kunde zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hat, etwas sei unprofessionell.”
Insgesamt sind sich die Experten einig, dass die Zeiten für gebrauchte Uhren gut bleiben und auch kommende Generationen der Faszination des besonderen Ticks erliegen.

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