Gastkommentar ••• Von Julian Wiehl
WIEN. Sprach man im Jahr 2000 noch von sieben bis zehn Prozent homosexuellen Menschen, ist diese Zahl überraschend hoch. Manche sprechen deshalb gerne von einem Trend. Doch wenn man genauer hinsieht, ist die Entwicklung völlig nachvollziehbar. Die Frage ist eher, wie gehen wir damit um und was bedeutet das für die Politik, die Wirtschaft und die Kommunikation.
Teil eines Ganzen
Auch die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: In einer Gallup-Umfrage in 2021 in den USA wurden 13.000 der GenZ (1995–2010) befragt. 21% sahen sich darin als queer. Die Ö3 Jugendumfrage ergab jetzt einen ähnlichen Wert von 20%. Dabei versteht man unter queer unterschiedlichste Positionen. Schwul-Lesbisch macht hier nur einen Teil aus. Der größere Teil sind die Bisexuellen und vor allem jene, welche die klassischen Rollenbilder von starker Mann und schwache Frau als Identität ablehnen. Dazu gehören auch die Non-Binären, die sich irgendwo zwischen den Polen sehen. In der LGBTQAI+ Community spricht man schon lange von „Gender is a Spektrum”, also einem fließenden Verlauf zwischen den Geschlechtern. Die Kinsey-Studie aus 1948, bekannt durch den gleichnamigen Kinofilm mit Liam Neeson, war wohl die Grundlage für diese Idee. Danach waren nur zehn Prozent der Befragten zu 100% hetero und weitere zehn Prozent zu 100% homosexuell. 80% gaben an, dass sich ihre Sexualität dazwischen abspielt.
Neue, freie Welt?
Heute kommt noch ein weiterer Fakt dazu. 1994 wurde das letzte homosexuellenfeindliche Gesetz in Deutschland abgeschafft. Und erst in 2019 gab es die Ehe für alle in Österreich. Zum ersten Mal in der Geschichte wächst eine Generation in einer Welt heran, in der es keine Verbote mehr gibt. In manchen Ländern gibt es sogar einen Diskriminierungsschutz. Von einem Trend kann also nicht die Rede sein. Es ist wohl eine natürliche Entwicklung, wenn man sie auch lässt. Auch biologisch lässt sich belegen, dass Diversifikation einen evolutionären Vorteil bedeutet (siehe Buch: „Die Durchschnittsfalle”, von Markus Hengstschläger).
Gekommen, um zu bleiben
Die Frage ist also nicht, ob diese Entwicklung bald wieder vorbeigeht, sondern was sie für uns bedeutet. Wie müssen Produkte an diese neue diverse Gesellschaft angepasst werden, was verändert sich dadurch in der Kommunikation und Werbung und wie muss man sich als Arbeitgeber auf diese neuen Generation vorbereiten?
Eines ist klar. Die flexibelsten Unternehmen gehören schon jetzt zu den Gewinnern, und die großen Investmentfonds investieren nur noch in jene Firmen, in denen Diversität zur Strategie gehört. Der Mut zur Diversität macht sich also auch bezahlt.