Die 52 Gebote der Digitalisierung
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MARKETING & MEDIA sabine bretschneider 27.05.2016

Die 52 Gebote der Digitalisierung

Des neuen Kanzlers „New Deal” soll zum digitalen Pakt mit der Wirtschaft werden. Die Internetoffensive Österreich (IOÖ) geht in Vorleistung.

••• Von Sabine Bretschneider

Befragt nach seiner Ansicht zu Disruption und Digitalisierung, antwortete der neue Bundeskanzler, damals noch in seiner Funktion als ÖBB-Chef, im Oktober des Vorjahres im Industriemagazin folgendermaßen: „Wir Europäer tendieren oft dazu, Probleme völlig richtig zu analysieren und dann grandios an der Umsetzung der Lösungen zu scheitern. ” Gut ein halbes Jahr später steht Kern genau vor dieser Aufgabe. Aus Visionen, die in Sachen Digitalisierung der Alpenrepublik auch von durchaus Berufenen gewälzt werden, soll jetzt Ernst werden – Ernst, Jobs und Wirtschaftswachstum, genauer gesagt. Gleich zu Amtsantritt rief Kern eine „Agenda 2025” aus, einen „New Deal”, der das Land wirtschaftlich wieder flott machen soll. Was viele Beobachter in Österreich an Konzepte Roosevelts erinnerte, zitierte die Frankfurter Allgemeine als Anlehnung an den damaligen „Modernisierungspakt für Deutschland” des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Die Erwartungs­haltung an den Neuen wächst.

Am Montag jedenfalls sprang eine heimische IKT (Informations- und Kommunikationstechnik)-Allianz, der Branchenverband Internetoffensive Österreich (IOÖ), dem Kanzler zur Seite – und machte der Bundesregierung das durchaus moralische Angebot eines „Digital New Deal” für das Land. Das Ziel: Wirtschafts- und Arbeitsplatzwachstum am Standort Österreich. Mit einem prognostizierten Plus von 3,3% wachse der IKT-Markt heuer etwa doppelt so stark wie die Gesamtwirtschaft, hob Norbert Schöfberger, Präsident der IOÖ und Geschäftsführer von Hewlett Packard Enterprise, hervor. Dennoch liege Österreich beim gängigsten Vergleichsmaßstab des Internet Readyness Index (siehe ­Tabelle) derzeit nur auf Platz 20.

Schöfberger: „40.000 Jobs”

Mittels der von der IOÖ präsentierten, etwas sperrig „52 Maßnahmen zur beschleunigten Digitalisierung Österreichs bis 2020” getauften ­Offensive könnten, so die Branchenvertreter, bis zum Jahr 2020 etwa 10.000 Arbeitsplätze direkt in der IKT-Branche geschaffen werden – und an die 40.000 insgesamt, wenn man die Triggerwirkung auf weitere Branchen einbeziehe. Es gehe darum, wirtschaftliche Anreize für Unternehmen zu setzen, präzisierte Schöfberger. Die Empfehlung: Den Unternehmen die vorzeitige Abschreibung für Investitionen im digitalen Umfeld und Dienstleistungen wieder zugänglich zu machen.

Was es vorrangig dafür braucht, (siehe „Forderungskatalog der IOÖ”), sind die infrastrukturellen Voraussetzungen – Stichwort „Breitbandmilliarde” – und die Schulung der Österreicher in Sachen digitale Kompetenz. Als Teil der 52 Maßnahmen fordert die IOÖ demgemäß auch den Ausbau digitaler Kompetenz als „vierte Kulturkompetenz” bzw. die „Einstufung der Schulen in einem IKT-Reifegradmodell, um gezielt Unterstützung und Förderung zu ermöglichen”, wie auch die „Ausweitung der Förderungen für berufsbegleitende Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich Digitalisierung”. In dieselbe Kerbe schlug Peter Lenz, Konzern-CIO der ÖBB (und IOÖ-Vizepräsident): Auch er wünscht sich eine stärkere Ausrichtung der Aus- und Weiterbildung an IKT-Themen. Es sei wichtig, in den Universitätsstudiengängen die nötigen einschlägigen Kompetenzen zu vermitteln, aber auch Basiskompetenzen in den Schulen. Laut Berechnung der EU-Kommission fehlen bis 2020 rund 800.000 IT-Fachkräfte in der EU. Und falls man sich wundere, warum ein ÖBB-Manager sich so im IKT-Umfeld engagiere, so Lenz: Der ÖBB-Konzern beschäftigte derzeit 700 IT-Fachkräfte.

„Religiöser Charakter”

Die Diskussion um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsplätze ist und bleibt allerdings eine Kampfzone und Gegenstand heftiger Diskussionen. Während die österreichische Bevölkerung laut einer aktuellen Umfrage von Marketagent.com mehrheitlich davon ausgeht, dass die Digitalisierung mehr Arbeitsplätze vernichtet als schafft, zeigten sich Experten bei einer Podiumsdiskussion der Plattform „Digital Business Trends” (DBT) kürzlich eher uneins. „Die Debatte um die Digitalisierung hat schon fast religiösen Charakter”, erklärte etwa Carsten Brzeski, Chef-Volkswirt der ING-DiBa. „Man fühlt sich an einen Glaubenskrieg erinnert. Dabei kann wissenschaftlich gar nicht genau belegt werden, ob beispielsweise Roboter nun gut oder schlecht sind.” „Die meisten Berufe verschwinden nicht einfach”, erklärte Roland Sommer, Geschäftsführer des Vereins „Industrie 4.0 Österreich – die Plattform für intelligente Produktion”. Vielmehr würden neue Tätigkeitsprofile mit höheren Qualifikationsanforderungen entstehen. Immer wichtiger, bestätigte er gleichlautende Ansätze der IOÖ, seien deshalb Weiterbildung und Flexibilität. Die menschenleere Fabrik werde es jedenfalls nicht geben. „Im kreativen Bereich der Produktentstehung bleibt die menschliche Intelligenz unverzichtbar.”

Schramböck fordert „Tempo”

Unbestreitbar ist, dass zwar größere Unternehmen sich leichter tun mit einer professionellen Konzeption und Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie im Unternehmen, dass aber Digitalisierung und das Internet der Dinge vor allem für kleinere Unternehmen eine Chance darstellen, um Nischen zu erschließen und neue Marktanteile zu gewinnen – sofern die Rahmenbedingungen passen. 2015 wurden jedenfalls 2015 insgesamt 300 Mio. € von der Breitbandmilliarde ausgeschrieben. „Für mich ist der Breitbandausbau die Lebensader für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft”, sagte die Chefin der A1 Telekom Austria, Margarete Schramböck, beim IOÖ-Pressegespräch. Dabei komme es sehr auf das Tempo des Ausbaus an. „Wir müssen rasch breitbandiges Internet zu den Haushalten und Unternehmen bringen, um wettbewerbsfähig zu sein am Markt.” Österreich dürfe hier nicht weiter zurückfallen.

Das „Innovationsmindset”

Als „Vertreter der Medien- und Contentwirtschaft in Österreich” meldete sich Marcin Kotlowski, CEO der WH Medien GmbH und Vizepräsident der IOÖ, zu Wort: Das Leitmotiv müsse „weg von Ängstlichkeit und Sorge” sein. Ein „Innovationsmindset” brauche eine positive Stimmung: „Schlechte Laune ist der größte Feind des Wachstums”, postulierte er. Es sei „ein guter Tag, endlich ein Angebot für einen Pakt mit der Wirtschaft zu legen und als Partner der Regierung in einen Dialog einzutreten”. Dies bekräftigte zu diesem Anlass auch T-Mobile Austria-Chef Andreas Bierwirth: „Österreich braucht einen Digitalisierungsruck!” Erste Gespräche, so die Vertreter der IOÖ, mit Regierung und Ministerien seien schon im Laufen.

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