Ernüchternde Bilanzen
MARKETING & MEDIA Redaktion 05.06.2020

Ernüchternde Bilanzen

Die Aufreger von gestern fallen heute unter postmoderne Beliebigkeit.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

 

SIE DREHT SICH. Was für ein Jubeljahr. 100 Tage Coronakrise, ein Jahr Ibiza-Video, fünf Jahre EZB-Geldschwemme, zehn Jahre eingetragene Partnerschaft … „Bald wird jeder Unternehmer jemanden kennen, der nicht mehr die ÖVP als Unternehmerpartei wählen wird”, sagt Christina Hummel, Chefin des Café Hummel in der Josefstadt, im Kurier über die Corona-Hilfen und den Mittelgewichtsfight zwischen Landtmann-Chef Querfeld und dem Tourismusministerium. Falter-Chefredakteur Florian Klenk beschreibt den Director’s Cut des Ibiza-Videos als „eine Mischung aus Kottan und Pulp Fiction”, „grotesk”, „provinzlerisch und komisch”. „Wir können aktuell bis Ende des Jahres über eine Billion Euro einsetzen”, bereitet EZB-Präsidentin Christine Lagarde den Boden für eine Ausweitung eines neuen Anleihen-Notkaufprogramms auf. Good News kommen von Punkt 4: Die Verpartnerung hat inzwischen ihren stigmatisierenden Bindestrich verloren und wurde der Ehe gleichgestellt. Dennoch heiratet derzeit kaum jemand. Warum? Siehe Punkt 1, 100 Tage Corona.

Nun kann man zwar „nicht zweimal in denselben Fluss steigen” (Heraklit) und „Geschichte wiederholt sich nicht und wenn, dann nur als Farce” (Merkel), aber manches kommt einem nach einigen Zusatzrunden schon dermaßen bekannt vor, dass selbst Aufregendes langweilt. Das ist ein Problem.
Oder nehmen Sie immer noch an, dass die Corona-Wirtschaftskrise durch großzügige staatliche Hilfsprogramme bewältigt werden kann? Glauben Sie noch an die aufklärerische Wirkung von U-Ausschüssen inklusive Festschreibung der politischen Verantwortung? Vertrauen Sie darauf, dass mittels rauchender Gelddrucker in Brüssel der Euro stabil – und die Union intakt – bleiben wird? Und wird die Frage „Ist eine ‚Ehe ohne Glauben' möglich?”, die der Vatikan in einer brandaktuellen Erklärung der Internationalen Theologenkommission diskutiert, in die Konzeption der Ehe light einfließen? Allein, uns fehlt der Glaube.

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