Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider
FRAGEN. Es darf also wieder geshoppt und gegastgartelt werden. Demnächst fallen (fast) alle Beschränkungen und – so hoffen Handel und Gastronomie inständigst – auch alle Hemmungen. Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Seit März ist in Wahrheit die ganze Welt zum Experimentierfeld geworden.
So ganz stimmt das allerdings auch nicht. Ein Experiment als methodisch angelegte Untersuchung zur empirischen Gewinnung von Information sähe anders aus, hapert es doch eindeutig an der Methodik, im Sinne der Kunst des planmäßigen Vorgehens. Wissenschaft ist der neueste Stand bewiesener Irrtümer – und bis wir im Rückblick tatsächlich bewerten können, welche Strategien sich in der Covid-Epoche als nutzenstiftend, als sinnhaft, als kaufmännisch richtig, als demokratiepolitisch unbedenklich, als sozial verträglich für das Individuum erwiesen haben, ist es nix mit bewiesenem Irrtum oder bestätigter Theorie.
Zurück zur Wiedereröffnung der Einkaufszentren, zum Aufsperren der Beisln, Restaurants und Gastgärten – zum Beginn der Aufwachphase aus dem künstlichen Koma, in das die Wirtschaft versetzt wurde, um das Schlimmste zu verhindern. Aber ist die Abwägung von „Geld oder Leben” in diesem Kontext eigentlich zulässig?
In dieser Absolutheit …
Der deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble warnte am Wochenende in der SZ angesichts der massiven Hilfen in der Coronakrise vor der Überforderung des Staates. Angesichts der Einschränkungen warnte er davor, dem Schutz von Leben alles unterzuordnen: „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig.” Wenn es überhaupt einen absoluten Wert im Grundgesetz gebe, dann sei das die Würde des Menschen. „Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.” Dem kann man zustimmen, muss man nicht. Aber man kann sinnieren.