••• Von Christian Novacek
Rainer Will vom österreichischen Handelsverband verpackt es drastisch: „Brandbeschleuniger ist eindeutig die Covidkrise”, meint er in Anbetracht einer besonders dynamischen Zunahme des E-Commerce im 1. Halbjahr 2020. Die Top-Warengruppen im Distanzhandel (90% E-Commerce plus 10% Versandhandel via Kataloge) sind laut Studie von Handelsverband und KMU-Forschung Austria Bekleidung mit 1,95 Mrd. €, Elektrogeräte mit 1,2 Mrd. und Bücher mit 0,6 Mrd. € Umsatz.
Die Corona-bedingt stärksten Zuwächse schafften die Sektoren Computer/Hardware mit +18%, Kosmetik mit +17% sowie Sportartikel mit +11%. Und wo steht nun im Kontext der Lebensmittelhandel?
Status quo im LEH
Weniger als zwei Prozent der Konsumausgaben im Distanzhandel fließen in den LEH (Quelle: E-Commerce-Studie von Handelsverband und KMU-Forschung). Im Vergleich zu Non-Food, wo bereits knapp 20% des Erlöses online getätigt werden, ist das eine kleine Nummer. Aber bleibt das so? Nach derzeitigem Ermessen nicht, denn die Coronakrise hat auch den Einkauf von Lebensmitteln mit einem stattlichen Plus von 26% befeuert.
Die beiden Big-Player im Bereich lauten hierzulande auf Spar und Billa. Spar-Sprecherin Nicole Berkmann berichtet nicht nur von einem starken Anstieg in der ersten Lockdown-Phase, sondern von einem aktuell prolongierten Trend.
Starker Anstieg in Wien
„Die Bestellungen sind zwar wieder etwas zurückgegangen, aber immer noch auf einem Niveau von plus 50 bis plus 60 Prozent über dem Vorjahr. Seit vergangener Woche (Anm.: gemeint ist seit 14. September) bemerken wir einen deutlichen Anstieg der Bestellungen, vor allem in Wien. Die Bevölkerung wird offensichtlich wieder nervöser angesichts der steigenden positiven Fälle.”
Die signifikanten Zuwächse bedingen nun zwar keine Änderung in der Spar-Online-Strategie, „aber natürlich wurde die gesamte Organisation mit Ressourcen ausgestattet, um den Anstieg der Bestellungen bewältigen zu können”, erläutert Berkmann.
billa.at im Aufwind
Auch seitens Rewe herrscht Zuversicht in Bezug auf billa.at. „Während Corona haben viele Kunden den Billa Online-Shop genutzt und schätzen gelernt”, sagt Pressesprecher Paul Pöttschacher. Viele dazugewonnene Kunden seien weiterhin von den Vorteilen überzeugt, und der E-Commerce-Anstieg konnte somit nachhaltig gehalten werden.
Auch die Steigerung war hoch, aber wie schon bei Mitbewerber Spar hat sich deswegen die Strategie nicht grundsätzlich verändert, „aber sie wurde sicherlich beschleunigt”. Mit klarer Auswirkung auf das stationäre Geschäft, denn: „Vor allem die Expansion von Click&Collect haben wir aufgrund des positiven Kundenfeedbacks vorgezogen und werden bis Ende 2020 in über 400 Filialen das Click&Collect-Service anbieten.”
Weniger Preisaktionen
Den deutlichen Schubs in Richtung Digital Retail (bezogen auf Frischeprodukte) bestätigen auch die RollAMA-Daten für das erste Halbjahr 2020. Bemerkenswert sind einige Rahmenbedingungen dazu. So ging etwa der Aktionsanteil während des Lockdowns zurück, gleichzeitig erreichte der Bio-Anteil im Handel im Juni mehr als zehn Prozent.
Während Michael Blass, Geschäftsführer der Agrarmarkt Austria Marketing GesmbH, hier aus Konsumentensicht eine neu bzw. erneut entdeckte Affinität zur Wertigkeit von Lebensmitteln verortet, tendieren Konsumentschützer eher zur Interpretation, dass die Gunst der Stunde den Weg für Preiserhöhungen bereitet. Besonders lukrativ laut AMA waren im E-Commerce die Monate März mit einem Plus von 22,9% im LEH im Erlös auf die von der RollAMA erhobenen Produkte; im April waren es +26,8%, im Mai +19,3. Im Juni gingen die Zuwächse auf 12% gegenüber dem Vorjahr zurück.
Preisbewusst online shoppen
Auch bei den preisbewussten Konsumenten ist Corona ein Treiber in Sachen Onlineshopping – mit Aussicht auf Konstanz: 60% der vom Online-Preisvergleichsportal idealo.at befragten Konsumenten gaben an, Corona-bedingt häufiger online zu shoppen. Und sie gaben ebenfalls an, dies beibehalten zu wollen – ein Trend, der sich wohl bei einer zweiten Welle weiter manifestieren wird.
Was für Lebensmittel gilt, gilt ebenso für einen großen Teil der Non Food-Warenbereiche. Maßgeblicher Player ist in Österreich die Unito-Gruppe. Deren Chef Harald Gutschi findet klare Worte: „Man kann auf jeden Fall von einem Beflügelungseffekt der boomenden E-Commerce-Branche auf die Unito-Erlöse sprechen – im ersten Halbjahr wachsen wir ordentlich im zweistelligen Bereich.”
Nachhaltige Zuwächse
Es sei zu einer unglaublichen Beschleunigung beim Wachstum gekommen: „Natürlich muss man alles um die sieben Wochen des Lockdown bereinigen. Aber was sonst vielleicht innerhalb von fünf Jahren passiert wäre, hatten wir durch diese Beflügelung jetzt bereits in lediglich sechs Monaten.”
Die positive Entwicklung im E-Commerce hält Gutschi auf jeden Fall für nachhaltig. Er verweist auf die eingangs erwähnte Studie der KMU Forschung Austria, die für die gesamte Branche ein Online-Umsatzwachstum von 30% aufweist.
Weiter starke Zuwächse
Gutschi merkt an: „Im Non-Food-Bereich wird momentan jeder fünfte Euro online ausgegeben, bis in fünf Jahren wird es jeder dritte Euro sein.” Auch im Food-Bereich seien die Zuwächse markant. Zwar klingen zwei Prozent Handelsvolumen auf den ersten Blick vielleicht nicht viel, „wenn man aber bedenkt, dass es bislang bei einem Prozent lag, ist es dennoch eine Verdoppelung”, rechnet der Unito-Chef vor. Er konstatiert eine Änderung des Kaufverhaltens, die vom Kunden ausgeht: „Der Kunde treibt diese Änderung voran!”
Gerade erst am Anfang
Was jetzt in der Branche passiert, hält Gutschi für den größten Transformationsprozess im Handel überhaupt: „Und es fängt erst an: Es ist quasi the Beginning of the Beginning of the Beginning. Es wird noch dramatische Umwälzungen geben”, so der Unito-Chef.
Den stationären Handel will Gutschi nicht als obsolet erklären. Er verweist auf neue Entwicklungen: „Ich will jetzt nicht sagen, dass der Stationärhandel komplett verschwinden wird. Geht man von den aktuellen Berechnungen aus, werden ja trotzdem noch zwei von drei Euro stationär ausgegeben”, umreißt er die Ist-Situation. Und folgert: „Es braucht dort aber definitiv andere Geschäftsmodelle. Überleben wird nur, wer stationär und digital verbindet. Denn: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.”