KI als Inspirationsquelle
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MARKETING & MEDIA Redaktion 07.07.2023

KI als Inspirationsquelle

Warum sie zwischen „unsichtbarer und erlebbarer KI” unterscheidet, erklärt Cosima Serban, Gründerin der Digitalagentur digimetive, im medianet-Talk.

••• Von Dinko Fejzuli

Nach vielen Jahren Agentur­erfahrung hat Cosima Serban ihre Digitalagentur digimetive, ein Akronym, das für Digital, Media und Creative steht, im Sommer 2019 gegründet und teilt im Expertinneninterview mit media­net ihre Meinungen zum Thema KI, Urheberrecht, und Ethik im Umgang mit der synthetischen Welt.

medianet: Frau Serban, das Thema KI war zwar unterschwellig seit Jahren da, ist aber erst in den letzten Monaten so richtig über uns hereingebrochen. Frage dazu: Wie kann KI generell dazu beitragen, Marketingentscheidungen zu optimieren? Ersetzt KI dabei bisher verantwortliche Personen oder ist es eine Art Ergänzung?
Cosima Serban: Ich unterscheide zwischen der unsichtbaren und der erlebbaren KI.
Auf der einen Seite gibt es die Weiterentwicklung der Komponenten im Hintergrund der Algorithmen, Ad Manager und Plattformen, die bessere Datensegmentierungen, Vorhersagen zu Nutzer- und Kundenverhalten, somit präzisere Targeting-Optionen, automatisierte Inhaltsrotationen, responsitiv zusammen stellbare Formatvariationen, Personalisierungs-Möglichkeiten, Smart Bidding Logiken und Empfehlungen generieren können, um dadurch die Effizienz und Effektivität von Content und Anzeigen erhöhen zu können.
Auf der anderen Seite gibt es die KI-Tools, die autark funktionieren und komplementär eingesetzt werden können, wie Midjourney, DALL·E, ChatGPT, Stable Diffusion, Craiyon, Lumen5, Soundraw uvm.

Wenn zum Beispiel eine Plattform verspricht, Algorithmus-basiert und KI-getrieben, primär den Personen eine Anzeige auszuspielen, die am ehesten kaufen würden, muss man sich darauf verlassen, dass das stimmt und wenn die Kampagnenerfolge den Erwartungen nicht entsprechen, gibt es keinen magischen KI-Button, der die Erfolge steigert, Ergebnisse neu generiert oder überhaupt detailreiche Gründe auflistet, was, wie und wieso genau suboptimal gelaufen ist. So braucht man immer noch die eigene Expertise, um die Daten und Metriken richtig interpretieren zu können, Optimierungspotenziale zu identifizieren und die passenden Maßnahmen umzusetzen.

So klingt in diesem Szenario die KI spannend, jedoch ist das System undurchschaubar und oft eher ein Versprechen als immer eine erlebbare Garantie. Man verlässt sich eher drauf, dass „Ad Manager XYZ“ besser wissen wird, wem die aktuelle Kampagne ausgespielt werden soll und darauf, dass die Daten, die für diese versprochene Präzision berücksichtigt werden, überhaupt richtig oder sinnvoll sind. Eine große Frage der Datensauberkeit: damit z.B. eine Social Media Plattform eine Person einem bestimmten Interessenspool zuordnet, braucht es oft eine minimale Interaktion mit einem Inhalt, unabhängig vom Grund, Kontext oder Intention. Die KI nutzt dann diese Daten, um z.B. Prognosen zu erstellen, jedoch hat die herangezogene Datenbasis nicht immer viel mit der Realität der interagierenden Person zu tun. So empfehle ich meinen Kunden und Kundinnen, mehrere Blickwinkel einzunehmen, Prozessschritte zu hinterfragen und alle Aspekte zu berücksichtigen. KI-getriebene Automatisierungen und Dynamisierungen werden oft inflationär ausgesprochen und versprochen und klingen so, als müsste man gar nichts mehr machen. Damit diese in der Tat und nicht nur als Statements für Pressemeldungen gut funktionieren, müssen die Logik und das ursprüngliche Setup von Menschen richtig durchdacht, geplant und aufgesetzt werden.

Wenn man die Welt der KI im anderen Kontext erlebt und dabei autarke oder Add-On KI-Tools testet, die Bilder, Videos, Musik, Texte o.a. generieren können, erlebt man einen vielleicht greifbareren Proof of Concept.

Oft hat man als marketingverantwortliche Person viele und sehr kreative Ideen, jedoch könnte die finale Konzeptentwicklung eine Herausforderung darstellen. Je nach Thema können die passenden KI-Tools, Ordnung und Struktur im Briefings- und Entwicklungsprozess reinbringen. So stellen diese zusätzlichen KI-Tools aus aktueller Sicht eher gute Inspirationsquellen dar und können bei der Strukturierung von Ideen helfen.

Als Beispiel: KI-Tools, die Visuelles erstellen, können Briefings für Fotografen, Videoproduzenten oder Kreativagenturen erleichtern und Feedbackschleifen minimieren. Die KI übersetzt die eigenen Ideen in visuellen Details, Briefings und Mockups und so kann man diese anderen besser erklären. Ob die KI-generierten Visuals dann die Fotos oder Videos, die von Experten erstellt werden sollten, komplett ersetzen können, ist eher eine Frage der präferierten Ästhetik und Preispolitik.

Die Logik hinter einer Strategie oder einem Konzept, die ethischen und moralischen Komponenten, die sehr stark in der menschlichen Erfahrung und Expertise angesiedelt sind, können meiner Meinung nach von KI-Tools noch nicht ersetzt werden. So kann die KI, Marketingverantwortliche nicht sinnvoll ersetzen oder jedes Mal wirklich ergänzen, eher noch sinnvoll inspirieren und vielleicht motivieren, Neues zu testen und mit Ideen zu experimentieren.

medianet: Wenn wir etwas genauer hineinblicken, dann gib es etliche Bereiche, wo KI zu erheblichen Umbrüchen führen kann. Welche sind das ihrer Meinung nach, und wie sind die Auswirkungen?
Serban:Die größte Chance sehe ich für kleine Unternehmen, die sich sonst keine Experten oder Kreativagenturen leisten könnten. Low Budget Produktionen könnten durch KI-Tools ersetzt werden. UGC / User Generated Content, Social Media Product-Placement, Content Creators als Affiliate Partner und KI-Tools für Bilder, Videos, Musik und Copywriting werden für alle mit wenig Marketingbudget mehr Vielfalt im Kreationsbereich ermöglichen. Die visuelle Qualität der KI wird ständig besser und das wird vermutlich Auswirkungen mit sich bringen, z.B. auch für die Plattformen, die Stockmaterial verkaufen. Die Serie an KI-generierten Fotos oder Videos wird jedoch eine gut durchdachte Strategie und einen sinnvollen Plan auch nicht ersetzen können. Das: was, wie, wo, für wen, mit welchem Ziel und zu welchem Zweck sind wichtig.

Grundsätzlich sind die Ergebnisse aus der KI schnell und günstig und manchmal vollkommen in Ordnung, je nach Geschmack. So gibt es jedoch auch plötzlich viele selbsternannte Prompts-Profis und KI-Experten (was auch immer das bedeutet, ausgenommen die Personen, die KI-Lösungen und Algorithmen programmieren können) wie Sand am Meer. Im visuellen Bereich ist meine Prognose, dass auch durch sie getrieben, ein paar stark KI-fokussierte Jahre folgen werden, bis die KI dann kreativ, für die menschliche Erfahrung als zu einschränkende, unpersönliche, gar täuschende Uniformisierung empfunden wird. Jede technologische Revolution hat auf der einen Seite die Welt neu geordnet und auf der anderen Seite ein Revival der Nostalgie ermöglicht. Die KI an sich wird (noch) nichts vollkommen ersetzen, sondern eher vereinfachen, beschleunigen, ergänzen und erweitern. Die Welt rund herum wird jedoch eine Transformation erleben.

Alt und jung haben heutzutage Zugang zu so vielen Informationen, noch mehr verstärkt durch den Social Media Konsum. Dieses ohnehin einfach und überall zugängliche Wissen wird durch z.B. ChatGPT oder bald auch in Europa, Google Bard noch vereinfachter, präziser und schneller zusammengefasst. In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie Ausbildung und Weiterbildung zukunftsorientiert umdefiniert werden müssen. Braucht es andere, neue, zusätzliche Inhalte im Curriculum bzw. funktionieren die alten Inhalte oder gar Abschlussmodelle noch? Braucht es vielleicht mehr Fächer zum Umgang mit der digitalen und künstlichen Welt, über die Gefahren und Chancen oder zum Thema, wie Informationsrecherchen und Faktenchecks korrekt durchgeführt werden müssen?

medianet: Wo das Thema KI ist, ist auch das Thema Copyright und Urheberrecht nicht weit. Wer gilt denn nun als Urheber von Content, der von KI generiert wurden, und welche rechtlichen Herausforderungen ergeben sich in Bezug auf das Copyright?
Serban: Zuerst ist das Thema der Copyrights und Urheberrechte im Kontext der Inhalte relevant, die für die Entwicklung und das Training von KI-Tools eingesetzt wurden. Wichtig zu berücksichtigen ist, dass sich die meisten KI-Unternehmen, wie z.B. ein Teil von Open AI als Non-Profit Organisationen mit einem Fokus auf die Erforschung von künstlicher Intelligenz definiert haben, ohne genau zu erklären, was danach im gewinnorientierten Teil des Unternehmens passieren wird. Als Trainingsmaterial für einige Tools wurden Kunstwerke jeder Art eingesetzt, die online verfügbar waren, jedoch ohne Anfragen oder Zustimmungen. So sind die ursprünglichen Urheber oft nicht an den Einnahmen beteiligt. In diesem Kontext gibt es international einige Sammelklagen, die ihre Schlussfolgerungen noch nicht erreicht haben. Das ist per Definition ein in sich geschlossener Graubereich, denn es gab keine Gesetze, Regelungen oder Präzedenzfälle für die Erforschung von KI, aus deren Erkenntnisse, Profit generiert wird.

Wenn somit ein KI-Tool eher ein Collage-Tool auf kleinster Pixelebene darstellt, da es zuerst aus dem Gelernten, für das es keine Copyrights besitzt, kopiert und nichts Neues aus dem eigenen Intellekt kreiert, können die generierten Visuals oder Informationen, aus einer Perspektive der Ethik und Moral, dem Prompter eines KI-Tools auch nicht gehören.

Die Gesetze entsprechen jedoch, wie in den meisten Fällen, nur Situationen, die nicht durch die Linse der digitalen, virtuellen oder synthetischen Welt konzipiert wurden. So ist im Kontext der KI-generierten Ergebnisse, im Gegensatz zu denen aus einer menschlichen Tätigkeit, der Schutz geistigen Eigentums noch ein riesiger Graubereich. Was für die ursprünglichen Künstler und Künstlerinnen galt, funktioniert auch für Prompter gleich. Somit, wer private oder geschäftliche Informationen für Prompts einsetzt, erlaubt automatisch einem Open Source KI-Tool, diese Daten für Lernzwecke zu speichern und zu verwenden. Gefährlich wird es im zu entspannten Umgang mit geheimen Informationen, wie Unternehmensdetails oder eigenen Kreationen, wie Programmierungscodes, Rezepte, Bücher und Skripten, die man gerade entwickelt und alles andere was entweder NDA geschützt ist oder man als geniale Idee keinem kostenlos zur Verfügung stellen möchte. Wer das jedoch braucht, sollte proprietäre Machine Learning Lösungen oder personalisierte KI-Modelle in Erwägung ziehen.

Um nicht zu tief in die Detaildiskussion zu gehen, sind KI-generierte Werke jeder Art für den Prompter, nach aktueller Rechtslage, nicht urheberrechtlich schützbar. Dabei werden die Copyrights der Kunstwerke nicht berücksichtigt, die alles inspiriert und ermöglicht haben. Die Gesetze werden sich dennoch sicher ändern durch die aktuellen Sammelklagen, die Präzedenzfälle generieren werden. So ist meine Empfehlung, alles mit Motivation und Mut, jedoch auch mit Vorsicht zu genießen, vor allem wenn es um Werbezwecke geht. Man kann noch nicht sagen, in welchen Richtungen sich die Thematik rechtlich weiterentwickeln wird.

medianet: Wie kann Ihre Meinung das Urheberrecht angepasst werden, um den sich entwickelnden Bereich der von KI generierten Texte und deren Urheberschaft angemessen zu berücksichtigen?
Serban:Wenn der Wunsch nach voller Transparenz vorhanden wäre, würde man alle Datenpunkte analysieren, die für Entwicklungs- und Trainingszwecke eingesetzt wurden. So würde man entweder der ursprünglichen Urhebergruppe einen Anteil am Profit oder Anteile am Unternehmen anbieten und diese nicht, wie leider bislang, weiterhin ignorieren. Die Entfernung ihrer Kunstwerke aus dem Wissenspool würde die KI-Tools nur schlechter machen und ist sobald das Tooltraining abgeschlossen wurde, vermutlich gar nicht mehr zur Gänze möglich. Der Fokus muss auf Innovation und Weiterentwicklung liegen, jedoch so, dass alles korrekt abläuft.

Wenn es jedoch nicht um die Vergangenheit und nur um die Zukunft geht, müssten die KI-Tools eher als Mittel zum Zweck definiert werden. So wäre alleinig der Prompter der Besitzer der Inhalte oder müsste diese mit einer Copyright Buyout Option sichern können. Die Tool Provider müssten sicherstellen können, dass auch wenn dieselben Prompts mehrmals vorkommen, nie dieselben Inhalte und grundsätzlich nie Schöpfungen mit zu viel Ähnlichkeit zu bereits existierenden Kunstwerken generiert werden dürfen. Durch die Unendlichkeit an Möglichkeiten sollte das kein Problem sein, jedoch müsste definiert werden, wo das Minimum an differenzierenden Merkmalen liegen müsste. KI-Tools wären somit, ähnlich zu Photoshop, After Effects, sogar Word, Excel, aber auch Canon, Nikon usw., Angebote zur Erstellung von Inhalten, die als Ersatztools für Software und Hardware fungieren.

medianet: Eine Problematik, die sich ebenfalls ergibt ist, dass für Konsumentinnen und Konsumenten bereits jetzt oft nicht klar ersichtlich ist, ob Content von einem Menschen oder von KI geschaffen wurde. Wie lässt sich dieses Problem lösen?
Serban:Vielleicht lässt sich das Problem lösen, indem man KI-generierte Inhalte kennzeichnen muss, wie es nach vielen Jahren Unsicherheit über echte vs. bezahlte Inhalte im Influencer-Bereich der Fall war oder aktuell im Kontext der Beauty-Filter besprochen wird. Die Frage ist nur: wer und wie würde das laufend überprüfen? Wenn Menschen in der Tat diese Inhalte nicht mehr unterscheiden können, die wesentlich mehr Einfluss haben können, als eine bezahlte Empfehlung, etwas zu kaufen, scheint die Notwendigkeit eines Aufklärungsprogramms vorhanden zu sein. Vielleicht braucht es besser trainierte Augen, um die Unterschiede zwischen realen und künstlich generierten Fotos oder Videos, Deepfakes und synthetischen Overlays, die reale Aufnahmen komplett verändern, erkennen zu können. So ist mein präferierter Zugang immer der der Aufklärung und Information, die Struktur, Planung und sinnvolle Verbreitungswege brauchen. Ob das ein struktureller Teil aller Bildungsinstitutionen sein muss oder als kostenloses Angebot für alle zur Verfügung gestellt wird, liegt an den Budgets, die dafür investiert werden können und möchten.

medianet: Allgemein gefragt – mit welchen Problemstellungen kommen Kunden generell auf Sie zu, und wo liegt Ihre Expertise?
Serban: Ich entwickle Strategien im Kontext neuer Markenkampagnen und Always-on Performance-Maßnahmen, konzipiere die Mediapläne und Werbemittel und plane alle Produktions- und Ausspielungsdetails entlang der Customer Journey. So übernehme ich auch das Auditing der bestehenden und historisch gewachsenen Kundenkonten, das operative Setup und laufende Campaign Management. Ich biete Unterstützung auch in den Bereichen Employer Branding, Website und Social Media Storytelling und Content und helfe meinen Kunden und Kundinnen dabei, Plattformen und Formate mithilfe von Workshops und Tool Trainings, z.B. auch für Insourcing-Zwecke, besser zu verstehen und wenn gewünscht, internes Know-How für Insourcing Zwecke aufzubauen.

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