„Niemals vergessen”
© Anton Bartl
Nach dem Erstlingswerk „Sie sprechen ja Deutsch!” widmet sich der Journalist dieses mal einem nur aufgrund seiner Homosexualität im NS-Reich Verfolgten.
MARKETING & MEDIA Redaktion 01.10.2021

„Niemals vergessen”

ORF-Journalist und „ZIB”-Moderator Jürgen Pettinger hat mit „Franz – schwul ­unterm Hakenkreuz” innerhalb von nur zwei Jahren sein zweites Buch vorgelegt.

WIEN. Jürgen Pettinger, mehrfach ausgezeichneter ORF-Journalist (u.a. ÖZIV-Medienpreis, Prälat-Leopold-Ungar-Journalistenpreis, Prof. Claus Glatterer-Preis) hat kürzlich nach „Sie sprechen ja Deutsch!” (gemeinsam mit ORF-Kollegin Eser Akbaba) nun mit „Franz – schwul unterm Hakenkreuz” sein zweites Buch herausgebracht. Anlässlich der Buchpräsentation bat ihn medianet zum Interview.

medianet:
Herr Pettinger, Sie haben mit ‚Franz – schwul unterm Hakenkreuz' ein Thema aufgegriffen, welches in der Geschichte der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit einen regelrecht blinden Fleck darstellt. Was war Ihre persönliche Motivation für dieses Buch?
Jürgen Pettinger: Niemals vergessen! Queere Opfer sind auch in den Jahrzehnten nach der NS-Zeit weiter verfolgt worden. Das Totalverbot von Homosexualität ist erst unter Bruno Kreisky aufgehoben und durch ein diskriminierendes Altersschutz-Gesetz ersetzt worden. Es gibt deshalb keine Zeitzeugen, keine Gedenkstätten, keine Erinnerung und keine Aufarbeitung.

Heute haben wir zwar etwa die ‚Ehe für alle', aber politischer Wille war auch das nicht. Fast alle Errungenschaften unserer Zeit wurden den jeweiligen Regierungen quasi von Höchstgerichten verordnet. Die Akzeptanz, die wir heute haben, steht daher auf tönernen Beinen. Es braucht aber einen gesellschaftlichen Diskurs, eine Erinnerungskultur. Daher: niemals vergessen!

medianet: Aus der Sicht des Autors: Wir würden Sie die Informations- und Datenlage in den heimischen Archiven, auch im ORF, zu diesem Thema beurteilen? In einem prämierten Radio-Feature haben Sie die Geschichte des Buch-Protagonisten Franz Doms bereits einmal aufgearbeitet, aber aufgrund der Datenlage stets nur aus Sicht der Täter.
Pettinger: Die Nazis haben alles akribisch aufgeschrieben. Aus dieser Zeit gibt es sämtliche Gerichtsprotokolle, Ermittlungsakten und so weiter. Vor allem der Fall Franz Doms ist extrem gut dokumentiert. Aber eben nur aus Sicht und mit den Worten der Täter. Aufzeichnungen von Opfern der Verfolgung gibt es kaum, eben weil sie auch danach immer noch mit Repressalien zu rechnen hatten. Schwul zu sein, bedeutete bis in die 2000er-Jahre für viele oft einen regelrechten gesellschaftlichen Ausschluss, deshalb konnte nie jemand seine Geschichte erzählen. Schon gar nicht in Österreich. Aus den USA oder Deutschland liegen uns ganz wenige, kurze Zeitzeugenberichte vor, die einen Eindruck von der Intensität der Verfolgung dieser Menschen vermitteln.

medianet:
Der Appell bei all diesen Geschichten lautet immer ‚Gegen das Vergessen'. Haben Sie das Gefühl, dass hier die Vorkommnisse in der NS-Zeit aus dem Fokus der Öffentlichkeit und der Medien rücken könnten, oder ist es schon passiert?
Pettinger: Bei einigen Opfergruppen ist genau das leider passiert. In Österreich erinnert ein einziger Gedenkstein im KZ Mauthausen an die sogenannten Rosa Winkel-Träger. Errichtet 1984. Ansonsten gibt es keine Erinnerung, keine Stolpersteine, keine Gedenktafeln. Nichts. Auch im ehemaligen Hinrichtungsraum des Landesgerichts Wien, heute eine Weihestätte, wird der Name ‚Franz Doms' in der dort aufgehängten Liste derer, die niemals vergessen werden dürfen, nicht erwähnt. Wenigstens das soll sich jetzt aber ändern. Im Zuge einer Umgestaltung dieser Gedenkstätte soll ihm fast 80 Jahre nach seiner Hinrichtung dort jetzt doch ein Bereich gewidmet werden. Das ist ein erster, kleiner Erfolg, aber bei Weitem nicht genug …

medianet:
Vor allem, weil Diskriminierung weiterhin stattfindet?
Pettinger: LGBT-Organisationen kämpfen heute immer noch etwa gegen das Blutspende-Verbot oder für ein Antidiskriminierungsgesetz im Privatbereich, das sogenannte Levelling Up. Sprich, wer wegen seiner sexuellen Orientierung zum Beispiel in einem Lokal nicht bedient wird oder eine Mietwohnung nicht bekommt, kann sich bis heute nicht dagegen wehren. Außerdem sehen wir, dass Hassverbrechen gegen queere Menschen wieder steigen. Nur wer die Vergangenheit kennt, kann daraus lernen und verhindern, dass sie sich wiederholt. (red)

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