Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider
SCIENCE & FICTION. Was für eine Headline: „Innsbrucker Forscher entschlüsselten Genom von sterblicher Hydra”. Die Hydra ist bekanntlich ein vielköpfiges Ungeheuer der griechischen Mythologie. Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei neue nach; der in der Mitte ist unsterblich. Erst Herakles konnte dieses Problem umgehen – und jetzt die Innsbrucker Forscher? Hydra nennt sich – das ist nichts Neues für Aquaristen und Meeresbiologen – auch ein winziger Süßwasserpolyp. Er durchläuft, das passt jetzt nicht ins erzählerische Konzept, allerdings kein „Medusen”-Stadium. Das Spezielle an diesen Tentakeltierchen: Sie leben unter idealen Bedingungen nachweislich Hunderte Jahre lang – „ewig” ist die nicht belegbare Annahme. Beschädigte Zellen werden nicht repariert, sondern ersetzt. Binnen fünf Tagen ist eine Hydra total runderneuert.
Aber zurück nach Innsbruck: Die Forscher haben das Genom von „Hydra oligactis” entschlüsselt. Der Unterschied zu deren Verwandten: Die Zellen dieser Hydren-Art können altern und sterben. Der Vergleich mit den unsterblichen Mitgliedern des Hydren-Clans soll neue Erkenntnisse zu Regeneration und Altern ermöglichen.
Solche molekularen Prozesse verstehen zu lernen, gilt als ein großer Hoffnungsträger der modernen Medizin. Könnte man damit doch dem Fluch der Krebserkrankungen etwas entgegensetzen. Andererseits fällt auf diesen wissenschaftlichen Zweig auch immer der Schatten der Dystopie: Weltweit arbeiten Forscher daran, altersbedingte Krankheiten zu besiegen, eventuell sogar das Altern selbst. Größte Förderer sind Tech-Milliardäre wie Sergey Brin, Larry Page, Jeff Bezos oder Peter Thiel. Unternehmen wie Ambrosia Collective, Alkahest oder Elysium Health bieten längst ihre Dienstleistungen an: Blutplasma, Mikronährstoffe, Medikamentencocktails … Worüber man sich dringender Gedanken machen sollte – dass ewiges Leben nur für einige erreichbar sein wird oder für alle –, sei einstweilen dahingestellt. Dieser Hydra den Kopf abzuschlagen, dafür ist ja noch Zeit.
