„Trotz Distanz bestens miteinander agiert”
© dm/Riebler
MARKETING & MEDIA Redaktion 12.02.2021

„Trotz Distanz bestens miteinander agiert”

dm-Chef Martin Engelmann über das, was Corona ­angerichtet hat – und jenes, das sich verbessert hat.

••• Von Daniela Prugger

WIEN. Für den Drogeriefachhandel war 2020 ein herausforderndes Jahr: Verstärktes One-Stop-Shopping hat Umsätze in den Lebensmittelhandel verschoben, mehr Zeit zu Hause reduziert den Bedarf an Beauty-Produkten, ganze Standortkategorien in Innenstädten und Einkaufscentern leiden unter einem Frequenzrückgang. Doch obwohl sich der Umsatz von Marktführer dm mit +1,6 Prozent auf 980 Mio. € in Österreich schwächer als gewohnt entwickelt hat, ist es dem Unternehmen gelungen, vergleichsweise stabil durch die Krise zu kommen. Der Vorsitzende der dm-Geschäftsführung, Martin Engelmann, versucht nun, rasche Lösungen für die Möglichkeit von Covid-Tests innerhalb von Dienstleistungsbetrieben zu finden und will die rund 1.500 bei dm beschäftigten Friseurinnen und Friseure sowie Friseurlehrlinge und deren Kunden in den dm-Studios testen. Welche Lehren er aus dem vergangenen Jahr gezogen hat und welche Pläne er für dm hat, erzählt er im Interview mit medianet.


medianet:
Herr Engelmann, das neue Jahr begann so, wie das alte aufgehört hat – mit Lockdowns, Versammlungsverboten und geschlossenem Handel. Blicken Sie trotzdem optimistisch in die Zukunft?
Martin Engelmann: Unternehmerisch handeln und gestalten setzt grundsätzlich eine gehörige Portion Optimismus voraus. Die aktuell große Herausforderung an alle, die am laufenden Gestaltungsprozess von dm mitwirken, ist es, kurzfristig Lösungen für die täglich neuen Anforderungen durch die Covid-Beschränkungen zu entwickeln und gleichzeitig die langfristige Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren – nämlich unser Angebot und die Persönlichkeit der Marke dm für unsere Kundinnen und Kunden weiterzu-entwickeln, sie attraktiv, unverwechselbar, nahe und relevant zu halten.

medianet:
Was haben Sie als Unternehmer in den vergangenen Monaten dazugelernt? Und inwiefern fließen diese Erfahrungen und Erkenntnisse in die Unternehmensstrategie von dm für das Jahr 2021 ein?
Engelmann: Wir haben gelernt, viel agiler und wendiger zu agieren und auch zu improvisieren. Wir haben im Unternehmen eine gewaltige Weiterentwicklung gemacht, was die Nutzung digitaler Arbeits- und Kommunikationsmittel betrifft – von den Kolleginnen und Kollegen in den Filialen und Studios, über die Zentralbereiche und das Management bis zu den Geschäftsleitungsmitgliedern der dreizehn Länder im Konzern und von den internen Kommunikationskanälen, über tägliche Online-Meetings bis zum digitalen Weiterbildungsprogramm.

medianet: Besonders während der ersten Monate gerieten die sogenannten System-erhaltenden Berufe in den Vordergrund, in vielen Ländern wurde Beifall für Pflegepersonal oder Handelsmitarbeitende geklatscht. War das eine punktuelle Anerkennung oder ist die Wertschätzung für System-relevante Berufe tatsächlich gestiegen?
Engelmann: Unsere tägliche Erfahrung ist, dass sich das nicht über einen Kamm scheren lässt, dass die Menschen sehr unterschiedlich ticken. Unsere KollegInnen im Vertrieb werden von Stammkunden mit einer kleinen Aufmerksamkeit als Dankeschön überrascht und wenige Minuten später von Kunden beschimpft, die im Frust auf die aktuelle Situation rücksichtslos ‚Dampf ablassen'. Insgesamt müssen wir doch feststellen, dass der große Beifall und die Anerkennung in der gesellschaftlichen Diskussion rasch wieder abgeebbt sind. Wir haben es von der Pflege bis zum Handel ganz überwiegend mit ‚typischen Frauenberufen' zu tun und mit viel Nachholbedarf, was Wertschätzung in vielfältiger Hinsicht betrifft.

medianet: Viele hoffen, dass es durch die Coronakrise zu einem Umdenken in unserer Konsumgesellschaft kommt. Welche Veränderungen wünschen Sie sich?
Engelmann: Ich würde mir wünschen, dass wenigstens die Hälfte der Prognosen wahr wird, die in den ersten Wochen der Krise aufgestellt worden sind – dass wir den Wert von tragfähigen Beziehungen und Freundschaften neu erkennen, ökologischer und regionaler denken und handeln, einen Schritt aus der Überflussgesellschaft heraus machen und solidarischer agieren. Dass wir erkennen, dass unsere Erde sprichwörtlich zu einem Dorf geworden ist, in dem wir aufeinander achten müssen und in dem wir unmittelbar davon betroffen sind, was am anderen Ende des Planeten passiert. Covid-19 hat das sehr anschaulich aufgezeigt ...

medianet:
Welche Chancen für das Unternehmen haben sich durch die Coronakrise ergeben?
Engelmann: Wir haben gelernt, trotz Distanz miteinander zu agieren. Und wir haben erkannt, wie wichtig umgekehrt die persönliche Nähe ist, wenn es um das gemeinsame Gestalten in einem Unternehmen geht. Beides sind wertvolle Erfahrungen für die Zukunft.

medianet:
Während viele Unternehmen Umsatzeinbußen beklagen, verzeichnete dm im vergangenen Jahr ein Plus von +1,6% und Marktanteilszugewinne von +0,6 Prozentpunkten auf 46,6% am Drogeriefachhandel. Wie ist es dm gelungen, stabil durch die Krise zu kommen?
Engelmann: Schon über viele Jahre sehen wir aus den Ergebnissen der Marktforschung, dass dm im Branchenvergleich besonders begeisterte und damit auch treue Stammkunden hat. In einer Phase des vermehrten One-Stop-Shoppings, in der viele Verbraucher bei ihren Drogerieprodukten Abstriche gemacht haben, um neben dem Lebensmittelhandel mit der Drogerie nicht noch eine weitere Einkaufsstätte aufsuchen zu müssen, da wurde diese Treue und Verbundenheit ganz besonders auch in Zahlen sichtbar.

medianet:
Während der stationäre Handel von den Lockdowns schwer getroffen wurde, boomt der Onlinehandel. Wie hat sich der Onlinehandel bei dm umsatzmäßig im vergangenen Jahr entwickelt? Welche Erwartungen haben Sie an 2021?
Engelmann: Wir hatten im Webshop insbesondere im ersten Lockdown sehr starke Umsatzzuwächse. Wir gehen davon aus, dass die Online-Umsätze sich von diesem erhöhten Niveau von 2020 aus weiter nach oben entwickeln werden, dass also die Kunden mit guten Erfahrungen beim digitalen Einkauf diesen Kanal weiterhin nutzen werden. Abhängig von den Beschränkungen im stationären Handel, werden diese Zuwächse größer oder kleiner ausfallen.

medianet:
Welche Produkte werden seit der Coronakrise vermehrt online gekauft?
Engelmann: In den Anteiligkeiten der Zuwächse konnten wir keinen Unterschied zwischen unserem Webshop und dem stationären Handel feststellen. Ganz generell haben im letzten Jahr Corona-bedingt insbesondere Hygiene-Produkte und Lebensmittel, aber auch Haushaltsreiniger geboomt.

medianet:
Im Jänner wurde die Mehrwertsteuer auf Menstruationsprodukte wie Tampons und Binden halbiert. In Ländern wie Deutschland haben die Hersteller nach der Senkung der ‚Tamponsteuer' die Preise für ihre Produkte wieder erhöht. Inwiefern ist diese Entwicklung auch in Österreich zu erwarten?
Engelmann: Bis dato konnten wir keine derartigen Ambitionen der Hersteller feststellen und wir erwarten von unseren Industriepartnern auch keinerlei Schritte in diesem Sinne.

medianet: dm hat angekündigt, das Sortiment laufend grüner zu gestalten. Welchen Anteil haben ökologisch nachhaltige Produkte derzeit am Gesamt­sortiment? Welche Ziele setzt sich dm für die kommenden Jahre?
Engelmann: Wir haben in Summe rund 2.500 Produkte am Regal mit ‚grünen Etiketten' gekennzeichnet. Dabei handelt es sich um Produkte mit ökologischem Mehrwert – sei es aufgrund der Inhaltsstoffe, der Verpackung oder weil sie aus anderen Gründen gegenüber vergleichbaren Produkten mit einem verkleinerten ökologischen Fußabdruck punkten können. Damit und mit gezielten Listungen wollen wir die Bedürfnisse unserer Kunden in einem ökologischen Sinn veredeln. Dennoch gibt es keine Zielsetzung, die Anzahl dieser gekennzeichneten Produkte zu steigern, weil wir parallel auch die Kriterien verschärfen. Und wir wollen mit unseren hauseigenen dm-Marken neue Benchmarks setzen – insbesondere was Klimaneutralität betrifft, mit innovativen Ideen für Verpackungen und vieles anderes mehr. Diesbezüglich dürfen sich unsere Kunden schon im heurigen Jahr auf eine Reihe neuer Konzepte freuen.

medianet:
Inwiefern hat sich das Kaufverhalten der Konsumenten hinsichtlich nachhaltiger Produkte seit Corona verändert?
Engelmann: Wir sehen seit Jahren einen Trend in dieser Richtung und dürfen uns als Pionier in Sachen Bio und Naturkosmetik auf die Fahnen schreiben, über rund drei Jahrzehnte intensiv an der Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft mitgestaltet zu haben. Konzepte wie feste Produkte ohne Plastikverpackung oder Nachfüllkonzepte erfahren heute deutlich mehr Nachfrage als noch vor wenigen Jahren. Ich denke nicht, dass dies ursächlich auf die Pandemie zurückzuführen ist, sondern darauf, dass immer mehr Menschen erkennen, dass die natürlichen Ressourcen nicht beliebig vermehrbar sind und dass Meere, Böden und Klima an einem Punkt angekommen sind, an dem sie sich selbst nicht mehr regenerieren können.

medianet:
Wenn Sie Deutschland und Österreich vergleichen – haben sich die Pandemiemaßnahmen auf die Geschäfte von dm unterschiedlich ausgewirkt?
Engelmann: Wir sehen in allen dreizehn dm-Ländern sehr parallele Entwicklungen – manchmal um einige Wochen zeitverzögert, je nachdem, wie weit die Pandemie um sich greift und in welchem Ausmaß Politik und Behörden darauf mit Maßnahmen reagieren müssen.

medianet:
In Österreich gab es 400 Euro ‚Covid-Beitrag' für jeden Mitarbeiter, außerdem leistet dm Beiträge für benachteiligte Menschen. dm ist in dreizehn Ländern mit 3.765 Filialen präsent. Geht das Unternehmen in Ländern wie Serbien, Bosnien-Herzegowina, Rumänien, Bulgarien und Nordmazedonien denselben Weg? Welche Beiträge und Schritte für ein soziales Engagement werden dort umgesetzt?

Engelmann: Unsere Haltungen im innerbetrieblichen Miteinander und bei der Wahrnehmung unserer Verantwortung in der Gesellschaft sind überall die gleichen. Die konkreten Maßnahmen werden jedoch von den Kollegen vor Ort jeweils individuell entwickelt. So hatten wie beispielsweise in Österreich im Dezember eine sehr erfolgreiche Spenden-Initiative zugunsten obdachloser Menschen, während in Kroatien und Bosnien gerade umfangreiche Programme anlaufen, um Menschen zu helfen, die ihr Hab und Gut durch die Erdbeben verloren haben. Diese Fähigkeit, im jeweiligen Land auf die ganz konkreten Bedürfnisse einzugehen und trotzdem als Marke unverkennbar zu bleiben – getragen von gemeinsamen Grundwerten in Richtung Kunden, Mitarbeitern, Partnern und der Gesellschaft –, das ist sicherlich eines der Erfolgsrezepte, die uns in den letzten 45 Jahren in dreizehn verschiedenen Märkten zur größten Drogerie und zu einem der erfolgreichsten Händler in Europa gemacht haben.

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