Gastkommentar ••• Von Josef Redl
WIEN. In welchem Zustand die österreichische Wirtschaft ist, braucht man nicht lange zu erklären. Jeder wirtschaftlich einigermaßen Interessierte sieht und fühlt das. Und weiß vermutlich auch, dass einige der Fehlentwicklungen auf europäischer Ebene liegen und nur dort gelöst werden können.
So hat Christine Lagarde erst vor kurzem das erfolgsverwöhnte europäische Exportmodell für überholt erklärt und, um aus der jetzigen Misere herauszukommen, eine dringende Beseitigung der Hürden für den europäischen Binnenmarkt gefordert. Und dass Europa den amerikanischen und chinesischen Tech-Konzernen derzeit kaum etwas entgegensetzen kann, ist auch kein Geheimnis.
Vieles ist hausgemacht
Sehr vieles an der derzeitigen Lage in Österreich ist aber zweifellos hausgemacht, daran gibt es nichts zu rütteln. Ähnlich übrigens wie in Deutschland, wo derzeit laut Achim Truger – deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Sozioökonomie an der Uni Duisburg-Essen –, wie unlängst im Rahmen eines Vortrags in der Arbeiterkammer erwähnt, monatlich 10.000 Industriearbeitsplätze verloren gehen. Wie sonst wären denn noch immer 4,1% Inflation, 400.000 Arbeitslose, eine große Anzahl an Insolvenzen, mangelnde Investitionsbereitschaft, schlechtes Konsumklima und unser ernüchterndes europäisches Ranking zu erklären, um nur einige Punkte zu nennen?
Doch wie kann man den Wirtschaftsstandort Österreich wieder flottbekommen? Vorschläge, Ideen, Konzepte und Empfehlungen gibt es genug, seien sie von Experten wie Gabriel Felbermayr oder Christoph Badelt in seiner Funktion als Vorsitzender des Österreichischen Produktivitätsrates, wie erst vor kurzem präsentiert. Und bald, nämlich Mitte Jänner, soll ja auch die neue Industriestrategie der österreichischen Bundesregierung vorgelegt werden, wie ebenfalls schon angekündigt. Let’s see, ob in dieser dann auch neue strukturelle Weichenstellungen vorkommen werden.
„It’s the economy, stupid!“
Das ist deshalb so wichtig, weil eine gute, entschlossene und konsequente Wirtschaftspolitik – Stichwort „It’s the economy, stupid“ aus der Zeit von Bill Clinton – Vertrauen in die politische Gestaltungskraft wiederherstellen, eine zögerliche hingegen dieses auch weiter erodieren lassen kann.
Die politische Sprengkraft der Wirtschaftspolitik ist daher alles andere zu unterschätzen. Vor allem in einer – schlimm genug – Situation, in der gemäß dem Linzer Market-Institut bereits knapp die Hälfte der Bevölkerung für einen Umbau des politischen Systems plädiert. Schaffen wir noch einmal die Kurve oder erleben wir bereits einen Kipppunkt?
Die Weichen neu stellen
Was jetzt notwendig ist, um einen solchen zu vermeiden, ist entschlossenes Handeln statt weiteres Schlechtreden des Wirtschaftsstandortes, wie es zu lange gerade auch von Wirtschaftsvertretern praktiziert wurde. Im Gegenteil: Wir brauchen Lösungskompetenz und wir brauchen Leader, die Zuversicht und den Optimismus verbreiten, dass die Altlasten gestemmt und die Weichen neu gestellt werden können. Gelingt dies nicht, sind leider auch gravierende demokratiepolitische Verwerfungen nicht mehr auszuschließen.
