Leitartikel
••• Von Sabine Bretschneider
GEFÜHLLOS. Ein Ausflug in die Untiefen der Sprache. Diesmal: „Große Emotionen“ im Lichte der Schlagzeilen.
Der Film „Streif – One Hell of a Ride“ zeigt „sehr viele Emotionen“, meint der Regisseur. Der Deutsche Pavillon auf der Expo in Osaka verbindet „Architektur, Technologie und Emotion“. „Große Emotionen“ spiegelt ein weiterer Film („All das Ungesagte zwischen uns“) wider. Beim WM-Qualifikationsspiel ließ Marko Arnautovic „seinen Emotionen freien Lauf“. Bei einer Spendengala erlebten die Gäste ein Programm „voller Magie, Emotion und künstlerischer Vielfalt“. Israel und der Gazastreifen erleben „Tage voller Emotionen“. In der „Love Island VIP“-Villa kommen „die Emotionen langsam zur Ruhe“. Auch die Sporthilfe-Gala 2025 in der Wiener Stadthalle stand „einmal mehr im Zeichen großer Emotionen“.
Große Emotionen. Echt jetzt? Waren die Sporthilfe-Preisträger verblüfft, fassungslos, angeekelt, begeistert, völlig verängstigt? Reagierte das Publikum mit Abscheu, Widerwillen, Begeisterung, Trauer, Neid, Rührung oder Zorn? Der Begriff Emotion ist zu einem Containerwort geworden: Er ersetzt differenzierte Empfindungen durch pauschale Banalität.
Der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant nennt solche Wörter semantische Schwämme – sie „saugen Bedeutung auf, ohne sie zu transportieren“. Laut einer Studie der Universität Leipzig (2020) hat sich der emotionale Wortschatz in Alltagssprache und Medienkommunikation in den vergangenen 30 Jahren um etwa ein Drittel verringert – zugunsten abgeschmackter Schlagworte wie emotional, cool, super, krass oder heftig.
„Wir können nur denken, wenn wir Worte haben“ (Hannah Arendt). Eine verarmte Sprache jedenfalls bringt nur stumpfe Gefühle zum Ausdruck. Wenn alles „emotional“ ist – also irgendwas und irgendwie im Kontext seelischer Verfassung –, was berührt uns dann noch? Gerade für die Kommunikationsbranche ist das nicht ganz irrelevant.
