„Wir nehmen das jetzt selbst in die Hand”
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MARKETING & MEDIA sabine bretschneider 10.05.2019

„Wir nehmen das jetzt selbst in die Hand”

Gabriele Költringer, Geschäftsführerin FH Technikum Wien, über Fachkräfte, fehlende Studienplätze – und eine ungewöhnliche Kampagne.

••• Von Sabine Bretschneider

Der Fachkräftemangel in Österreich zieht sich durch die mediale Berichterstattung der vergangenen 25 Jahre. War es damals die sogenannte New Economy, die mangels geeigneter Arbeitskräfte in IT und Technik auf dem Spiel stand, sind es heute die Themenbereiche Automatisierung, Digitalisierung und KI. Die regierungsseitig angebotenen Lösungsvarianten unterscheiden sich gestern und heute ebenfalls nur geringfügig: erleichterter Zuzug von entsprechend Qualifizierten aus dem Ausland bzw. die Qualifizierung inländischer Arbeitnehmer und deren Ausbildung an entsprechenden Bildungsstätten. Bei der Variante „Ausbildung” hapert es allerdings derzeit gewaltig.

„Bis 2022 müssen die Weichen für 20 Prozent mehr Technikgraduierte in Österreich gestellt werden, um den Innovationsnachwuchs zu sichern und den Fachkräftemangel zu entschärfen”, hieß es zuletzt bei der Präsentation eines IV-Positionspapiers. Man möge „die Lösung für den Fachkräftemangel nicht nur im Ausland suchen”, empfahl die Österreichische Fachhochschul-Konferenz (FHK).

Gebrochene Versprechen

Tatsache ist: Anstatt die Weichen für mehr Technikgraduierte zu stellen, müssen die Fachhochschulen jedes Jahr Tausende studierwillige junge Menschen mangels Studienplätzen abweisen.

Gabriele Költringer, Geschäftsführerin der FH Technikum Wien, weiß davon ein Lied zu singen: Im Herbst 2018 musste Österreichs einzige rein technische Fachhochschule über 1.000 qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber aufgrund mangelnder, öffentlich finanzierter Studienplätze abweisen – „das steht im Gegensatz zu den Aussagen des damaligen Wissenschaftsministers Mahrer, der vor zwei Jahren den großen Ausbau der Fachhochschulen, eine Breitenakademisierung, vorhergesagt hatte”, erzählt Költringer. In Aussicht gestellt hatte Harald Mahrer – er ist inzwischen Chef der Wirtschaftskammer Österreich – im Sommer 2017 die Finanzierung von weiteren 5.000 Studienplätzen in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) ab dem Schuljahr 2018/19, finanziert unter anderem aus der Bankenabgabe.
Költringer: „Dieser ‚große' Ausbau, mit dem wir gerechnet haben, wurde dann eingeschränkt zu einem ‚reduzierten Ausbau'; und als dann im vergangenen Herbst der Ausbaufinanzierungsplan endlich gekommen ist, waren es enttäuschende 330 Plätze für ganz Österreich. Es gibt in Österreich 21 Fachhochschulen, ein Bachelorstudiengang braucht 60 Plätze, ein Masterstudiengang 30; 330 dividiert durch 21 – man kann es sich ausrechnen …”
Im Gegensatz dazu habe es in den vergangenen 15 bis 20 Jahren noch einen kontinuierlichen Ausbau gegeben: „Es sind jedes Jahr Studiengänge dazugekommen – an allen Fachhochschulen”, so die FH-Chefin. „Es ist heuer erstmalig passiert, dass es das zweite Jahr in Folge keine Ausschreibung gibt für zusätzliche Plätze. Der Finanzierungsplan, der vergangenes Jahr im Herbst verabschiedet wurde, ist äußerst moderat.”

„Flucht nach vorn”

„Wir treten jetzt die Flucht nach vorn an und nehmen unser Schicksal selbst in die Hand”, betont Költringer. Bei einem Pressegespräch am Dienstag wurde von der FH Technikum Wien der Start einer groß angelegten Crowdfunding-Kampagne bekannt gegeben (siehe Fact Box), um im Herbst mehr Studienplätze anbieten zu können. „Wir wüssten sonst nicht, wie wir zu mehr Studienplätzen kommen sollten.”

Zielgruppe der Kampagne ist die gesamte Bevölkerung, rührt die Technikum Wien-Geschäftsführerin die Werbetrommel, „von der Oma bis zum Manager. Alle können so einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Es ist als Spende tituliert, es ist steuerlich absetzbar – und es ist eine Investition in die Jugend und in unsere Zukunft.” Költringer: „Wir Fachhochschulen haben ja auch keine Basisförderung wie die Universitäten, sondern eine Studienplatzförderung – und damit kein fixes Budget.”
Der Bund fördert die Fachhochschulen nach einem Studienplatzfinanzierungsmodell: Für Studienplätze mit einem Technikanteil von mindestens 50% gibt es derzeit 8.850 €, für Studiengänge mit einem Technik­anteil von mindestens 25% 7.550 €.

Crowdfunding statt Feiern

Das 25jährige Jubiläum der FH Technikum Wien wird infolgedessen ganz in den Dienst der guten Sache gestellt. Költringer: „Statt eine Jubiläumskampagne zu starten, nutzen wir das Werbebudget für die Crowdfunding-Initiative. Das ist unsere Antwort auf das fehlende Finanzierungswachstum. Man wird sehen, wie das ankommt.”

Die Österreicher seien bekanntlich sehr spendenfreudig, andererseits gebe es noch nicht diese Form der Spendenkultur in Bildungsangelegenheiten, die in den USA gang und gäbe sei.
Der frühere New Yorker-Bürgermeister Michael Bloomberg etwa bedachte seine frühere Universität, die Johns-Hopkins, kürzlich mit einer Spende in der Höhe von 1,8 Mrd. USD (rund 1,6 Mrd. €); damit werden Stipendien für Studenten aus einkommensschwächeren Familien finanziert.
„Wir hätten einen wichtigen Masterlehrgang in der Pipeline, den ‚Data Scientist'”, sagt Költringer, „aber noch wichtiger wäre für uns die Aufstockung bestehender Studiengänge im Digitalisierungsbereich – Mechatronik, Robotik … Die Digitalisierung findet ja nicht nur in der Informatik statt. Die Elektro- und Elektronikindustrie sucht auch händeringend nach Absolventinnen, die die Automatisierungstechnik vorantreiben können.”

Kontroversielles Thema

Die Crowdfunding-Kampagne sei im Vorfeld intern kontroversiell diskutiert worden: Einerseits sei es unangenehm, sich selbst um die Finanzierung zusätzlicher Studienplätze kümmern zu müssen, weil man damit kommuniziert, dass die Regierung dazu nicht in der Lage sei. Andererseits könne man es auch so interpretieren, dass man damit den Gesetzgeber aus der Verantwortung entlässt – „nach dem Motto ‚Super, dann brauchen wir dafür eh nichts mehr zahlen'”. Aber: „Der Wohlstand in Österreich wird nur mit entsprechend vielen und gut ausgebildeten Technikerinnen und Technikern gesichert werden können”, ist Költringer überzeugt.

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