„Der Internet-Shopping Boom ist zu Ende”
© medianet/Katharina Schiffl
RETAIL Redaktion 16.06.2023

„Der Internet-Shopping Boom ist zu Ende”

Nach dem Corona-Online-Turbo ist für Rainer Trefelik, Handelsspartenobmann WKÖ, wieder Offline Trumpf.

••• Von Christian Novacek

Die Rückkehr in die Handelswelt von 2019 – ist sie Wunschdenken oder Realität? „Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: In Österreich sowie in der EU ist der Internet-Shopping-Boom aus der Coronazeit zu Ende”, beurteilt Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), die Lage. Seine Einschätzung wird mit zwei aktuellen Studien gestützt: Das Institut für Handel, Absatz und Marketing (IHaM) an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) hat den Online-Konsum in den EU-27-Ländern untersucht, und die KMU Forschung Austria die Bedeutung des Online-Handels für den österreichischen Einzelhandel.

„Beide Analysen kommen zu dem Schluss, dass das Pendel wieder mehr in Richtung stationärer Handel schlägt. Das beinhaltet große Chancen für die Ladengeschäfte, wobei am besten diejenigen fahren, die online und offline geschickt verknüpfen”, sagt Trefelik.

Ein wesentlicher Faktor

Branchensprecher-Kollege Rainer Will vom Handelsverband rückt bezogen auf den E-Commerce Report 2022 die aus seiner Sicht positiven Effekte des Digital Retail ins rechte Licht: „Die Studienergebnisse belegen, dass der E-Commerce für österreichische Händler ein wesentlicher Faktor ist, denn die Menschen starten immer mehr Kaufprozesse online. Gute E-Commerce-Angebote entwickeln den heimischen Handel weiter und machen ihn krisenresilient.”

Damir Leko, Country General Manager von Concardis Austria, die den E-Commerce Report erstellten, greift in seiner Potenzialanalyse hoch: „Der E-Commerce-Anteil des Kaufpotenzials in Österreich ist massiv gestiegen: Plus 30 Prozent oder 29,7 Mrd. Euro gegenüber dem Vorjahr. Die Chancen für den Online-Handels­umsatz von physischen Gütern stiegen mit 13,6 Mrd. Euro enorm. Die Erkenntnisse aus unserer Studie zeigen riesige Möglichkeiten für den österreichischen Handel auf.”

Reichlich Potenzial

EU-weit kaufen 68% der Konsumenten (16-74 Jahre) zumindest manchmal online ein, in Österreich sind es 66%. Das ist nach einer Rückläufigkeit 2021 erneut auf dem Level von 2020. Ernst Gittenberger vom IHaM relativiert dennoch: „Österreich liegt im internationalen Vergleich deutlich hinter den nordischen, aber auch hinter vielen anderen EU-Ländern zurück.”

Spitzenreiter sind Dänemark und die Niederlande mit einem Anteil von je 88% sowie Schweden (86%). In Deutschland beträgt der Anteil 76%, während in Italien sowie in Rumänien und Bulgarien weniger als die Hälfte der Bevölkerung (16-74 Jahre) zum Shoppen das Internet braucht.

Mehr Shopper, weniger Erlös

„Fast paradox ist allerdings, dass trotz steigender Shopper-Zahlen die Online-Ausgaben gesunken sind”, sagt Christoph Teller, Vorstand des IHaM an der JKU. Das betrifft sowohl die EU-weiten Ausgaben als auch jene in Österreich: Im EU-27-Durchschnitt ist der Online-Anteil an den gesamten Einzelhandelsausgaben von 10,6% im Jahr 2021 auf 9,6% 2022 gesunken – in Österreich von 11,5 auf 10,4%.Davon profitiert hat der stationäre Handel. In Zahlen gegossen, sind die Online-Ausgaben in Österreich um drei Prozent auf 8,6 Mrd. € zurückgegangen, offline wurden hingegen 73,9 Mrd. € ausgegeben (+8% gegenüber 2021).

Was nun die Online-Kompetenz der heimischen Unternehmen betrifft, so gibt es dazu die wenig erbauliche Prämisse, dass der heimische Internethandel von den internationalen Giganten dominiert wird.
Betrachtet man nämlich nur die österreichischen Einzel­handelsunternehmen, so beträgt ihr im E-Commerce erzielter Umsatzanteil überschaubare 6,5%. In Summe gibt es laut ­Analyse der KMU Forschung Austria rund 12.000 Online-Shops in Österreich, und 32% aller Einzelhändler verkaufen ihre Produkte (auch) entweder über eine eigene Online-Präsenz oder einen Online-Marktplatz. Sie haben 2022 Online-Umsätze von 5,5 Mrd. Euro erzielt (2021: 5,4 Mrd. €). Ergänzend dazu: Amazon allein schaffte 2021 in Österreich einen Umsatz von rd. 1,3 Mrd. Euro.

Hürden der Bürokratie

„Was rund zwei Drittel immer noch von einem digitalen Angebot abhält, sind vor allem organisatorische Hürden”, berichtet Wolfgang Ziniel von der KMU Forschung. So sagt die Hälfte der befragten Handelsunternehmen, die noch nicht online verkaufen, der Organisationsaufwand sei zu hoch, 40% halten ihr Produkt für nicht geeignet, es übers ­Internet anzubieten, und mehr als jeder Fünfte gibt an, nicht genug Personal dafür zu haben.

Laut Karin Gavac, ebenfalls Expertin der KMU Forschung Austria, lassen jene, die ihre Produkte nicht auch online anbieten, damit Chancen liegen. „Ein Online-Angebot ermöglicht, einen größeren Markt zu erreichen. Immerhin 22 Prozent des Online-Umsatzes werden im Ausland erzielt”, erläutert Gavac. Der mit Abstand wichtigste Auslandsmarkt ist Deutschland, gefolgt von der Schweiz und Italien.

Teuerung begünstigt Offline

In Summe zeigen die Ergebnisse beider Studien, dass „die Teuerungskrise zu höheren Offline- und sinkenden Online-Einnahmen führt und der Online-Handel in einer Phase des langsameren Wachstums angekommen ist”, resümiert Iris Thalbauer, Geschäftsführerin und zugleich Online-Expertin der Bundessparte Handel.

Trotzdem sei Online im Einzelhandel nicht mehr wegzudenken: „Die Zukunft liegt wohl darin, online und offline entlang der gesamten Customer Journey zu verbinden”, so Thalbauer. Gerade die Phase des langsameren Wachstums biete sich jetzt an, eine solide digitale Präsenz aufzubauen.

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