Einwegpfand: Machbar oder Nachtmahr?
© Cajetan Perwein
RETAIL Redaktion 23.10.2020

Einwegpfand: Machbar oder Nachtmahr?

Nah&Frisch-GF Hannes Wuchterl und Umweltministerin Leonore Gewessler im medianet-Expertengespräch.

••• Von Paul Hafner

Die geplante Einführung des Einwegpfands sorgt allerorts für erhitzte Gemüter: Gegner befürchten gravierende Kollateralschäden, Befürworter orten Blockadehaltungen. Erfrischend konstruktiv ging es indes beim jüngsten media­net-Experten Talk zu.

Von Herausgeber Oliver Jonke organisiert und moderiert, diskutierten Nah&Frisch-Geschäftsführer Hannes Wuchterl und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler fachlich versiert strittige Punkte – und fanden Einigkeit in der Feststellung, dass es einer breiten Diskussion bedarf, die auch die Aspekte des ländlichen Strukturwandels und Ortskernsterbens miteinschließt.

Vorbild Deutschland

An der grundsätzlichen Einführung von Einwegpfand gibt es für Gewessler nichts zu rütteln: Die Grundlage des Maßnahmenpakets – dem vielzitierten 3-Punkte-Plan, der auch eine Mehrwegquote und Herstellerabgaben beinhaltet – stellt eine Studie dar, die noch von Gewesslers (türkiser) Vorgängerin Elisabeth Köstinger in Auftrag gegeben worden war; besagter Studie zufolge stelle Pfand die einzige, effizienteste und kostengünstigste Möglichkeit zur Erreichung des EU-Vorgaben dar.

Gewessler führte die erfolgreiche Umsetzung von Einwegpfand in zehn anderen europäischen Ländern ins Feld; besonders das Beispiel Deutschland zeige, wie eine Umsetzung funktionieren könne – und welchen Effekt ein Einwegpfand auf die Sammelquoten bei Kunststoff-Flaschen hätte. Anders als Österreich, das mit 70% weit von den bis 2029 anzupeilenden 90% entfernt ist, übererfüllt das Nachbarland dieses Ziel bereits jetzt deutlich.
Ein Vergleich, der aus Sicht Wuchterls hinkt: „Deutschland hat eine ganz andere Struktur, was die Einzelhandelsflächen betrifft.” Nirgendwo sei die Dichte so groß wie in Österreich – überall dort, wo es einen selbstständigen Kaufmann gebe, „gibt es im Umkreis weniger Kilometer auch zumindest einen weiteren großen Supermarkt”.

Sondersituation für Kaufleute

Der Wettbewerbsdruck, der auf den kleinen Kaufleuten laste, sei in Österreich „wesentlich größer”. Man versuche, dem Kunden ein Vollsortiment zu bieten, weil dieser sonst so oder so zum nächstgelegenen Supermarkt abwandere – „und das auf 200 Quadratmetern”. Und hierin liege ein „ganz entscheidender Punkt”, so Wuchterl weiter: Den Platz, Plastikflaschen entgegenzunehmen und überdies so zu lagern, dass alle hygienische Sicherheitsrichtlinien berücksichtigt werden, habe der Kaufmann oder die Kauffrau schlichtweg nicht.

Ein kritischer Punkt sei auch der zusätzlich entstehende Zeitaufwand. In einem Nah&Frisch-Geschäft stünden zwei bis vier Mitarbeiter zugleich: „Die haben alle Hände voll zu tun. Da ist niemand, der darauf wartet, Plastikflaschen entgegenzunehmen.”

Ausweg Handling-Fee?

„Mir liegen gerade die kleinen Händler und Händlerinnen enorm am Herzen”, bekräftigte Gewessler; selbst in einem kleinen Ort in der Steiermark aufgewachsen, habe sie „live erlebt, was es für eine lebendige Ortschaft heißt, wenn ein Kaufmann oder eine Kauffrau aus dem Ortskern an den Rand abwandert”. Gerade deshalb wolle man das Pfandsystem „so stricken, dass den Kaufleuten eben keine Mehrkosten entstehen – nämlich via einer Handling-Fee, einer Bearbeitungsgebühr, die Ausgaben für zusätzlichen Platzbedarf sowie entstehenden Mehraufwand fair abgelten soll.

Zwei Drittel der Annahmestellen in Deutschland seien nicht automatisiert und ganz kleinteilig strukturiert, würden aber gleichzeitig „nicht zwei Drittel der Mengen zurücknehmen”. Man müsse sich genau anschauen, mit welchen Mengen realistischerweise zu rechnen sei, und wie man den zusätzlichen Personalaufwand in die Entgeltung einpreisen könne. In Arbeitskreisen, im Rahmen derer „alle Beteiligten der Wertschöpfungskette an den Tisch geholt wurden und werden”, sei immerhin auch der Wunsch von selbstständigen Kaufleuten geäußert worden, als Rückgabestelle zu fungieren.

Zugeständnisse unter Druck

Eine solche Bereitschaft sei alles andere als wirtschaftlich und demonstriere nur die „Existenzangst, die Händler zu solchen Zugeständnissen treibt”, zeigte sich Wuchterl skeptisch. „Hier geht es um die nackte Angst, dass der Kunde wegbleiben könnte”, so Wuchterl, der abermals auf die strukturellen Unterschiede zum großen Nachbarn hinwies.

Eine Differenzierung zwischen klein und groß bei der Abgeltung, die der unterschiedlichen Kostenstruktur der Händler Rechnung trägt, stehe in der Tat im Raum, zeigte sich Gewessler nach Konsens strebend: „Deswegen sitzen wir zusammen, deswegen diskutieren wir.” So sei auch die Berücksichtigung der Investitionskosten in der Handling-Fee ein großes Thema; man sehe sich die verschiedenen europäischen Modelle genau an, um „die beste Lösung für Österreich zu entwickeln” – und so die Littering-Problematik in den Griff zu bekommen, die EU-Ziele zu erfüllen und auch eine Lösung zu finden, die den spezifischen Voraussetzungen der unterschiedlichen Händler Rechnung trägt.
Das Bekenntnis zum breiten Diskurs begrüßend, wies Wuchterl abschließend noch einmal auf die „reale Bedrohung der kleinen Kaufleute” hin. So sei etwa einer Kauffrau, die allein in ihrem Geschäft sitzt, mit zusätzlichem Geld nicht geholfen – da der entstehende Mehraufwand schlichtweg zeitlich nicht zu bewältigen sei.

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