Gute Produkte eröffnen den tiefen Sinn der Welt
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RETAIL Anne M. Schüller 08.03.2019

Gute Produkte eröffnen den tiefen Sinn der Welt

Nicht Leistungsmerkmale eines Produkts stehen im Vordergrund, sondern ihre tiefere Bedeutung, etwa bei Ikea: Hilf mir, meine Wohnung einzurichten!

Gastbeitrag ••• Von Anne M. Schüller

Die Hauptaufgabe eines Unternehmens der Zukunft? Einen Beitrag zur Lebensqualität ­respektive zum Geschäftserfolg seiner Kunden zu leisten und zugleich zu einer besseren Welt beizutragen. Unternehmertum muss deshalb heute mit einem „Purpose” beginnen.

Der Purpose ist der Sinn und Zweck eines Unternehmens, seine Bestimmung, die Philosophie hinter dem Geschäftsmodell, der Wesenskern, die Leitmaxime für alles Handeln. Er drückt aus, weshalb das Unternehmen existiert und was es in die Welt bringen will. Diese Denke lässt sich auch auf das Produktmanagement übertragen. „Was ist der originäre Sinn und Zweck unserer Leistungen für die Kunden?”, so lautet die Frage in diesem Fall. Der entscheidende Punkt dabei ist der, von der Anbieter- auf die Nachfrageperspektive umzuschalten.

Produkt als Dienst am Kunden

Somit geht der Fokus weg vom reinen Produktverkauf und weg von der Konkurrenz, mit der man sich messen und die man ausschalten will. Er geht vielmehr hin zur individuellen Erledigung von Aufgaben für möglichst gute Kunden und damit hin zu den als Customer Experiences bezeichneten Erfahrungen und Erlebnissen, die die Anbieterleistungen bieten. Hierdurch wird das ursprüngliche Produkt zu einem Dienst am Kunden. Und die Art der Kundenbeziehung wird zum eigentlichen Geschäftsmodell.

Interessant ist in diesem Kontext die „Jobs to be done”-Strategie. Entwickelt wurde sie von Harvard-Professor Clayton M. Christensen. Ihm zufolge stehen nicht die Leistungsmerkmale eines Produkts im Fokus, sondern dessen tieferer Sinn und damit die Frage: Mit welcher Aufgabe beauftragt der Kunde ein Produkt? Dabei geht es nicht um vordergründige Motive, sondern um die tatsächlichen Beweggründe, die oft verborgen dahinterliegen.
Was ein Kunde sich zum Beispiel beim Möbelkauf implizit wünscht: „Hilf mir, meine Wohnung heute neu einzurichten.” Die beste Antwort darauf hat Ikea. Solche Marken nennt man „Purpose Brands”. Sie sagen klipp und klar, welche Aufgaben sie erledigen können und wodurch sie sich differenzieren. Sie kommen einem sofort in den Sinn, wenn man eine entsprechende Aufgabe zu bewältigen hat.

Die höhere Bedeutung

Zum Beispiel sieht sich Google nicht selbstfokussiert als größter globaler Suchmaschinenbetreiber, sondern „organisiert die Informationen der Welt”. Amazon will nicht das Kaufportal Nummer eins sein, sondern „die höchste Kundenzufriedenheit der Welt” erreichen. Tesla „treibt den Übergang zu nachhaltiger Energie voran”. TED versteht sich nicht als namhafter Konferenzanbieter, sondern will „wertvolle Ideen weiterverbreiten”. Was demnach zu ergründen ist: Das tiefere Anliegen, die höhere Bedeutung und die ganz besondere Rolle, die eine Lösung im Leben der Menschen spielen kann. Was bedeutet: Weg vom Produkt, hin zum Purpose. Wir müssen den wirklichen Job verstehen, den ein Angebot macht.

Etwa so: Niemand interessiert sich für die Zusammensetzung eines Parfums, aber wir wollen alle gut riechen. Oder so: Der Kunde will keinen Staubsauger kaufen, er will Reinigungswirkung. Staubsauger sind kopierbar, und wenn alles gleich ist, entscheidet nur noch der Preis. Über die Reinigungswirkung hingegen eröffnet sich eine vielfältige Welt, die zu einem neuen Daseinssinn werden kann. Zum Beispiel hat sich die Logistikmarke UPS vom United Parcel Service zum United Problem Solver, also von einem Logistik­anbieter zu einem Rundum-Service-Partner gewandelt. Oder nehmen wir Vitra. Diese Marke hat sich vom reinen Büromöbelhersteller zu einem Gestaltungshelfer für moderne Arbeitslandschaften weiterentwickelt.

Ohne Purpose? Flop!

Wenn Menschen eine Aufgabe zu bewältigen haben, holen sie das dazu passende Konzept in ihr Leben: um voranzukommen, um erfolgreicher zu sein, um eine bessere Zukunft zu haben. Wann? Möglichst sofort. Wie? Möglichst anstrengungsfrei. Und am liebsten das Beste zum günstigsten Preis. Dabei spielen nicht nur funktionale, sondern auch soziale und emotionale Dimensionen eine maßgebliche Rolle. Oft wollen wir nicht nur uns selbst Gutes tun, sondern auch auf andere wirken, um Fürsorge, Coolness, Lifestyle oder was auch immer zu zeigen. Menschen sind Selbstdarsteller und Inszenierungskünstler, wozu die Sozialen Medien fantastische Werkzeuge bieten.

Hier noch ein paar PS, da mehr Inhalt, dort neue Features, die Verpackung größer, das Etikett bunter? Das allein reicht nicht. Wer durch die Brille des Kunden schaut und Hürden erkennt, die den Fortschritt hemmen oder Frust erzeugen, hat einen ersten Hinweis auf ein tatsächliches Innovationsfeld.
Doch längst nicht alles, was rein technisch möglich ist, ergibt für den Kunden Sinn. Keine neue Technologie ist per se interessant. Interessant ist vielmehr das, was wir durch sie erreichen. Viele neue Produkteigenschaften dokumentieren zwar Ingenieurs- und Designerkunst, sind aber für den Nutzer nicht von Belang, weil sie keinen Purpose in sich tragen – hohe Flopraten sind dann vorprogrammiert.

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