Nutri-Score: Die Sicht der Lebensmittelindustrie
© Paul Hafner
RETAIL Redaktion 09.09.2022

Nutri-Score: Die Sicht der Lebensmittelindustrie

Nicht nur foodwatch Österreich sieht im Nutri-Score vorwiegend Gutes; auch unter den Herstellern gibt es kaum deklarierte Gegner.

••• Von Christian Novacek und Paul Hafner

WIEN. In der medianet-Coverstory der Vorwoche („Der Nutri-Score sorgt weiterhin für Zündstoff”, erschienen am
2. September 2022) wurde der Nutri-Score aus Sicht des heimischen LEH beleuchtet – in Teil zwei kommen nun der Verein foodwatch Österreich und Vertreter der heimischen Lebensmittelindustrie zu Wort: „Wir brauchen als Konsumentinnen und Konsumenten eine einfache, leicht verständliche Nährwertkennzeichnung”, holt Heidi Porstner, Leitung foodwatch Österreich aus. „Die Nährwerttabellen sind oft sehr kleingedruckt auf der Verpackungsrückseite. Sie müssen um eine leichter verständliche, gut sichtbare Kennzeichnung auf der Verpackungsvorderseite ergänzt werden. Die EU-Kommission wird gegen Ende des Jahres einen Vorschlag dafür auf den Tisch legen.” Der Nutri-Score sei nicht nur das „derzeit am besten untersuchte Kennzeichnungssystem” und von unabhängigen Wissenschaftlern entwickelt, er erfülle überdies „alle wesentlichen Kriterien, die eine vereinfachte Nährtwertkennzeichnung haben muss”.

Während aktuell „viele EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch Österreich, auf den Vorschlag der EU-Kommission zu warten scheinen”, sei dieser etwa in Deutschland, Frankreich und in den Niederlanden „längst eingeführt”; die Erfahrungswerte fielen positiv aus. Lisa ­Kernegger, Co-Leiterin foodwatch Österreich, ergänzt: „Zahlreiche Studien und Umfragen bestätigen, dass der Nutri-Score jene Kennzeichnung ist, die von Konsumentinnen und Konsumenten am leichtesten verstanden wird.” Der Nutri-Score sei in erster Linie schlichtweg „eine Übersetzung der Nährwerttabelle in einen leicht verständlichen Farbcode”, der seine volle Wirkung aber nur dann entfalten könne, wenn er EU-weit verpflichtend eingeführt werde. „Nur dann können Konsumentinnen und Konsumenten im Supermarkt auf einen Blick sehen, wie ausgewogen oder wenig ausgewogen ein Produkt ist”, so Kernegger.

iglo in der Pionierrolle

Wer nach Produkten mit Nutri-Score in der eigenen Küche sucht, könnte im Tiefkühler fündig werden: Anfang 2021 begann TK-Marktführer iglo die Kennzeichnung seiner Produkte mit dem Nutri-Score, bis Anfang 2023 soll das gesamte Sortiment darauf umgestellt sein – damit ist iglo einer der Vorreiter in der heimischen Lebensmittelindus­trie in Sachen Nutri-Score. „Auch wenn es derzeit keine rechtliche Verpflichtung gibt, Lebensmittel mit Nutri-Score zu kennzeichnen, ist iglo als Unternehmen der Ansicht, dass Transparenz wichtig ist, und begrüßt Maßnahmen, die zu mehr Transparenz dem Konsumenten gegenüber führen”, erläutert Florian Pesjak, Brand & Communications Manager von iglo Österreich.

Dementsprechend werde „der Ansatz verfolgt, freiwillig über gesetzliche Bestimmungen hinaus zu deklarieren, wenn es für den Konsumenten einen Mehrwert bietet. Das gilt sowohl für Nährwertangaben als auch für Herkunftsangaben.” Um die „grüne Quote” zu erhöhen – aktuell haben 80% der öserreichischen iglo-Produkte einen Nutri-Score von A oder B –, würden bestehende Rezepturen laufend angepasst werden.

Nestlé pro Einführung

Auch Nestlé Österreich ist unter den vorreitenden Befürwortern: „Wir haben bereits vor zwei Jahren begonnen, unsere Produkte mit dem Nutri-Score zu kennzeichnen – in mehreren europäischen Ländern. Wir implementieren Nutri-Score in Belgien, Luxemburg, Frankreich, Deutschland, Portugal, Spanien, der Schweiz und auch in Österreich”, erklärt Katharina Keimelmayr, Head of Corporate Communications & Public Affairs, Nestlé Österreich. Man tue das bei „unseren fully-owned-Marken, abgesehen von jenen, die vom Nutri-Score ausgenommen sind, wie etwa Säuglingsnahrung. Das umfasst Original Wagner Pizza und Garden Gourmet-Produkte über Nesquik-Cerealien bis hin zu Maggi-Suppen, Nescafé Cappuccino und Smarties – und von A bis E ist bei den Scores alles dabei.”

Der Nutri-Score biete einen „klaren Standard” und funktioniere „nachweislich bei den Verbrauchern”; wichtig zu verstehen sei, dass das System auf den Vergleich von Produkten innerhalb einer Kategorie abziele – und „nicht um Diät-Cola mit Olivenöl zu vergleichen”. Dass der Nutri-Score aktuell nur auf freiwilliger Basis angewendet werde, bedeute viel ungenutztes Potenzial: „Eine verpflichtende Anwendung würde zu einem einheitlichen, harmonisierten System führen, von dem Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen profitieren würden.”

Wenig Kontra

Den Nutri-Score allenfalls für „hochverarbeitete Produkte” geeignet hält Josef Braunshofer, Geschäftsführer von Berglandmilch – ein System, das „davon ausgeht, dass ein Mensch 100 Gramm Butter auf einmal isst, sollte aus unserer Sicht nochmals überdacht werden”.

Deklariert gegen den Nutri-Score wollen sich in der Lebensmittelproduktion ansonsten nur wenige positionieren. Den allgemeinen Grundtenor spiegelt das Statement von Mondelez wider: Man befürworte „einen koordinierten Ansatz auf EU-Ebene, um ein harmonisiertes System zur Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln zu schaffen, das auch die Portionsgröße mit einbezieht”, betont Sprecherin Christine Benesch; die individuellen Eigenschaften existierender Systeme wolle man aber nicht kommentieren.

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