Preis, lass nach – es winkt die Personalnot
© APA/Barbara Gindl
RETAIL Redaktion 12.05.2023

Preis, lass nach – es winkt die Personalnot

Österreichs Lebensmittelindustrie kämpft sich von einer durch die nächste Krise. Vom Umsatzwachstum bleibt real wenig übrig.

••• Von Paul Hafner

Die Probleme und Herausforderungen, mit denen sich die heimische Lebensmittelindustrie 2023 konfrontiert sieht, unterscheiden sich von jenen, die 2022 im Mittelpunkt standen, nur in Nuancen. „Die Themen, die uns derzeit am meisten beschäftigen, sind Verfügbarkeiten von Rohwaren und Preissteigerungen in allen Bereichen”, bringt es Martin Kaufmann, National Sales Manager bei iglo Österreich, auf den Punkt – und spricht damit nicht nur für den Marktführer der Tiefkühlbranche, sondern für die gesamte Lebensmittelindustrie.

Nicht mehr oder zumindest gegenwärtig nicht so stark ausgeprägt ist die Angst vor einem gravierenden Gas-Engpass; die Großhandelspreise haben sich gegenüber dem Höhepunkt im Herbst 2022 erheblich verringert, für den Mai ist ein weiterer Rückgang um 13% prognostiziert – und dürfte dann laut Österreichischer Energieagentur „nur” mehr das Doppelte vom Preis von 2015 betragen, statt wie im Oktober das Vierfache.
Eine gewisse Entspannung lässt sich auch daran ablesen, dass das mantraartige Beruhigen seitens Politik, Handel und Hersteller, die Versorgung mit Lebensmitteln sei sicher, aufgehört hat – und das auch der Konsument akzeptiert hat: Das große „Hamstern” ist vorbei, Lebensmittelhandel und Lebensmittelindustrie haben nach der Coronakrise (von der schon keiner mehr spricht) nun auch im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bewiesen, dass niemand hungern muss.
Ein Ende der vereinzelt leeren Regale bedeutete diese Entwicklung indes mitnichten – Grund dafür sind diesmal aber nicht kaufwütige Klopapierhamster, sondern Lieferstopps. Womit auch jenes Thema angesprochen wäre, das Handel und Industrie seit dem Herbst am häufigsten in das mediale Rampenlicht gebracht haben: Streitereien um den Preis, die in vielen Fällen tatsächlich zu Auslistungen bzw. einseitigen Lieferstopps geführt haben.

Partnerschaft auf der Probe

Wenngleich die Kommunikationsabteilungen der Lebensmittelhändler schon bald nach den ersten größeren Berichten in Publikumsmedien aufgehört haben, vermeintliche Lieferstopps konkreter Hersteller zu kommentieren, ist es kein Geheimnis – und macht auch ein Blick zum deutschen Nachbarn klar –, dass es vor allem die großen internationalen Konzerne sind, mit denen häufig keine Einigungen erzielt werden. Obwohl sich die Verhandlungen zwischen Handel und Industrie im Allgemeinen „extrem zäh” gestalteten, wie Spar-Sprecherin Nicole Berk­mann im Oktober unumwunden zugab, fand und findet sich mit den (freilich weniger mächtigen) heimischen Herstellern doch in den allermeisten Fällen eine Lösung.

Wichtig dafür sei größtmögliche Transparenz und der gemeinsame Wille, die Kostensteigerungen zugunsten des (bekanntlich ebenfalls in allen Lebensbereichen von der Teuerung betroffenen) Konsumenten jeweils so gut wie möglich abzufedern, schildert Schlumberger-Geschäftsführer Benedikt Zacherl den Königsweg. Dass man bisweilen hart verhandle, „liegt in der Natur der Sache”, doch wo „auf Augenhöhe und lösungsorientiert” verhandelt werde, finde man für sehr vieles Lösungen.

Suche nach den „Schuldigen”

Wo das tatsächlich oder vermutetermaßen nicht der Fall ist, fiel in letzter Zeit immer öfter der Begriff der „Gierflation”. Zum Politikum ersten Ranges wurden die kontinuierlich steigenden Lebensmittelpreise schließlich mit der Ansage von Sozialminister Johannes Rauch, die Teuerung sei „nicht nachvollziehbar” und ein gemeinsamer Tisch mit Experten und Vertretern der Handelsketten geboten. Nachdem auch Wifo-Chef Gabriel Felbermayer wachsende Wettbewerbsnachteile ins Feld führte und seinerseits dringend zu Maßnahmen aufrief, lenkte Arbeitsminister Martin Kocher schließlich ein und gab grünes Licht für einen „Lebensmittelgipfel”. Dieser ging am Montag nach zwei Stunden ergebnislos zu Ende, am heutigen Freitag sollen weitere ministerielle Unterredungen folgen.

Trotz diverser Meldungen von Umsatzrekorden darf das Gros der heimischen Hersteller jedenfalls als unverdächtig gelten: In vielen Fällen verbirgt sich hinter einem ansehnlichen zahlenmäßigen Wachstum ein inflationsbereinigtes Umsatzminus – oder, wie im Fall der heimischen Milchwirtschaft, ein Realzuwachs im Promillebereich (s. Seite 91).

Teuer macht durstig

„Erste Signale einer Entspannung” nach einem „auch für die gesamte Bierbranche sehr herausfordernden Jahr” ortet aktuell Ottakringer-Geschäftsführer Harald Mayer. Am wichtigsten sei aber, „dass positive Kostenentwicklungen, zum Beispiel bei der Energie, da draußen bei den Konsumentinnen und Konsumenten ankommen. Die Privathaushalte sind es, deren Kaufverhalten über so vieles entscheidet. Wir brauchen wieder ein positives Konsumklima.” Seitens Ottakringer setzt man dabei auf zwei parallel laufende Awareness-Kampagnen („Alles Wirt Gut!” und „Uns kannst du gernhaben!”) – und hegt darüber hinaus große Ambitionen, das Brauereigelände als Eventlocation zu pushen.

Eine zufriedene Bilanz zieht Herbert Bauer, General Manager Coca-Cola HBC Österreich, für die Getränkeindustrie: „Im Segment der alkoholfreien Getränke wurden über die Gesamtbranche gesehen im Umsatz (+ 7,7 Prozent gegenüber 2021), als auch im Absatz von 1,387 Milliarden Litern (+0,6%) Zuwächse erzielt”, das Jahr könne für die Branche somit „positiv betrachtet” werden, für Coca-Cola HBC sei es indes besonders gut gelaufen: Mit einem Plus von 8,6% im Umsatz und 2,0% im Absatz bei Marktanteilen von 24,4% (+0,02 Prozentpunkte) sei man „Wachstumstreiber Nummer eins im Bereich der alkoholfreien Getränke”.
Mit der Einführung des neuen Pfandsystems 2025 habe die gesamte Branche „eine große Aufgabe vor sich” – der man aber geschlossen und „zuversichtlich” begegne; dem Mehrwegglas-Trend (+5% im Umsatz ggü. 2021) trägt der Marktführer mit einer Investition von zwölf Mio. € in eine neue Mehrwegglaslinie am lokalen Produktionsstandort in Edelstal Rechnung.

Fokus auf die Nachhaltigkeit

„Das bestimmende Thema in der gesamten Lebensmittel- und Getränkebranche ist Nachhaltigkeit”, sieht auch Spitz-Geschäftsführer Walter Scherb den langfristigen Fokus mehr auf Umweltanliegen denn auf der momentanen Teuerung. „Es werden über EU-Regulative und lokale Gesetzgebungen massive Veränderungen – sei es die Mehrwegquote, das Einwegpfand, Recyclinganteile oder die Reduktion von Kunststoff – auf uns zukommen und dafür müssen wir gut aufgestellt sein. Diese Überlegungen betreffen nicht nur das Produktsortiment, sondern beispielsweise langfristige Eigenständigkeit in der Energieversorgung in Richtung Ausbau Photovoltaik oder Wasserkraft.”

Die Auswirkungen der „umfassenden Volatilität auf den Beschaffungsmärkten” habe der Getränke- und Lebensmittelhersteller „zum Glück gut bewältigt”, aktuell beobachte man „vereinzelt wieder mehr Verlässlichkeit hinsichtlich Verfügbarkeiten, wodurch wieder eine stabilere Planung und Lieferfähigkeit gegeben ist”.

Investitionen für mehr Absatz

Den unruhigen Zeiten und volatilen Märkten zum Trotz ruft Norbert Marcher, Geschäftsführer der Marcher Fleischwerke, in Erinnerung, dass „die Lebensmittelbranche per se als sehr stabiler Markt” gelte. Was die Fleischbranche im Speziellen betreffe, so sehe sich diese „mit besonders ernstzunehmenden Themen konfrontiert, die uns auch in den nächsten Jahren beschäftigen werden”. Der Marktführer sieht dies aber auch „durchaus als Chance, mit selbstbewusstem Auftreten, Authentizität und Transparenz uns den kritischen Themen und Anliegen zu stellen”.

Mitbewerber Wiesbauer verzeichnete mit einem Zuwachs von rd. 21% einen Rekordumsatz, welcher allerdings „zu einem großen Teil aus den im Handel umgesetzten Preiserhöhungen” resultierte und sich „durch die extrem gestiegenen Kosten in der Produktion relativiert”, wie Thomas Schmiedbauer, Geschäftsführer des Wiener Wurstspezialisten, festhält.
Die kommenden Monate würden „um nichts einfacher”, doch will man mit Investments an allen vier Standorten – darunter einem mehrstufigen Zubau in Wien – dafür sorgen, dass noch heuer eine „deutliche Absatzsteigerung” zu Buche steht.

Verschärfte Personalsituation

Auch Österreichs bekanntester Lebensmittelhersteller, Manner, konnte seinen Gesamtumsatz deutlich steigern (+10,1%) und hierzulande „sowohl im Umsatz als auch im Absatz dynamischer als der Markt wachsen”, wie CEO Andreas Kutil kürzlich im Rahmen der Präsentation des Jahresfinanzberichts bekannt gab. Rechnung getragen wird in diesem auch dem erhöhten Personalrisiko aufgrund einer „unüblich hohen Personalfluktuation bei gleichzeitig herausfordernder Verfügbarkeit von geeigneten Fachkräften am Arbeitsmarkt”; es zeichnet sich ab, dass der Personalmangel die Teuerung auch in der Lebensmittelindustrie mittelfristig als Problemthema Nummer eins ablösen wird.

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