Preispolitik im LEH: Quo vadis, Aktionitis?
© APA/Helmut Fohringer
RETAIL Redaktion 28.05.2021

Preispolitik im LEH: Quo vadis, Aktionitis?

Spar und Rewe kommunizieren explizit unterschiedliche Preisstrategien. Welche ist die „richtige”?

••• Von Paul Hafner

WIEN. Als Rewe International-Vorstand Marcel Haraszti Anfang April im Zuge des Re­brandings von Merkur auf Billa Plus eine „Abkehr von der ausufernden Rabattitis” verkündete, war das durchaus bemerkenswert.

Zwar liegt freilich auch das Bekenntnis zu niedrigen Kurantpreisen im Trend, und Haraszti sprach sich immer schon für eine neue Preispolitik, ein Raus aus dem „Aktionsdschungel” und eine schrittweise Reduktion der Rabatte aus. Doch mit der Abschaffung zweier durchaus beliebter Rabatte („Satte Rabatte”, „Ich-suchs-mir-aus-Rabatt”) samt der Kurantpreissenkung von 2.000 beliebten Artikeln wagte die Rewe, die im vergangenen Jahr bekanntermaßen die Marktführerschaft an Spar verloren hat, einen durchaus mutigen Schritt, der im Zuge des langfristig angelegten Strategiewechsels alle bisherigen Maßnahmen zur Reduktion des Aktionsanteils übertrifft. So oft Rabatte und Aktionen von allen Seiten – Konsumentenschützern, Industrie und auch Handel selbst – in die Kritik geraten: In der Pandemie haben Rabatte und Aktionen Hochsaison.

Bruttowerbewert gestiegen

Eine Studie des Marktforschungsinstituts Focus weist für das „Corona-Jahr” 2020 einen Bruttowerbewert für Aktionen im Bereich „Food Total” von 255,2 Mio. € aus – das ist ein saftiges Plus von 5,7% gegenüber dem Vorjahr (241,6 Mio. €). Bekanntlich stieg in der Pandemie die Nachfrage nach Bio-Produkten; auf diesen Trend reagierte der Handel entsprechend und investierte 22,4 Mio. € an Bruttowerbewert in Aktionen – ein massives Plus von 29,2% gegenüber 2019.

Während bei den Bio-Aktionen der Löwenanteil des Bruttowerbewerts auf die Warenkörbe Brot/Gebäck, MoPro und Gemüse entfällt, verteilen Konsumenten Rabattmarken – die aufgrund ihrer freien Verteilbarkeit in den letzten Jahren besonders an Popularität gewonnen haben – naheliegenderweise bevorzugt auf teure Delikatessen; entsprechend sind hier laut Observer / Marktguru-Umfrage Fleischwaren, Tiefkühlprodukte, Süßigkeiten und Feinkost am beliebtesten.
Aus Kundensicht scheint die Sache klar: Wer auf 25%-Pickerl, Rabattsammler und Co. verzichtet, zahlt drauf; entsprechend werden die Rabatte und Aktionen, die in allerlei Formen daherkommen, in Anspruch genommen und gelten daher als wohlgelitten. Doch nicht jeder Sparfuchs ist ein leidenschaftlicher Rabatttiger – nicht umsonst steht die Preisreform der Rewe im Dienste von Harasztis großem Ziel, zur Nummer 1 bei der Kundenzufriedenheit zu werden.

Nation der Aktionen

Punkto Anteil an Rabatten und Aktionen im Lebensmittelhandel zählt Österreich laut Marketingexperte Peter Schnedlitz europaweit zu den Spitzenreitern. Doch das hat seinen Preis, wie Konsumentenschützer immer wieder erklären: Zum einen seien sie nur durch vorherige Preisaufschläge möglich, was nicht zuletzt am konstant höheren Grundpreisniveau als z.B. beim Nachbar Deutschland liegt. Zum anderen fungieren Rabatte und Aktionen primär als Frequenzbringer und sorgen dafür, dass Menschen – angezogen von der Verheißung, einen (Preis-)Vorteil auszunutzen – Produkte kaufen, die mitunter letztlich im Müll landen.

Die Perspektive der Industrie

Aus Perspektive der Industrie ist „traditionell” die Milchwirtschaft jene Branche, die am lautesten gegen Aktionitis aufbegehrt; nur wenige Wochen vor Ausbruch der Corona-Pandemie machten Tausende Milchbauern mit Protesten gegen Preisaktionen auf sich aufmerksam – und bekamen dabei Unterstützung von Kärntnermilch-Geschäftsführer und VÖM-Präsident Helmut Petschar, der sich zwar eines Pauschalurteils gegen Aktionen verwehrte, aber 50%-Nachlässe und „1+1”-Gratisaktionen kritisierte.

Auch Schlumberger-Vorstand Benedikt Zacherl hält eine „Reduktion der Rabattitis” für Konsumenten wie auch Lieferpartner für wünschenswert, gehe doch „durch die zahlreichen Aktionen auch viel Wertschöpfung verloren”. Eine Abkehr davon sei allerdings nur „in kleinen Schritten möglich, da die Konsumenten über viele Jahre und Jahrzehnte zu ‚Aktionskäufern' erzogen wurden”. Ein wesentlicher Faktor, den man im Auge behalten müsse, sei immer auch die Höhe der gewährten Rabatte. „Als heimischer Markenartikler mit dem Hauptmarkt Österreich stellen uns die Konditionserosion und die stetig steigenden Aktionsforderungen mittelfristig vor unlösbare Herausforderungen – mit der Folge einer Bedrohung der Wertschöpfung und Arbeitsplätze hierzulande. Insofern wäre ein Umdenken gerade für die heimischen Hersteller sehr zu begrüßen.”

Spar pragmatisch

Einen der Rewe diametral entgegengesetzten Standpunkt nimmt Spar ein – und bekennt sich auch selbstbewusst dazu: „Preisaktionen gehören im Handel einfach dazu. Das ist eine Art Naturgesetz, denn die Menschen sind im tiefsten Inneren einfach Jäger und Sammler. Sie lieben es, Schnäppchen zu ergattern”, erklärt Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann und betont, von Exklusivrabatten Abstand zu halten – von Kundenclubs halte man „nichts”. Bei Spar werde es weiterhin viele verschiedene Rabattaktionen geben: „Eine ganz besonders beliebte ist das Rabattmarkerlbuch; hier kommt wieder die Sammelleidenschaft ins Spiel.”

Man erinnert sich: Die Rabattmarkerl wurden 2014 – im Zuge der Feierlichkeiten um „60 Jahre Spar” – medienwirksam mit nostalgischen TV-Spots („Vor 60 Jahren ein Hit und noch heute Österreichs beste Spar-Idee”) relauncht. Der Erfolg der Aktionsstrategie von Spar ist kaum von der Hand zu weisen, wird sie doch branchenintern stark mit dem Marktführerschaftswechsel in Verbindung gebracht.
Entsprechend ist auch die Strategie der Rewe im Lichte des Kampfs um die Nummer eins im LEH zu sehen: Mit dem Fokus auf niedrige Kurantpreise entzieht man sich einem für alle Seiten nachteiligen, direkten Preiskampf und schwenkt doch nicht die weiße Fahne. Die Ansage „Die Nummer 1 bei der Kundenzufriedenheit” erscheint vor diesem Hintergrund als bedächtiger Versuch, das Match der beiden LEH-Giganten auf anderen Wegen gewinnen zu wollen.

Quo vadis, Aktionitis?

Letztlich gilt es, Aktionen und Rabatte nach dem Realitätsprinzip zu beurteilen: Ihr „Ausufern” bedeutete vor über zehn Jahren das Ende der konstanten Marktanteilgewinne der Diskonter, was im Umkehrschluss indiziert: Für den Kunden bleibt so oder so – und mehr noch in Krisenzeiten – der Preis das wichtigste Kriterium, wo der Wocheneinkauf verrichtet wird. Unter diesem Gesichtspunkt stellen die konträren Strategien von Spar und Rewe, nüchtern betrachtet, eine Ausdifferenzierung des Marktes dar – und das ist zumindest aus Konsumentensicht nichts Schlechtes.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL