WIEN. Bis Juli 2021 mussten Bestellungen aus Drittländern mit einem Warenwert von unter 22 Euro nicht beim Zoll angemeldet werden – der Fall dieser Freigrenze wurde vom Handel damals sehr begrüßt. HV-Geschäftsführer zog im Herbst desselben Jahres eine positive Bilanz: „Die Abschaffung dieser Freigrenze war ein ganz entscheidender Schritt für mehr Fairness im europäischen Onlinehandel. Die Zahlen sprechen für sich, die Zahl der Pakete aus Asien hat sich in Österreich innerhalb von nur drei Monaten halbiert.”
Vor dem Hintergrund des schnellen Wachstums der chinesischen Onlineanbieter Temu und Shein im europäischen Markt wird nun zunehmend der Ruf nach einem Vorziehen des nächsten Schrittes: Das Aus der 150-Euro-Zollfreigrenze, vorgesehen für 2028. Abermals Will, diesmal zur aktuellen Situation: „Die EU-Kommission schläft hier leider in der Pendeluhr, so lange kann kein europäischer Handelsbetrieb warten.” Die Freigrenze müsse bis „allerspätestens 2026” fallen.
Ganz ähnlich sieht das Rainer Trefelik, Handelsspartenobmann bei der WKÖ, doch er warnt: „Ohne entsprechende Kontrollen ist das zahnlos, wenn zum Beispiel eine asiatische Plattform den wahren Warenwert nicht richtig deklariert und sich so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber europäischen Anbietern verschafft.”
„Anleitung zum Zollbetrug”
Die EU selbst geht für 2023 von rund zwei Milliarden Paketen aus, die aus China unter dem Titel „zollfrei” nach Europa geliefert wurden, Tendenz weiterhin stark steigend. Der Handelsverband mutmaßt, dass rund zwei Drittel dieser als zollfrei deklarierten Päckchen falsch ausgewiesen sein könnte, um Zollgebühren zu umgehen und Einfuhrumsatzsteuer zu sparen. Und nicht nur das: „Uns sind Fälle bekannt, in denen selbst bei Rücksendungen die europäischen Kunden aufgefordert werden, den Wert der Rücksendung bewusst falsch anzugeben, um sich den Zoll zu sparen. Das ist quasi eine schriftliche Anleitung zum Zollbetrug”, so Will.
Plädoyer für Zoll-Stärkung
Mit den derzeitigen Ressourcen lasse sich nur ein kleiner Teil kontrollieren, und auch das nur oberflächlich; die Ressourcen müssten daher rasch aufgestockt werden, „vor allem aber muss die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Zoll- und Steuerbehörden dringend verbessert werden. Auch die IT-Systeme hinken der Realität der neuen Geschäftsmodelle hinterher. Der österreichische Zoll hat 2022 übrigens auch Fake-Produkte im Wert von 6,7 Mio. Euro beschlagnahmt”, so der Handelssprecher weiter, der daher „dringend mehr Zollbeamte, die Verhinderung von Zollumgehungen und ein strenges Vorgehen gegen Produktpiraterie” fordert. (red)