Teilzeitfalle: HV warnt vor „Generation geringfügig”
© Daniel Mikkelsen/Leadersnet
Präsentierten das „Jahrbuch Handel 2023”: Wolfgang Ziniel (l.), Projektleiter der KMU Forschung Austria, und Rainer Will, Geschäftsführer des Handels­verbands.
RETAIL Redaktion 07.04.2023

Teilzeitfalle: HV warnt vor „Generation geringfügig”

Einzelhandel büßte real 3,6 Prozent gegenüber 2021 ein – Mitgrund ist der zunehmende Personalmangel.

••• Von Paul Hafner

Bei der Präsentation des Jahrbuch Handel 2023 in den Räumlichkeiten des Handelsverbands in Wien-Josefstadt rückt Wolfgang Ziniel, Projektleiter der KMU Forschung Austria, zunächst die aktualisierten Kennzahlen des heimischen Handels in den Vordergrund: Man zählt über 82.000 Unternehmen mit 625.000 Beschäftigten; einem Gesamtumsatz von 319,3 Mio. € steht eine Bruttowertschöpfung von knapp 39 Mrd. € gegenüber. „Damit ist der Handel der umsatzstärkste Wirtschaftsbereich und zweitgrößter Arbeitgeber des Landes, er schultert fast ein Fünftel der gesamten Wertschöpfung”, hilft HV-Geschäftsführer Rainer Will, die Zahlen einzuordnen.

Nimmt man nur den Einzelhandel ins Visier, belaufen sich die Umsatzerlöse der über 44.000 Unternehmen auf 81,8 Mrd. € – fast ein Drittel (32%) davon entfällt auf den LEH, der fast 116.000 Mitarbeiter beschäftigt.
Wenngleich die Umsätze des Einzelhandels 2022 nominell um über acht Prozent gegenüber 2021 nach oben kletterten und damit um gute 15% über dem Vor-Krisen-Jahr 2019 liegen, steht für denselben Zeitraum „inflationsbereinigt ein Rückgang von 3,6 Prozent zu Buche”, wie Ziniel vorrechnet.
Indes positiv: „Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 hat sich die Zahl der Unternehmen um ein Prozent erhöht. Die Beschäftigtenzahl konnte zwischen 2019 und 2022 sogar um 2,5 Prozent ausgebaut werden.”

Gemischtes Bild

„Der Handel bewegt sich zwischen Hoffnung und Herausforderung”, fasst Will zusammen. „Die Einzelhandelsumsätze 2022 sind im Vergleich zu 2021 real um 0,8 Prozent zurückgegangen, gleichzeitig sind die Kosten gestiegen. Umsatz ist auch nicht gleich Gewinn. Viele Händler haben während der Pandemie und zuletzt in der Energiekrise Liquiditätsprobleme bekommen. Sie waren gezwungen, ihre Preise zu senken bzw. weniger stark anzuheben als im Einkauf – gleichzeitig sind die Kostenblöcke in die Höhe geschossen. Das hat bei zwei Drittel der Betriebe die Gewinnspannen stark nach unten und teilweise in die Verlustzone gedrückt”, gibt der Handelssprecher zu bedenken.

2023 werde jedenfalls „erneut ein Jahr voller Herausforderungen” – eine der wichtigsten sieht Will im anhaltenden Personalmangel, dem mit einer Arbeitsmarktreform beizukommen sei, wie er abermals bekräftigte.

Ruf nach Arbeitsmarktreform

Anstoß für Wills neuesten Vorstoß ist eine aktuelle Händlerbefragung, bei der 62% angeben, vom Arbeitskräftemangel betroffen zu sein; vier Prozent sind mangels Personal von Filialschließungen betroffen, bei weiteren 14% sei nur eingeschränkter Betrieb möglich. „Händler in Einkaufszentren haben Betriebspflichten, da muss offen gehalten werden, aber in Peripherien und Ortskernen nehmen reduzierte Öffnungszeiten – u.a. bei Sportartiklern – zu.”

Aufräumen wolle er mit dem Mythos, dass der Handel ohnehin nur Teilzeitstellen zu vergeben habe: „Das wird dem Handels gerne vorgeworfen, stimmt aber schlichtweg nicht – wir bieten für jeden den passenden Job.” Viele Teilzeitausschreibungen seien die Folge davon, dass man für Vollzeit niemanden gefunden habe – also eine Art unfreiwilliges Nachgeben.
Gleichzeitig werde nicht auf Vollzeit gepocht: „Man darf auch Vollzeit nicht gegen Teilzeit ausspielen – wichtig ist, dass es sich finanziell auch proportional auszahlen muss, die Stunden zu erhöhen.” Außer Frage stehe somit, dass sich Arbeit „wieder lohnen” müsse: Kaum wo in der EU würden Arbeitgeber so viel für ihre Beschäftigten zahlen, ohne dass es den Angestellten selbst bleibe; Vollzeitarbeit müsse „endlich attraktiviert werden”, auch die Erhöhung des Stundenausmaßes in Teilzeit dürfe nicht länger durch übergebührliche Zunahme an Abgaben „bestraft” werden.
Die Politik sei gefragt, das zeige der Vergleich: „Der Handel bietet attraktive Jobmöglichkeiten. Aber im EU-Vergleich ist die Abgabenbelastung nur in Belgien und Deutschland noch höher als in Österreich. In allen anderen EU-Ländern bleibt einem Durchschnittsverdiener monatlich mehr Netto vom Brutto. Wir müssen jene Menschen mobilisieren, die arbeiten können, aber nicht wollen, um auch jene nachhaltig in ihrer Lebenssituation abzusichern, die arbeiten wollen, aber nicht können.”
Hinzu komme: Abgesehen von Belgien und Spanien sei es europaweit in keinem anderen Land finanziell unattraktiver, seine Arbeitszeit auszuweiten. Wenn eine Teilzeitkraft die Wochenarbeitszeit um 50% ausweitet, steigt der Nettolohn in Österreich nur um 32% – in Schweden sind es hingegen 44%.

„Generation geringfügig”

Der Handel habe jedenfalls seinerseits seine Hausaufgaben gemacht: Der Kollektivvertrag sei erheblich attraktiviert worden, besonders für Junge gebe es nun „deutlich stärkere Anreize”. Nun liege der Ball bei der Politik: „Die Bundesregierung muss eine ‚Generation geringfügig' vermeiden, über die negativen Konsequenzen von Teilzeitarbeit für die eigene Pension aufklären und dem Arbeitskräftemangel aktiv entgegenwirken.” Dafür bedürfe es neben besseren Anreizen auch einer „breitflächigen Aufklärungkampagne”, die ­erkläre, „dass durch die Teilzeitfalle nicht nur die Auswirkungen der Teuerungskrise verstärkt werden, sondern langfristig Altersarmut droht, wenn Pensionsansprüche dahinschmelzen”.

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