••• Von Thomas Hoisl
Selten zuvor brachte es der Wiener Westbahnhof zu mehr internationaler Aufmerksamkeit als im Spätsommer des vergangenen Jahres. Von New York Times bis Al Jazeera berichtete die gesamte Weltpresse, als sich im Zuge der Flüchtlingskrise hier ein neuer Hotspot entwickelte und in den Septembertagen jeden Tag zig Züge mit Tausenden Menschen eintrafen. Diese turbulenten Tage sind mittlerweile vorbei. Zum großen Teil sind die Flüchtlinge nach Deutschland weitergereist, dann sorgten erst der Bau des Grenzzauns in Ungarn und später das immer rigorosere „Grenzmanagement” der österreichischen Regierung dafür, dass keine Flüchtlinge mehr über die Balkanroute kommen und schon gar nicht mehr hier am Westbahnhof stranden.
Dass das Bild am Westbahnhof zum heutigen Zeitpunkt ein anderes ist, hat aber weniger mit der Verlagerung der Flüchtlingssituation zu tun, sondern vor allem mit dem Fahrplanwechsel der österreichischen Bundesbahnen im vergangenen Dezember. Seither wird am Westbahnhof nur mehr der Regionalverkehr abgewickelt, der Zugbetrieb dadurch auf ein Drittel – täglich rund 180 Fahrten – heruntergefahren. Mit dem 13. Dezember wurde der gesamte Fernverkehr mit 1.100 Zügen nämlich endgültig über den Hauptbahnhof umgestellt; nur die private Westbahn lässt ihre Züge weiterhin über den Westbahnhof fahren. Zurückgeblieben ist das große Shoppingareal der Bahnhofcity Wien West. Doch wie schwierig ist die Lage für den Geschäftsbetrieb seit dem Fahrplanwechsel wirklich geworden?
„Zwei Drittel weniger Kunden”?
2008 begannen die ÖBB mit dem Umbau des Westbahnhofs, den man sich immerhin 200 Mio. € kosten ließ und der 2011 fertiggestellt wurde. Mit der Bahnhofcity wurde die historische Empfangshalle zu einem Drei-Ebenen-Areal umfunktioniert, das vor allem im unteren Bereich einem klassischen Shoppingcenter gleichkommt. Auf 17.000 m2 Verkaufsfläche finden sich hier insgesamt 90 Shops, von Boutiquen, Elektronikhandel bis zum Süßwarengeschäft. Dazu kamen ein moderner Zubau mit 13.000 m2 Bürofläche und einem Hotel. Bei einem Lokalaugenschein zeigt sich, dass hier unter der Woche durchaus Betrieb herrscht, die Zahl der Kundschaft aber von Shop zu Shop stark variiert. Vor allem auf der oberen Ebene, wo sich der Food Court befindet und die meisten Passanten Bahnfahrer sind, geht es ruhiger zu. „Wir merken das leider schon sehr”, erzählt die Mitarbeiterin eines Kosmetikgeschäfts, die nicht namentlich genannt werden möchte, „unterm Strich würde ich sagen, dass uns etwa zwei Drittel der Kunden wegfallen.”
Überhaupt würden in letzter Zeit immer mehr Geschäfte zusperren, meint die junge Frau, demnächst etwa ein größeres Schuhgeschäft in der unteren Etage. Etwas gelassener sieht es dagegen die Betreiberin einer Trafik: „Gemerkt hat man es vor allem in der ersten Zeit, weil ja doch so viele Züge jetzt nicht mehr hier wegfahren und dadurch auch schlagartig weniger los war”, erklärt die Frau; „mittlerweile hat es sich aber wieder eingependelt, würde ich sagen.” Pendeln ist hier vielleicht das Stichwort, denn in der überwiegenden Zahl sind es ja regionale Pendler, die hier ankommen und abfahren. Diese würden nicht so viel kaufen wie etwa die Touristen des zuvor hier abgewickelten Fernverkehrs.
Rote Laterne
Der Umstand, dass die Mitarbeiter und Betreiber in der Banhofcity nur bedingt zufrieden sind, lässt sich in Teilen auch aus einer aktuellen Marktstudie von Ecostra und Standort+Markt herauslesen. Das jährliche Ranking listet insgesamt 148 österreichische Shoppingcenter nach der Zufriedenheit der Mieter auf. Aus dem Ranking lässt sich vor allem herauslesen, dass die Bahnhofcity WienWest in der Beliebtheit weit hinten liegt und auf Platz 60 abgerutscht ist; noch schlechter fällt das Ergebnis jedoch für das „Flaggschiff” Hauptbahnhof aus: Mit Platz 80 bekommt man hier die „rote Laterne” ausgestellt.
ÖBB-Pressesprecher Michael Braun relativiert auf medianet-Anfrage jedoch das Ergebnis: „Die Inhalte der Studie sind längst überholt. Der Umfragezeitraum der Befragung lag vor der Umstellung im Fahrplan, die am zweiten Sonntag im Dezember 2015 stattgefunden hat.” Heute herrsche am Hauptbahnhof eine gänzlich bessere Situation, denn „mit diesem Datum hat die Passantenfrequenz in der BahnhofCity Wien Hauptbahnhof um mehr als fünfzig Prozent zugenommen, sie beträgt derzeit mehr als 110.000. Wir gehen davon aus, dass auch die BahnhofCity am Wiener Hauptbahnhof erfolgreich sein wird, verstärken weiterhin die Vermarktungsaktivitäten und werden auch kleinere kosmetische Adaptionen vornehmen, damit sich die Menschen noch stärker wohlfühlen und auch vor Ort verweilen.”
Shoppingmall mit Haltestellen
Wie der Westbahnhof wurde bekanntlich auch das Milliardenprojekt Hauptbahnhof mit einem riesigen Mehrebenen-Einkaufsbereich ausgestattet. Der Publizist und Architekt Stefan Templ hat den Komplex deshalb ironisch auch einst als „Shoppingmall mit Haltestelle” bezeichnet.
Dass man mit den Großprojekten weit mehr will, als nur den Bahnverkehr regeln, erklärt dazu auch der ÖBB-Sprecher: „Bei den BahnhofCities verfolgen wir das Konzept, Bahnfahren insgesamt attraktiver zu machen. Es geht in erster Linie darum, dass Bahnfahrer auf dem Weg in die Arbeit oder nach Hause noch wichtige Erledigungen des Alltags abwickeln können – etwa Lebensmittel kaufen; dazu geht es darum, die zentrale Rolle der Bahnhöfe im Leben von 1,4 Millionen Bahnfahrern der ÖBB täglich zu nutzen.”
Der Hauptbahnhof habe deshalb das Potenzial, grundlegend die Lebensverhältnisse in den angrenzenden Bezirken zu verbessern, ist Braun sicher: „Hier am Wiener Hauptbahnhof geht es auch um eine regionale Entwicklung: Versorgungsfunktion des komplett neuen und weiter wachsenden Stadtviertels, etwa das Sonnwendviertel, und dazu der 5., 10., 11. und 3. Bezirk.”
Verlängerter Arm der Hilfer
Aber zurück nach Rudolfheim-Fünfhaus, in den 15. Nach außen könnte es durchaus den Anschein haben, dass sich die zwei Bahnhofcities gewissermaßen gegenseitig ausstechen: hier der Westbahnhof, der über eine zentrale Lage verfügt, aber nun nicht mehr über den Fernverkehr und die großen Touristenzahlen verfügt, auf der anderen Seite der Hauptbahnhof, wo die Abfahrtszahlen enorm sind, die Lage etwas abseits vom Schuss aber womöglich nicht die nötige Shoppingkundschaft bringt.
Michael Braun bestätigt, dass die BahnhofCity WienWest, die laut Angaben nach wie vor eine Frequenz von täglich 60.000 hat, jedenfalls heute in erster Linie durchaus reines Einkaufspublikum anziehen soll: „Der Wiener Westbahnhof wirkt als logischer Schlusspunkt der Einkaufsmeile Mariahilfer Straße, und zwei Drittel der Menschen kaufen hier ein, ohne Zug zu fahren.” Eine Verminderung in der Funktion als Bahnhof will Braun von den ÖBB jedenfalls nicht sehen: „Der Westbahnhof wird auch weiterhin ein für uns extrem wichtiger Bahnhof sein. Wir haben die Zahl der Nahverkehrszüge sogar um zehn Prozent gesteigert. Zusätzlich ist für die BahnhofCity Wien Westbahnhof die unverändert gegebene Nähe zur Mariahilfer Straße und die regionale Einkaufsfunktion für den 15. Bezirk entscheidend.”
Auf Sorgen und Anliegen der Mieter würde man – angesichts des auch hier nicht gerade berauschenden Ecostra-Ergebnisses von Platz 60 – in jedem Fall eingehen wollen: „Wir sehen uns in Partnerschaft mit den Pächtern und werden Maßnahmen ergreifen, sollte es dort oder da einzelnen Handlungsbedarf geben. Uns ist ein gemeinsamer, lösungsorientierter Zugang mit den Pächtern wichtig.”
Frequenzbringer
Ziemlich unberührt von den Sorgen im restlichen Handel zeigen sich einmal mehr die großen Lebensmitteleinzelhändler Spar und Rewe; sie kommen auf den beiden Bahnhöfen in den Genuss, auch sonntags über den Merkur Mini-Markt am Westbahnhof sowie den Spar Pronto am Hauptbahnhof aufsperren zu können. Wer sich sonntags etwa gelegentlich zum Westbahnhof begibt, weiß nur zu gut, dass dort Einlassstopp und Kundenschlangen vor dem kleinen Shop eher die Regel als die Ausnahme sind. Den Fahrplanwechsel am Westbahnhof habe man jedenfalls „überhaupt nicht wahrgenommen”, heißt es aus der Rewe-Pressestelle. Eher im Gegenteil: „Der Andrang ist am Sonntag ungebrochen.” Es darf angenommen werden, dass die Betreiber deshalb wohl auch hier auf die Sonntagsöffnung der größeren Filialen wie am Praterstern oder am Franz-Josef Bahnhof schielen.