Wie die Digitalisierung den Einkauf umkrempelt
© Wilfried Seywald
RETAIL Redaktion 06.09.2019

Wie die Digitalisierung den Einkauf umkrempelt

Eine Studie von Horváth & Partners zeigt, welche Änderungen sich die Unternehmensführung von der Digitalisierungswelle im Einkauf erwartet.

••• Von Christian Novacek

Die aktuelle Einkaufsstudie des Beratungsunternehmens Horváth & Partners betrachtet das Spannungsfeld zwischen Chief Financial Officer (CFO) und Einkaufsabteilung. Dazu wurden 203 CFOs und Führungskräfte aus den Bereichen Finanzen und Controlling befragt – prinzipiell ein breit gespannter Bogen, Unternehmen mit 100 Mio. € Erlös sind ebenso enthalten wie Kapazunder mit 100 Mrd. €.

Christoph Weber, Head of Organization & Operations Aus­tria bei Horváth & Partners, versucht, eine Antwort darauf zu geben, welche Prozesse speziell unter dem Etikett „Digitalisierung” noch optimiert werden können.
Speziell im Bereich Lebensmittelhandel und Lebensmittelindustrie schaut es mit Optimierungen vergleichsweise dünn aus: „An der Schnittstelle zwischen Handel und Industrie hat sich mit dem GS1-System eine professionelle Plattform entwickelt, die auf beiden Seiten wesentliche administrative Arbeit abnimmt”, stellt Weber der Branche ein gutes Zeugnis aus.
Mehr Potenzial gibt es hingegen in der Baubranche. Da liegt derzeit das größte Potenzial darin, sich das Material selbst zu beschaffen – und auf diesem Weg die in der Bauindustrie oft mächtigen Sublieferanten auszubremsen. Weber: „Ein Trend, der letztlich bei den Lebensmitteln für hohe Eigenmarkenanteile bei den Händlern gesorgt hat, ist nun bei der Baubranche angekommen.” Ebenfalls ein Trend mit Zugkraft: Man bevorzugt in der Baubranche mehr jene Lieferanten, die einzelne Themengebiete komplett abstecken – dadurch werden nicht zuletzt auch Prozesse transparenter.
Die Digitalisierung sollte in Sachen Prozessoptimierung ein gewichtiges Schäuflein beitragen können, allerdings bedarf es dazu häufig eines Aufbrechens bestehender Strukturen. Weber: „In der Regel arbeitet der Einkauf einfach in gewohnten Strukturen vor sich hin.”

Alles bestens im Einkauf?

Grundsätzlich ist die Zufriedenheit der CFOs mit ihrem Einkaufsteam hoch: 78% der befragten Unternehmen geben an, mit der Versorgung des Unternehmens mit Gütern und Dienstleistungen durch den Einkauf zufrieden bzw. sogar sehr zufrieden zu sein. Dramatischer hört sich indes der Umkehrschluss an: „Das bedeutet auch, dass fast ein Viertel der CFOs mit der Leistung des Einkaufs unzufrieden ist”, so Weber.

Jedenfalls alarmierend: Die Hälfte der befragten CFOs bewertet die Leistung des Einkaufs in Bezug auf geplante Einsparziele als unzureichend.
Der bei Weitem größte Faktor der Unzufriedenheit (höher als 80%) findet sich aber in der Rolle des Einkaufs als Innovations­treiber. „Vor allem die Vernetzung von internen Entwicklungsabteilungen mit Lieferanten und Geschäftspartnern hat hier noch viel Aufholbedarf”, urteilt Weber. Häufig würden Lieferanten gar nicht in den Innovationsprozess eingebunden.

Risiken in der Lieferkette

Ein wesentlicher Punkt der Erhebung von Horváth & Partners ist das Risikomanagement. „Störungen und Risiken in der Lieferkette können in den heutigen globalen und komplexen Zulieferernetzwerken fast jedes Unternehmen treffen”, führt Weber aus. Seine Warnung: „Sie können zu hohen finanziellen Schäden und Imageverlusten führen.”

Ein funktionierendes Risikomanagement sollte die Reaktionszeit und damit Unterbrechungen in der Lieferkette verringern. Die Liste an potenziellen Risiken kann speziell in stark vernetzten Lieferketten erhebliche Ausmaße annehmen – Beispiele dafür wären etwa Naturkatastrophen, Streiks, Sanktionen, Brände oder Insolvenzen. Laut Einschätzung von Horváth & Partners haben vor allem Risiken im Zusammenhang mit der Produktion – also z. B. die Logistik – besonderes Gewicht. Mehr als Single-Sourcing ist aber bei einigen Unternehmen gar nicht drin – gegen Ausfallrisiken ist beispielsweise die Textilindustrie oft nur rudimentär abgesichert; für Weber ist das Risikomanagement somit bei manch einem der von Horváth & Partners aktuell befragten Unternehmen jedenfalls „eine spannende Sache”.

CO2-Fußabdruck

Vermeintlich spannend, aber in der gelebten Praxis langweiliger als erwartet, ist die Frage der Nachhaltigkeit in der Beschaffung. Was medial und von Unternehmen selbst gern hochgespielt wird, ist weder beim Konsumenten noch bei vielen Produzenten ernsthaft verankert: Der CO2-Fußabdruck spielt im Einkauf eine kleine, vorwiegend untergeordnete Rolle.

„Viele Player in der Textilindustrie haben zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks im Einkauf noch keine Antworten gefunden”, schätzt Weber die Lage ein. Das große Umdenken muss sich somit im Kaufverhalten der Konsumenten abspielen.

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