••• Von Georg Sander
Die Kosten steigen, und die Menschen werden preissensibler. Für die Händler ist es nicht zuletzt deshalb wichtig, eine funktionierende Beziehung mit den Kunden aufrechtzuerhalten oder diese herzustellen. Aber ein Kundenbindungsprogramm ist kein Rabattheft. Wie Loyalty in Zeiten der Krisen funktionieren kann, diskutierte medianet-Herausgeber Oliver Jonke mit Payback Österreich-Geschäftsführer Walter Lukner, jö-Bonus Club-Geschäftsführer Mario Günther Rauch sowie Dieter Scharitzer, Assistenzprofessor am Institut für Marketing Management der WU Wien.
Das Kundenverhalten
Nach Corona brachen der russische Angriff, die damit verbunden Energiekrise und die hohe Inflation über die Welt herein. Ein Kundenbindungsprogramm kann in diesem schwierigen Umfeld Learnings für das Kundenverhalten liefern. „Kunden kaufen sich bewusst günstigere Produkte wie Eigenmarken, um sich auch in der Krise etwas leisten zu können. Markenartikel laufen Gefahr, ersetzt zu werden”, stellt Dieter Scharitzer aus Sicht der Wissenschaft eingangs klar.
Das bestätigt Mario Günther Rauch: „Wir haben mit Covid-19, der Energiethematik und der stark gestiegenen Inflation zahlreiche Krisen erlebt, die sich sowohl auf Preise als auch das Kundenverhalten auswirken. Wenn sich Kundinnen und Kunden aber ihre Einkäufe nicht mehr leisten können, gibt es Handlungsbedarf. Da ist auch die Politik gefordert.” Es gebe geringere Baskets und nun einen Shift zu Produkten im Preiseinstiegssegment – bevor man gänzlich darauf verzichtet. Eine Beobachtung, die man auch beim Multipartnerprogramm Payback teilt: „Wir sehen, dass Eigenmarken ein großes Thema sind, bei dm drogerie markt funktioniert das beispielsweise sehr gut”, so Walter Lukner. Umgekehrt sehe man eine Treue zum POS. Eine weitere, aus seiner Sicht erfreuliche, Beobachtung: Menschen sind nicht nur preisbewusst, sondern nutzen auch Bonusprogramme aktiv. „Ich gehe nicht davon aus, dass die Inflation heuer massiv zurückgehen wird, weil viele Effekte sich erst nach und nach durchschlagen, wie etwa die KV-Abschlüsse oder Energiekosten”, bestätigt Rauch.
Die Auswirkungen
Welche Auswirkungen hat die Teuerungskrise auf die Kundenbindung im Handel? „Kundenbindung ist kein Rabatt-Tool. Ein Kundenbindungsprogramm soll treue Kundinnen und Kunden belohnen”, weiß Rauch. Kundenbeziehungen sollen aufgebaut werden, damit die Menschen an die Marke bzw. den Händler gebunden werden. Lukner ergänzt: „Kunden werden weiter preissensibel bleiben und sehr darauf achten, wo und wie sie mehr Vorteile erhalten – unabhängig vom Preisniveau. Wichtig ist die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden, und dass Loyalität belohnt wird.”
Scharitzer holt etwas weiter aus: „Die Krise trifft nicht alle gleich. Viele Unternehmen fragen sich, wie es weitergeht, wie sich der Konsument verhält. Es ist für viele die Zeit der größten Kundenwiedergewinnung.”
Der Lebensmitteleinzelhandel hatte den unbestrittenen Vorteil, dass er in den Lockdowns offen war. Für manche Branchen war Loyalty hingegen nicht möglich, also setzten sie auf andere Wege, in Kontakt zu bleiben – also etwa Essen aus den Restaurants zu liefern. E-Commerce sei mittlerweile die Norm, lokal Shoppen gehen ein Highlight, das man sich herauspickt. Scharitzer: „Wann war ich das letzte Mal in der Innenstadt einkaufen? Es ist aufwendig, es sei denn, es gibt einen wirklich guten Grund. Da muss man sich etwas einfallen lassen, dass Leute wieder gerne Shoppen gehen, das Vertrauen zu den alten Mustern muss wieder hergestellt werden.” Man müsse aufpassen, sagt er: „Jetzt versucht man, den Handel an den Pranger zu stellen und für die Kostensteigerungen, die Inflation verantwortlich zu machen. Beide – Handel und Hersteller – müssen aufpassen, nicht in Verruf zu geraten und ihr Image aufs Spiel zu setzen.” Manchen gelingt dieser schwierige Spagat leichter als anderen.
Der Beitrag
Welchen Beitrag Kundenbindungsprogramme nun liefern können, wenn sie kein RabattTool sind – eine spannende Frage mit unterschiedlichsten Antworten. Lukner meint, man könne jene Kunden gezielter ansprechen, zu denen eine Beziehung besteht. Wirklich entscheidend sei demzufolge, dass echte Loyalität gefördert werde.
Ein Vorteil übrigens für beide Seiten, also Händler und Kunden, wie Rauch meint: „Kundenbedürfnisse im Allgemeinen sind nicht statisch, sondern verändern sich, gerade in den letzten drei, vier Jahren, durch Covid-19 und Inflation. Und genau an dieser Stelle kommen Bindungsprogramme ins Spiel, da wir sehen, was unsere Mitglieder momentan brauchen.” Covid habe laut Rauch eben diesen starken Shift Richtung online gebracht.
Es verstärkt sich, was es immer schon gibt, meint wiederum der Payback-Geschäftsführer. Dem POS seien die Kunden treuer als dem Internet, das „ist eine Preis-Such-Plattform”. Aber, das weiß er ganz genau, auch online helfe ein Kundenbindungsprogramm.
Beide Welten
Ein solches Loyaltyprogramm müsse die Menschen eben wieder in den stationären Handel bringen, weil online ein großer Teil des Umsatzes ins Ausland fließe. Wenn schon online gekauft werde, dann sollte das vermehrt in Österreich getan werden.
Scharitzer ergänzt zum Thema on-/offline: „Das ist in der Lehre bereits seit Jahren ein Thema. Ein Beispiel: Wenn Sie mit dem einspurigen Motorrad ins Aquaplaning geraten, wird es schwierig, ein Auto kann das auf vier Rädern eher kompensieren. Multi- und Omnichannel ist also heute überlebenswichtig.” Walter Lukner zu dem Thema abschließend: „Wir haben über 300 Partner, offline und online. One-Stop-Shop ist ‚in'.”
Reduktion vs. Kundenbindung
Aber egal, ob im Internet oder in der physischen Welt, in Zeiten der Teuerung könnte man meinen, dass eine allgemeine Preisreduktion besser wäre, als weiterhin auf Kundenbindungsprogramme zu setzen, die dann vielleicht Rabatte mit sich bringen. Schließlich erreiche man Konsumenten auch mit Mailings oder Flugblättern.
„Kundenbindung ist immer aktuell und hat immer Saison”, meint Rauch. Gerade in Krisenzeiten konnte man das beweisen. Für den stationären Handel sei dies aus seiner Sicht augenöffnend gewesen, weil man so Stammkunden schnell reaktivieren habe können. Zwar sind die Kunden treu, aber am POS eben auch anonym: „Nach der Wiedereröffnung des Handels, nach diversen Lockdowns, half ein Kundenbindungssystem, um die Kundinnen und Kunden zu reaktivieren.”
Ein großer Vorteil für Lukner wiederum ist, dass der Österreicher grundsätzlich Loyalty-affin sei. Es gebe viele Kundenkarten, die Multipartnerprogramme seien im internationalen Vergleich doch relativ spät gekommen. Besonders wichtig sei Loyalty zudem in Sachen Investitionsgüter. Wer nur ein-, maximal zweimal in einem Fachgeschäft einkauft, ist notgedrungen nicht so loyal wie beim wöchentlichen Einkauf im LEH.
Digitalisierungsvorteile
Wie geht es nun mit der Kundenbindung weiter? Österreich hat eine nahezu hundertprozentige Abdeckung mit dem Smartphone. Also weg mit den Mailings, Postwurfsendungen und Co.? Nein, meint Rauch: „An digital only glaube ich nicht, da schließt man viele Gruppen aus. Digital steigt im Anteil, aber wir sehen, dass die physische jö-Karte noch immer stark genutzt wird. In der Ausspielung von personalisierten Vorteilen richten wir uns stark nach dem Kundenverhalten. Wer viel digital nutzt, bekommt dort mehr Angebote bzw. Vorteilsbons. Wir haben beim jö Bonus Club eine Million Transaktionen am Tag, an Spitzentagen 1,5. Dazu haben wir in all den Jahren 300 Millionen Mailings verschickt, das macht 80 bis 100 Millionen pro Jahr.”
Nicht nur auf online zu setzen, diese Ansicht teilt man auch bei Payback. „Wir wollen Kunden nicht erziehen, sondern uns mit ihnen verbinden. „Coupons gibt es in ‚allen Welten' – offline, online und mobil. „Der Vorteil unseres Printmailings ist, dass es auf den Haushalt zugeschnitten ist: relevante Partner, relevante Laufzeit und relevanter Kanal. Das funktioniert auch bei sehr digitalaffinen Kundinnen und Kunden. Deshalb verschicken wir vier Mal im Jahr mit sehr großer Auflage”, so der Geschäftsführer.
Dies bestätigt auch die Wissenschaft: „Mailings vs. Online ist nur die Hälfte der Miete. Das Netz löst die Verbindungsfrage, aber nicht die Beziehungsfrage. Ein Produkt, das mir nicht schmeckt, interessiert mich nicht. Es ist wie die Arbeit an einer (Liebes-)Beziehung. In der digitalen Werbung ist es ungünstig, mit der Tür ins Haus zu fallen. Auch in den Sozialen Medien geht es um Anbahnung, ein Like heißt erst einmal: Ich interessiere mich. Das Vertrauen muss erst wachsen, bevor ein Abschluss gemacht werden kann.” Rauch bringt es auf den Punkt: „Ein Belohnungssystem entkoppelt aber nicht von der Basisleistung oder Qualität. Wenn die Tomate faul ist, kann das Kundenbindungsprogramm noch so gut sein.”
Die Loyalty-Trends
Erziehen könne man Kunden ohnehin nicht, das zeigt sich anhand des Trends bzw. Themas Nachhaltigkeit. Zwar belegte eine Handelsverband-Studie kürzlich, dass viele Menschen nachhaltig kaufen; Scharitzer jedoch meint, es gehe eher um die soziale Erwünschtheit. Es geht darum, so Rauch, die Menschen zu unterstützen. Die Zukunft liege im Targeting. „Man muss das Bauchgefühl loswerden”, meint Rauch. Sprich, die Einkaufsdaten so verwenden, damit man den Kundinnen und Kunden im Loyalty-Programm das gibt, was sie brauchen und was ihnen hilft, Geld zu sparen, und nicht das, von dem man nach Bauchgefühl glaubt, dass sie es brauchen könnten. „Wie verhält sich der Kunde wirklich? Kunden sind nicht kanaltreu. Man muss nicht mehr wie früher nach soziodemografischen Merkmalen segmentieren, sondern man sieht jemanden im Online-Shop und erkennt seine Interessen und was er kauft. Oder ich mache A/B-Testing, um die Wirksamkeit einer Kampagne zu überprüfen”, meint Scharitzer. Für Lukner ist klar: „Es ist komplex und technisch sehr anspruchsvoll, aber ‚customer triggers the offer', da wird die Reise hingehen.”