A.I. – was bisher geschah
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Acht Grundfragen1. Werden Computer so intelligent wie Menschen?2. Falls ja: Wann?3. Ist das schlimm?4. Erreichen Computer eine übermenschliche Intelligenz?5. Falls ja: Wer kontrolliert sie?6. Können wir unkontrollierbaren Computern eine humanistische Vernunft geben?7. Falls ja: Wie?8. Falls nein: Was bedeutet das für die Menschheit?
TECHNOLOGY 12.02.2016

A.I. – was bisher geschah

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Human-Level Machine Intelligence im Jahr 2040 erreicht wird, liegt bei 40 Prozent. Doch was bedeutet das?

••• Von Sven Gabor Janszky


Alle Digitalunternehmen von Weltrang konzentrieren ihre Forschung und Entwicklung auf den Punkt Artificial Intelligence (A.I.), von Google über IBM, Microsoft bis Facebook. Die Folge sind große Fortschritte im „machine learning”. Wir normalen Menschen werden das in unserer Alltagswelt zuerst auf unserem Handy sehen. Wir werden öfter mit dem Handy sprechen und es wird natürlich und intelligent antworten. Wir werden merken, dass die Siris und Cortanas zu wirklichen intelligenten Assistenten geworden sind, mit denen man sich unterhalten kann, fast wie mit menschlichen Assistenten. Diese intelligenten Assistenten auf unseren Handys werden automatisch verstehen, woran wir gerade arbeiten und werden uns ungefragt mit passenden Hinweisen unterstützen. Sie werden unsere Gespräche mit Dritten mithören und automatisch Hintergrundinformationen einspielen oder Hilfstätigkeiten erledigen, die sich aus den Gesprächen ergeben (Kalendereinträge, Reisebuchungen, etc.).

Sie werden auch in der alltäglichen Arbeit unsere Emotionen verstehen und versuchen zu beeinflussen. Sie erkennen, wenn wir „down” sind, und werden Wege finden, uns aufzuheitern und bei guter Laune zu halten. Und wir werden feststellen, dass die User-Interfaces der Geräte und Websites immer einfacher werden. Denn die nächsten Schritte der künstlichen Intelligenz erlauben, die User-Interfaces zu minimieren, bis sie nahezu unsichtbar sind. Sie werden ersetzt durch menschliche Sprache und durch automatische Erkennung von Tätigkeiten, Gegenständen, Emotionen, etc. durch Sensoren. „Zero UI” ist das Zauberwort für 2016 bei Microsoft & Co. Ob wir es mögen oder nicht: Diese Dinge werden das Jahr 2016 prägen. Und doch sind es „Kindergartenspiele” im Vergleich zu dem, was danach kommt.

„The end of the human race?”

Bill Gates, Elon Musk, Stephen Hawking … Offenbar hat die technologische Entwicklung in den vergangenen Monaten auch einige der innovativsten Unternehmer und besten Denker der heutigen Menschheit nervös gemacht. Gates zeigt sich in Interviews „beunruhigt”, Musk sieht den Teufel schon gerufen, und Hawking meint, dies „could spell the end of the human race”. Sie haben natürlich alle Recht. Genauso wie der Google-Cheftrendforscher Ray Kurzweil Recht hat, der davon ausgeht, dass diese Entwicklungen zum Vorteil der Menschheit sein werden. So unterschiedlich die Prognosen sind, wie kann es sein, dass beide Seiten Recht haben? Die Antwort ist: Wir diskutieren in dieser Debatte nicht über eine einzige Frage, sondern über mehrere. Unsere verschiedenen Protagonisten beantworten einige Fragen gleich, andere aber unterschiedlich. Jeder der Genannten liegt bei einigen Fragen richtig, bei anderen aber möglicherweise falsch.

Fakt ist: Heute tut künstliche Intelligenz bereits an vielen Stellen Positives für die Menschheit: Sie diagnostiziert Krankheiten besser als Menschen, sie findet Therapien, sie entwickelt regenerative Energien, sie hilft, die Umwelt zu säubern, sie sorgt für weltweite Bildung, sie hilft Behinderten, sie steckt in Hörgeräten, in Navigationssystemen, in Empfehlungssystemen bei Amazon & Co. und in unzähligen Robotern: Staubsaugerroboter, Rasenmähroboter, OP-Roboter, Rettungs-Roboter, Industrie-Roboter. Insgesamt leben wir schon heute mit mehr als 10 MillionenRobotern auf diesem Planeten zusammen.Und die Entwicklung geht rasant weiter. Sie wird befördert durch die gigantischen Investitionen der großen Tech-Unternehmen in A.I.-Systeme. Nahezu jedes Internet- und Computer-Unternehmen von Weltrang treibt die eigenen Entwicklungsprogramme schnell voran. Auch Investoren wie Elon Musk und Peter Thiel übertreffen sich mit den Ankündigungen für Milliarden-Investments in A.I.-Forschung. Diese Entwicklungen werden inzwischen nicht mehr in den eigenen Geheimlaboren durchgeführt, sondern öffentlich. Der Gedanke dahinter ist einleuchtend: Je mehr Nutzer ein A.I.-System verwenden, desto mehr Training bekommt das System, desto besser wird es werden. Denn: Möglicherweise ist die Geschwindigkeit der entscheidende Faktor. Es könnte sein, dass nur der Erste dieses Wettlaufs wirklich zum Gewinner wird.

Intelligenz ist nicht gleich Vernunft

Ein oft gehörtes Argument ist die These, dass Computer niemals die wirklichen menschliche Intelligenz erreichen werden, weil sie unfähig zu menschlichen Gefühlen, Emotionen und Bewusstsein sind. Wir sollten uns vor dieser Selbsterhöhung hüten. Wir Menschen sind das Ergebnis einfacher Evolutionsprozesse. Es wäre töricht zu glauben, der Mensch sei bereits das bestmögliche kognitive System. Wahrscheinlich sind wir sogar die „dümmstmögliche Spezies, die zur Gründung einer technologischen Zivilisation in der Lage war”, wie Nick Bostrom, Direktor des Future of Humanity Institute, sagt. Wir sollten deshalb die theoretische Möglichkeit ins Auge fassen, dass es leistungsfähige, intelligente Computer geben kann, die von sich aus weder moralisch, noch vernünftig sind. Sie sind nur intelligent. Aber wenn sie allein in Vorhersage, Planung und Strategie das menschliche Niveau erreichen und übertreffen, dann ist durchaus denkbar, dass diese künstliche Intelligenz den Menschen manipuliert und beherrscht.

Werden Computer so intelligent wie Menschen? Ja! Hochwahrscheinlich. Die meisten Experten sind sich darüber einig. Aber nicht alle. Beginnen wir mit den Skeptikern. Spiegel Online zitiert etwa Google-Chef Larry Page, der die Bedenken gegen die künstliche Intelligenz für übertrieben hält: „Ja, wir machen sicherlich Fortschritte in Richtung künstliche Intelligenz, aber wir sind dennoch weit von ihr entfernt.” Es sei sehr wichtig, sich weiter in diese Richtung zu bewegen: „Denn das Potenzial, die Lebensqualität für uns alle zu steigern, die Welt besser zu machen, scheint mir enorm.” Eine ähnliche Position vertritt Eric Brown, Director Watson Algorithms bei der IBM Watson Group. Sein magischer Moment war im Jahr 2011, als in der Gameshow „Jeopardy!” sein Computer namens Watson gegen zwei Menschen gewann, die davor gegen alle anderen Menschen gewonnen hatten. Doch natürlich ging es danach weiter. Erst wurde Watson an eine Uniklinik gebracht, wo heute Ärzte sagen, dass er vermutlich ein besserer Krebs-Diagnostiker ist, als die besten Menschen. Als nächstes wird er die Call-Centerbranche revolutionieren. Und auch als intelligenter Vorstands-Assistent wird er demnächst für Schlagzeilen sorgen.
Doch trotz der rasanten Entwicklung bezweifelt Eric Brown, genau wie Larry Page, dass Computer jemals intelligenter sein könnten als Menschen; dass sie jemals aus der Assistentenrolle heraustreten könnten. Warum? Auch ihre Antwort ist relativ klar: Aus heutiger Sicht hat noch nie jemand einen Computer gesehen, der so intelligent ist wie Menschen. Unsere heutigen Supercomputer sind Spezialisten für einzelne Bereiche. Dort schlagen sie den Menschen. Aber sie haben keine allgemeine Intelligenz. Die Intelligenz heutiger Supercomputer basiert allein auf einer schnellen Rechenleistung und Muster­erkennung. In allen Bereichen des Lebens, die damit nicht abzudecken sind, ist der Mensch besser: In der Kreativität, im unternehmerischen Denken, in der Innovation, im Regelbruch. Was liegt also näher, als Optimismus zu verbreiten und zu fordern, dass der Mensch den Wettlauf seines Hirns mit Computern um Rechenschnelligkeit beenden und sich stattdessen auf seine menschlichen Fähigkeiten konzentrieren soll. Die optimistische Prognose lautet: Der Mensch wird künftig danach bewertet (und bezahlt), wie gut er mit Computern zusammenarbeiten kann. Denn im Team ist er unschlagbar. Leider wird es so einfach nicht werden. Wer mit den weltweit führenden Forschern im Feld der Künstlichen Intelligenz spricht, der wird feststellen, dass diese in ihrer Mehrheit davon ausgehen, dass die Intelligenz der Computer in der Zukunft nicht auf bestimmte Bereiche beschränkt bleiben wird. Die These, dass Menschen sich nur auf die Bereiche konzentrieren müssen, in denen sie einen „Wettbewerbsvorteil” haben, klingt tröstlich, ist aber eher unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Noch zu unseren Lebzeiten werden wir mit hoher Wahrscheinlichkeit erleben, dass Computer die gleiche allgemeine Intelligenz erreichen, wie Menschen. Diese sogenannte HLMI (Human-Level Machine ­Intelligence) gilt unter Wissenschaftlern als erreicht, wenn die künstliche Intelligenz etwa 80% der menschlichen Berufe mindestens so gut wie ein Durchschnittsmensch ausüben kann.

Human-Level Machine Intelligence

Wann ist es so weit? Wir bekommen eine Ahnung von diesem Zeithorizont, wenn wir Umfragen unter den weltbesten Forscherteams der künstlichen Intelligenz machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Human-Level Machine ­Intelligence im Jahr 2022 erreicht wird, liegt bei 10%. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Human-Level Machine ­Intelligence im Jahr 2040 erreicht wird, liegt bei 50%. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Human-Level Machine ­Intelligence im Jahr 2075 erreicht wird, liegt bei 90%. Oder um es etwas populistischer zu sagen: Vielleicht ist ab dem Jahr 2045 die menschliche Rasse nicht mehr die Top-Spezies auf der Welt. Das könnte uns vor größere Probleme stellen, als wir bisher gelöst haben.

Ist das schlimm? Auf dieser Frage antworten die weltbesten Experten erstmals unterschiedlich. Kein Wunder, denn die Antwort auf diese Frage basiert auf ihrem individuellen Weltbild. Wer davon ausgeht, dass die heute existierende menschliche Rasse die höchstentwickelte und vollkommene Spezies der natürlichen Evolution ist, der muss die Entwicklung zu weiterer Intelligenz ziemlich schlimm finden. Oder anders gesagt: Wer den heutigen Menschen für den Zielpunkt der natürlichen Evolution hält, der wird ihn in seiner heutigen Form bewahren wollen. Jegliche Veränderung oder Entwicklung von darüber hinaus gehender Intelligenz ist dann ein gefährlicher und bedrohlicher Angriff. Denn am Ende könnte ja der Untergang der menschlichen Spezies stehen, so wie wir sie heute kennen. Diese Vorstellung scheint die Argumentation von Bill Gates und Elon Musk zu prägen.
Wer aber davon ausgeht, dass die heute existierende Menschheit nur ein Zwischenergebnis eines immer weitergehenden evolutionären Prozesses ist, der wird unvoreingenommen darüber nachdenken müssen, wie die künftigen Menschen sich wohl von uns unterscheiden werden. Eine der möglichen Antworten hierbei: Sie werden ihre Körper optimiert haben. Sie werden gesünder sein und länger leben. Sie werden körperlich leistungsfähiger sein. Und sie werden geistig intelligenter sein.
Wie das gehen soll? Die Antwort von Intelligenz-Optimisten wie Ray Kurzweil ist so einfach wie verstörend: Die menschlichen Hirne werden direkt von der Intelligenz der Computer profitieren und mit ihnen verbunden sein; auf diese Weise macht die Evolution die Menschheit intelligenter. Die dritte Meinung. Wenn Sie meine Meinung wissen wollen: Ich halte die zweite beschriebene Grundvorstellung der Evolution für realer und wahrscheinlicher als die erste. Wir werden in den kommenden Jahren eine sprunghafte Steigerung der Intelligenz in der Welt erleben! Selbst wenn wir dies aus heutigem Blickwinkel vielleicht für „unmenschlich” halten mögen, unsere Nachfahren in hundert Jahren werden aus einem anderen Blickwinkel darauf schauen. Für sie wird das eher Normalität sein.
Allerdings trägt Ray Kurzweils Vorstellung eine gehörige Portion Optimismus in sich, die mir nicht zwangsläufig erscheint. Sie geht nämlich davon aus, dass es immer der Mensch ist, der am längeren Hebel sitzt und die verbesserte Intelligenz nutzen kann. Kurzweil argumentiert in der New York Times, dass es in Zukunft nicht eine künstliche Intelligenz in einer Hand gäbe, sondern 2 Milliarden künstliche Intelligenzen in 2 Milliarden Händen. Ich würde davon nicht ausgehen! Zwar teile ich seinen Optimismus, dass es nicht einen menschlichen Diktator, einen mächtigen Unternehmer oder einen weltbeherrschenden Konzern geben wird, der die intelligente Technologie beherrscht.
Aber eine andere Möglichkeit bleibt in seiner Argumentation bisher unbeachtet: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in den kommenden Jahrzehnten eine übermenschliche Intelligenz entwickelt, die sich der menschlichen Kontrolle entzieht, weil sie einfach intelligenter ist als wir Menschen. Diese übermenschliche Intelligenz wäre wahrscheinlich dazu fähig, die einfachen menschlichen Intelligenzen zu manipulieren und zu beherrschen. Dies legt uns jedenfalls der Lauf der Evolution nahe.

Lesen Sie demnächst bei medianet u.a. die Antwort auf die Frage: Können wir unkontrollierbaren Computern eine humanistische Vernunft geben, die sie im Sinne der Menschheit handeln lässt?

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