WIEN. Mit der Ablehnung des Brexit-Vertrags durch das britische Unterhaus hat sich das Risiko eines chaotischen EU-Austritts des Vereinigten Königreichs deutlich erhöht. Großbritanniens Mitgliedschaft im europäischen Binnenmarkt und in der Zollunion würden dann mit dem Brexit am 29. März 2019 schlagartig enden.
Die EU will nach dem Nein zum Brexit-Vertrag im britischen Unterhaus kein neues Austrittsabkommen mit London verhandeln und sieht Großbritannien beim weiteren Vorgehen am Zug. Der Brexit-Chefverhandler der EU, Michel Barnier, warnte am Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg vor einem ungeregelten Austritt Großbritanniens: „Noch nie war das Risiko eines No Deals so groß.”
„Absurde Entwicklung”
Auch das Institut für Höhere Studien (IHS) wertet die Ablehnung des Brexit-Deals als deutlichen Rückschritt. „Das absurde an der aktuellen Situation ist, dass die britische Regierung trotz der Abstimmungsniederlage zum Brexit-Deal wahrscheinlich die Vertrauensabstimmung heute überstehen wird. Damit ist man keinen Schritt weiter, sondern eher zwei Schritte im Austrittsprozess zurückgegangen”, kritisiert IHS-Chef Martin Kocher auf APA-Anfrage.
Für die Wirtschaft sei die Ablehnung des Brexit-Deals zwischen britischer Regierung und EU nicht überraschend gekommen, daher seien die direkten Auswirkungen auf den Pfund-Kurs und andere wirtschaftliche Indikatoren vorerst begrenzt.
Aber „jeder Tag der Unsicherheit verursacht sowohl der britischen als auch der resteuropäischen Wirtschaft weiter steigende Kosten” – ganz zu schweigen von praktischen und menschlichen Problemen, sagte der Chef des Instituts für Höhere Studien.
Sollte es am Ende zum „harten Brexit”, also einem Ausscheiden Großbritanniens ohne Austrittsvertrag kommen, hätte das für die österreichische Wirtschaft „erhebliche Konsequenzen, die sich vor allem auf das langfristige Wachstum negativ auswirken würden. Aber auch kurzfristig würde man einen harten Brexit an einer Verringerung der österreichischen BIP-Wachstumsrate von geschätzten 0,1 bis 0,3 Prozentpunkten makroökonomisch wahrnehmen.”
Briten als Exportpartner
Großbritannien ist für Österreich der neuntwichtigste Exportpartner. Von Jänner bis Oktober 2018 lieferten österreichische Firmen Waren im Wert von rund 3,6 Mrd. € in das Land. Gefragt bei den Briten sind vor allem heimische Maschinen und Fahrzeuge, darauf fällt gut die Hälfte der Gesamtexporte.
Kocher rechnet nicht damit, dass die EU den Briten so große Zugeständnisse machen wird, dass der Deal eine Mehrheit im britischen Parlament finden würde. Realistisch seien daher nur mehr ein harter Brexit, die Verschiebung der Entscheidung durch eine Verlängerung der Verhandlungsfrist oder die gänzliche Rücknahme des Austrittsantrags.
„Ein Spielen auf Zeit macht aber nur Sinn, wenn es eine klare britische Strategie entweder hinsichtlich weiterer Verhandlungen oder hinsichtlich einer alternativen Entscheidungsfindung im Vereinigten Königreich gibt – zum Beispiel durch eine Volksabstimmung”, so der Wirtschaftsforscher.
Blümel: Keine Verhandlungen
EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) hat nach dem Scheitern des Brexit-Deals im Londoner Unterhaus das Nein zu Nachverhandlungen bekräftigt. „Ein Öffnen des Vertrags, ein Neuverhandeln, das wird es nicht geben können”, sagte Blümel am Dienstag in der „ZiB2”.
Die EU-27 hätten in den Brexit-Verhandlungen ihre Einheit gewahrt. Blümel: „Das sollten wir jetzt nicht aufs Spiel setzen.” (sb/APA)