INDUSTRIAL TECHNOLOGY
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Paul Christian Jezek 10.06.2016

Fitness-Checks für Industrie 4.0

Ein „Reifegradmodell Industrie 4.0” soll Unternehmen konkret ­zeigen, wo sie bei Advanced Manufacturing stehen.

••• Von Paul Christian Jezek

Vorige Woche wurde in Linz das „Reifegradmodell Indus­trie 4.0” präsentiert, das vom oö. Mecha­tronik-Cluster in Zusammenarbeit mit dem Institut für Intelligente Produktion der FH OÖ/Campus Steyr entwickelt wurde. Es misst anhand der drei Dimensionen Daten, Intelligenz und Digitale Transformation die „Industrie-4.0-Reife” und unterstützt Firmen dabei, Verbesserungspotenziale zu finden und zu realisieren.

Die Betrachtung aller drei Dimensionen ist der innovative Ansatz bei diesem „Fitness-Check” für Industrie 4.0; schließlich brauchen Unternehmen in der Zeit der digitalen Transformation eine Orientierung, um die komplexen interdisziplinären Zusammenhänge zu erfassen – und genau dies soll das Reifegradmodell liefern. Man kann sich das Modell somit als Navigationssystem vorstellen: Das Unternehmen legt ein Entwicklungsziel fest und wird unterstützt, den besten Weg dorthin zu finden.

Erfolgreiche Pilotphase

Befragungen in Produktionsunternehmen haben gezeigt, dass das Thema Industrie 4.0 zwar als künftiges Wachstumsfeld, aber noch zu wenig als möglicher ­Erfolgsfaktor gesehen wird. Hier setzt das Reifegradmodell an, weil es für die Unternehmen nicht nur Aufschluss über die aktuelle „Fitness” in Bezug auf Industrie 4.0 gibt, sondern durch die Analyse der Geschäftsprozesse auch den für das Unternehmen optimalen Soll-Zustand darstellt. Dazu gibt es Umsetzungsempfehlungen sowohl auf organisatorischer als auch auf technischer Ebene.

„Nach einem Jahr Pilotphase, 30 vertiefenden Gesprächen mit Unternehmen und vier im Detail analysierten Firmen steht fest, dass die Anwender mit dem Reifegradmodell wertvolle Informationen gewinnen”, zieht der oberöster­reichische Wirtschaftslandesrat Michael Strugl eine positive Zwischenbilanz. Im nächsten Schritt wird daher ein Software-Tool entwickelt, mit dem die Unternehmen künftig Schritt für Schritt durch den Fitnesscheck geführt werden. Zielgruppe sind sowohl KMU als auch Großunternehmen – zunächst in Österreich, später auch darüber hinaus.

Am Beispiel Fill Maschinenbau

Als weltweit tätiges Maschinen- und Anlagenbau-Unternehmen beschäftigt sich Fill Maschinenbau in Gurten seit mehr als einem Jahrzehnt mit der anwendungsorientierten Individualprogrammierung von Software für Produktionsanlagen. „Die Digitalisierung spielte dabei von Beginn an eine entscheidende Rolle und gewinnt durch den beschleunigten Technologiewandel zunehmend an Bedeutung”, sagt Geschäftsführer Wolfgang Rathner.

In Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen arbeitet Fill auf breiter Basis an der Realisierung von Industrie 4.0. „Das vom Mechatronik-Cluster und der FH Steyr entwickelte Reifegradmodell 4.0 bietet ein Vorgehensmodell, das genau diesen Bedarf praxisgerecht abdeckt”, sagt Rathner. Schon nach drei Tagen Workshop konnten Optimierungspotenziale im Bereich der Konstruktion und Fertigung identifiziert werden.
Im Reifegradmodell 4.0 ebenso bedeutend sind die quantifizierte und qualitative Bewertung des Ist-Reifegrads des Unternehmens und die Erarbeitung eines Soll-Reifegrads; da Fill der erste Sondermaschinenbauer ist, bei dem das Reifegradmodell 4.0 angewandt wurde, konnte dieses gleichzeitig seine Anpassungsfähigkeit an die Besonderheiten des Sondermaschinenbaus unter Beweis stellen.
Eine anwendungsfreundliche Aufbereitung durch die Experten der Fachhochschule und des Mechatronik-Clusters, die Ergebnisse sowie die praxisorientierte Anwendung des Reifegradmodells 4.0 haben Fill Maschinenbau überzeugt, dieses als strategisches Instrument einzusetzen. Der regelmäßige Einsatz ermöglicht es den Maschinenbauern, ihre Industrie 4.0-Fitness zu steigern und den Fortschritt zu bewerten. Darüber hinaus schafft das Reifegradmodell 4.0 zusätz­liche Transparenz in der Unternehmensentwicklung.

So funktionierts

Das Reifegradmodell dient zur Messung der Industrie 4.0-Reife (Ist-Zustand sowie Soll-Zustand) eines Unternehmens und unterstützt dabei, Potenziale entsprechend der Strategie und der Firmenziele zu identifizieren.

Konkrete Maßnahmen für ein Unternehmen werden durch die Anwendung des Modells vorgeschlagen, um den festgestellten Ist-Reifegrad zum anzustrebenden Soll-Reifegrad zu entwickeln. Ergebnisse der Bewertungen fließen in eine Benchmark-Datenbank, wodurch sich aktuelle Marktsituationen in den Branchen identifizieren lassen. „Ein anonymisierter Vergleich wird ermöglicht, der den eigenen Fortschritt jenem der Branche gegenüberstellt”, erklärt Herbert Jodlbauer, Leiter des Instituts für Intelligente Produktion und der Studiengänge Produktion und Management sowie Operations Management an der FH OÖ/Campus Steyr und wissenschaftlicher Leiter des Reifegradmodell Industrie 4.0.
Eine Skala von 0 bis 10 zeigt den Reifegrad der drei Dimensionen Daten, Maschinelle Intelligenz und Digitale Transformation. Je höher eine Bewertungszahl ist, desto mehr Aspekte von Industrie 4.0 sind im Unternehmen umgesetzt. Zur Bemessung dieser Dimensionen werden sie in Kriterien unterteilt, und diese wiederum in Subkriterien.

Verbesserungsvorschläge

Im Zuge der Reifegradbewertung werden unternehmensspezifisch Verbesserungsvorschläge erarbeitet und Handlungsfelder empfohlen, um eine optimierte Industrie 4.0-Reife unter Berücksichtigung der Unternehmensstrategie zu erlangen. „Dabei werden nicht nur Potenziale aufgezeigt, sondern konkrete Projektvorschläge präsentiert, welche in technologischer sowie wirtschaftlicher Hinsicht umsetzbar sind”, erklärt Jodlbauer.

Die Soll-Position stellt folglich jene Reife dar, die nach Umsetzung der Projekte bzw. Verbesserungsmaßnahmen erreicht werden kann. Aufgrund von wirtschaftlichen Restriktionen wird selten ein Soll-Reifegrad von 10 angestrebt werden.

Dem Nachwuchs eine Chance

Dass reale und die virtuelle Fertigung einander immer näherkommen, hat Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette – und natürlich auch auf die Ausbildung, von der Schule bis zur Lehre. Dabei ist Spezialwissen gefragt, etwa aus der IT oder der Mechatronik, sowie die Fähigkeit, die Kenntnisse aus diesen Bereichen übergreifend anzuwenden.

Am 30. und 31.5. gab es dazu in St. Pölten eine Premiere: Beim Lehrlingswettbewerb der niederösterreichischen Industrie fand erstmals ein eigener Teamwettkampf zu Industrie 4.0 statt. Die sieben antretenden Teams mit jeweils vier Mitgliedern mussten Aufgaben bewältigen, die Fähigkeiten aus den Bereichen Projektmanagement, Elektronik, Mechanik und Elektropneumatik umfassten. Traditionelles Bohren oder Fräsen wurde dabei ebenso verlangt wie Programmierfähigkeiten, CAD- Zeichnen oder der Umgang mit modernen Sensoren – und auch RFID-Technik und QR-Codes durften dabei natürlich nicht fehlen. Im Sinne des vernetzten Denkens und Handels konnten die Teams auch aus Lehrlingen von verschiedenen Unternehmen zusammengesetzt sein – eine Möglichkeit, die zwei Teams nutzten. Gemeinsam galt es, eine Fabrik aufzubauen, in der Alu-Teile verpackt und mit Versand­informationen auf RFID-Chips versehen werden. In einem zweiten Bereich wurde die Logistiklösung für die Einlagerung der Alu-Drehteile entwickelt und aufgebaut.
Die Sonderkategorie „Industrie 4.0” des Lehrlingswettbewerbs in Niederösterreich sorgte österreichweit für großes Interesse, und zahlreiche Besucher auch aus anderen Bundesländern informierten sich bei diesem Fitness-Check für Industrie 4.0.

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