Wien. Von Zeit zu Zeit überraschen uns die Norweger mit einem neuen Modetrend. Im vorigen Jahrhundert war es das Norwegermuster, mit Elchen, Rentieren und Schneekristallen auf Pullover und Fäustling. Jetzt kommt Dressmann. Und hält Österreichs Textilhandel ganz schön in Atem.
Nicht mit seiner für unsere Ohren schmerzhaften TV-Kampagne, die in kessem bundesdeutschem Sprech um Mitarbeiter wirbt. Vielmehr mit der Ansage der Varner-Brüder, Chefs des gleichnamigen Familienkonzerns, in den nächsten Jahren hierzulande bis zu 100 Dressmann-Shops sowie bis zu 100 weitere Outlets der Labels Carlings, Bik Bok und Cubus eröffnen zu wollen. Shoppingcenter-Standorte sind dabei erste Wahl, im Citygate in Wien Floridsdorf und dem Wiener Neustädter Fischapark haben die Dressmänner bereits erfolgreich ihre Klamotten angelegt.Dressmann ist nach dem Vertical-Muster des schwedischen Vorbilds H&M gestrickt. Und es ist exakt dieses Zweigespann von Vertical und Shoppingcenter, das traditionelle heimische Textilhändler, vom Wiener Volksmund rüde als „Fetzentandler” apostrophiert, in einen Verdrängungswettbewerb treibt, bei dem die Fetzen fliegen.Jutta Pemsel, Obfrau des Bundesgremiums des Handels mit Mode- und Freizeitartikeln, bringt das Dilemma unsentimental auf den Punkt: „Die Mieten in den Einkaufszentren sind für österreichische Modeeinzelhändler zu hoch, viel höher als in den meisten Einkaufsstraßen der Innenstädte. Rund 50 Prozent unserer 21.000 Gremialmitglieder (Anm.: Dazu zählen neben den Textil- auch die Sportartikelhändler) schreiben betriebswirtschaftliche Verluste, da erübrigt sich die Frage nach einem Standort in Einkaufszentren. Internationale Verticals hingegen können sich die hohen Mieten locker leisten, weil sie ja im Gegensatz zum klassischen Einzelhandel über zwei Spannen verfügen.”
Im Billiglohnland produziert
Wie das geht? Verticals lassen einen Großteil ihres Sortiments nach eigenem Design meist in Billiglohnländern produzieren. Sie lukrieren zusätzlich zur Einzelhandels- auch eine satte Großhandelsspanne bei ihren Eigenmarken. Neuankömmling Varner beispielsweise beschäftigt am Firmensitz in Oslo 40 Designer und lässt seine Kollektionen vorwiegend in der Türkei, in Indien, China und Bangladesch herstellen.Für SES-Chef Marcus Wild schließt Dressmann im heimischen Bekleidungshandel eine Versorgungslücke, die die ehemalige Palmers-Tochter Don Gil nach ihrem Abgang hinterlassen hat. Auch Pemsel sieht im neuen Format aus dem Norden keine Konkurrenz, sondern eine Bereicherung. Frau Pemsels Stammbetrieb, das vier-etagige Modehaus Kaufstrasse in Mistelbach ist der Prototyp des Provinz-Platzhirschen und damit jenes Formats, das bei professioneller Führung den heimischen Textilianern noch die besten Überlebenschancen gegen den Ansturm der internationalen Verticals bietet.Viel trauriger ist es um die traditionellen Wiener Textilkaufhäuser und Filialisten bestellt. Einst große Namen wie Fürnkranz oder Johann Strauß sind längst von der Bildfläche verschwunden. Palmers ist nur mehr ein Schatten von einst. Kleiderbauer, lange Jahre eine starke Nummer im Textilhandel, scheint in keiner Umsatzstatis-tik mehr auf, unsere Anfrage nach der aktuellen Standortstrategie der Firma blieb unbeantwortet. Und im Billigsegment traten KiK, NKD und Takko in die Fußstapfen eines dahinsiechenden Schöps.Der heimische Bekleidungsfachhandel leidet chronisch unter einer lustlos dahindümpelnden Nachfrage. Wenn das Geld knapp wird, kann man die alten Klamotten ein paar Saisonen länger tragen. Laut EHI Handelsdaten-Brevier 2014 stagniert der Textileinzelhandel in Österreich seit 2010 bei rd. 4,6 Mrd. €. Die Zahl der Geschäfte ist mit rund 6.100 konstant. Der Kuchen bleibt gleich, aber der Zahl der Vertriebssysteme, die sich um den Kuchen raufen, wird größer.
Verdrängungswettbewerb
Es sind nicht nur die in Scharen hereinströmenden Verticals, es sind auch Online-Händler wie Amazon oder Zalando, die Factory Outlets von Markenherstellern, die damit ihre Kunden aus dem Fachhandel brüskieren, es sind, im Superpremium Bereich, die Flagship-Stores, wie sie sich im Goldenen Quartier tummeln, und es sind, last but not least, Lebensmittel-Diskonter wie Hofer oder Lidl, die Woche für Woche Aktionsposten von Fern-ostimporten unters Volk bringen und damit dessen Kleiderschränke vollstopfen. Der Verdrängungswettbewerb tobt. Branchengrößen wie H&M stagnieren längst, Neuankömmlinge wie Hollister oder Forever21 kommen kaum aus den Startlöchern.Dessen ungeachtet wird die österreichische Shoppingcenter-Landschaft ausländischen Textilketten als Wachstums-Eldorado angepriesen. Es sind nicht nur die Zentren-Betreiber, die beim Endspurt ihrer noch genehmigten Ausbauprojekte um Magnetbetriebe kämpfen, sondern vor allem die Immobilien-Investoren und ihnen nahestehende Berater, die unentwegt über leichtgläubige Medien die Mär von den intakten Wachstumsaussichten in rot-weiß-roten Shopping Centers verkünden. „Wenn es um vielversprechende Fashion Retail-Konzepte geht, sind in den kommenden Jahren sicherlich Themen wie Übergrößen, Männermode und Kindertextilien angesagt. In diesen Bereichen wächst die Nachfrage überdurchschnittlich, und der bestehende Markt bietet noch kein umfassendes Angebot”, verkündet die Beratungsfirma BergsTopp, die den Markteintritt von Dressmann in Österreich begleitet, auf ihrer Homepage. Den Vogel schoss CBRE, „the global leader in real estate services”, in seinem Newsletter vom März 2014 ab, worin Österreich unter den weltweit attraktivsten Retail-Märkten an vierter (!) Stelle hinter Deutschland, Frankreich und Großbritannien, aber noch vor China, genannt wird. Angesichts solcher Prognosen müssen sich heimische Fashion Retailer trotz des fortschreitenden Klimawandels künftig noch wärmer anziehen.