Das richtige Leben findet nach Dienstschluss statt
© AFP/Olga Maltseva
CAREER NETWORK Redaktion 18.05.2018

Das richtige Leben findet nach Dienstschluss statt

Laut einer aktuellen Umfrage definieren sich Lehrlinge mehr über ihr Freizeitverhalten als über ihren Job.

Was Sie schon immer über Lehrlinge, deren Arbeits- und Lebenswelten, wissen wollten, verrät die aktuelle Lehrlingsstudie des Instituts für Jugendkulturforschung in Kooperation mit der tfactory Trendagentur. Eines der Kernergebnisse: Der durchschnittliche österreichische Lehrling steht mit beiden Beinen am Boden, er ist pragmatisch, legt Wert auf materielle Sicherheit, wünscht sich Anerkennung sowie stabile private, berufliche und gesellschaftliche Verhältnisse. Daraus resultiert ein starkes Bedürfnis nach einem kontinuierlichen und planbaren Leben. Im Berufsumfeld wünscht sich der Lehrling vor allem eines: Sicherheit; Selbstverwirklichung und Sinnfindung findet er hingegen in der Freizeit und im Konsum.

Das „Freizeit-Ego”

Für Lehrlinge ist die Freizeit­identität, was sie sind und wie sie gesehen werden wollen, wichtiger als ihre Berufsidentität. Auch Musik, Mode und Online-Kommunikation, um nur einige Freizeitfelder zu nennen, sind wichtiger für die Sinnfindung als der Beruf. Karriere ist für sie nur dann erstrebenswert, wenn dennoch ein erfülltes Freizeitleben möglich ist.

Bei der Frage nach den drei liebsten Freizeitbeschäftigungen wählen Österreichs Lehrlinge „Zeit mit Freunden und Freundinnen verbringen” – für 44% unter den drei liebsten Freizeitbeschäftigungen –, „Sportliche Aktivitäten” (35%) und „Musik hören” (27%).
Vor allem der zunehmende Verlust der Arbeitsplatzsicherheit und die zunehmende Sorge, das soziokulturelle Niveau der Herkunftsfamilie durch eine Lehre nicht mehr halten zu können, bewirken bei Österreichs Lehrlingen eine zunehmende Verschiebung der Arbeitsmotivation und verändert ihre Anforderungen an Ausbildung und Beruf.
Lehrlinge suchen bzw. wollen also keinen Beruf erlernen, der mit der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung lockt, sondern einen Beruf, der die von ihnen angestrebte Normalbiografie garantiert. Für den Großteil der Lehrlinge scheint eine Lehre diese Anforderungen zu erfüllen. So verbinden beinahe vier von fünf die Lehre eher mit guten als mit schlechten Zukunftschancen, und 70% bringen mit der Lehre eher ein langfristiges als ein kurzfristiges berufliches Ziel in Verbindung.

Geld und Sicherheit

Im Zusammenhang mit den Anforderungen von Lehrlingen an ihre berufliche Zukunft verwundert es auch wenig, dass ihnen auch bei der Wahl des Lehrberufs und des Ausbildungsbetriebs Aspekte besonders wichtig sind, die in der aktuellen Lebensphase und für die Zukunft Stabilität und Sicherheit versprechen. So ist es rund 90% der österreichischen Lehrlinge sehr bzw. eher wichtig, einen Lehrherrn bzw. Ausbildner zu haben, der ihnen viele Dinge beibringen kann, und 80% ist es sehr bzw. eher wichtig, die Möglichkeit zu haben, im Betrieb Dinge zu lernen, die über das hinausgehen, was sie für den Lehrabschluss brauchen.

Zudem erwarten sie sich von einem Ausbildungsbetrieb, nicht nur auf die Zukunft vorbereitet zu werden, sondern im besten Fall auch, dass man im Ausbildungsbetrieb selbst den Einstieg ins „richtige” Berufsleben machen kann. Das ist vier von fünf Lehrlingen sehr bzw. eher wichtig.
Und „last but not least” ist natürlich Geld immer ein wichtiger Stabilitäts- und Sicherheitsfaktor. So ist eine hohe Lehrlingsentschädigung für 83% der Lehrlinge sehr bzw. eher wichtig.

Zufrieden mit der Wahl

Großen Wert legen sie auf alle Fälle darauf, dass sie ihre Entscheidung, eine Lehre zu machen, weitgehend autonom getroffen haben. Mit dieser Entscheidung sind die Lehrlinge alles in allem recht zufrieden. Drei von vier Lehrlingen tendieren dazu, wieder eine Lehre zu machen, wenn sie noch einmal wählen müssten. Und auch ihren Ausbildungsbetrieben stellen die meisten österreichischen Lehrlinge ein gutes Zeugnis aus. Über 70% geben an, in einem Betrieb mit gutem Betriebsklima und guten Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Wenig verwundert es daher, dass sich zwei von drei österreichischen Lehrlingen tendenziell auch heute wieder für ihren aktuellen Ausbildungsbetrieb entscheiden würden.

Unzufriedenste in der Gastro

In Fragen der Lehrlingsausbildung dürfte vor allem die Industrie vieles richtig machen. In dieser Branche finden sich die zufriedensten Lehrlinge sowohl im Hinblick auf die aktuelle Ausbildungssituation als auch in Fragen, die den aktuellen Ausbildungsbetrieb betreffen.

Aufholbedarf hingegen haben im Vergleich vor allem Ausbildungsbetriebe aus der Gastronomie und Freizeitwirtschaft.
In dieser Branche finden sich überdurchschnittlich viele Lehrlinge, die mit der aktuellen Ausbildungssituation und ihren Ausbildungsbetrieben unzufrieden sind. Sie verbinden, im Vergleich zu Industrielehrlingen, aber auch im Vergleich zu Lehrlingen aus dem Bereich des Handwerks und Gewerbes bzw. Handels, überdurchschnittlich stark negative Eigenschaften mit der Lehre als Ausbildungsform und mit ihrer Arbeit im Betrieb. Unter ihnen findet sich so auch eine im Vergleich zu den anderen drei Branchen besonders große Gruppe, die überlegt, die Lehre in ihrem Lehrberuf abzubrechen (einer von fünf) oder die Lehre in einem anderen Betrieb fortzusetzen (einer von vier). (bb)

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