Gastkommentar ••• Von Isabelle Grasser
WIEN. Der Duden irrt. Er behauptet nämlich, das Wort „Unschuldsvermutung” werde seltener gebraucht als das Wort „Moral”. Womöglich hat er Österreich in den letzten Wochen nicht zugehört, denn Sie und ich wissen, wie es in diesem Land läuft.
In Österreich kann man als Politiker bekanntlich die Kronen Zeitung zum Verkauf anbieten und Beweismittel in Kinderwägen spazieren fahren. Man kann vermeintlich auch Umfragen mit Steuergeld polieren und die Medienberichterstattung zu den eigenen Gunsten manipulieren. Strafrechtlich relevant wird das in vielen Fällen nicht sein. Schlussendlich gibt es oft keine einschlägigen Konsequenzen.
Das Wort „Unschuldsvermutung” hängt wohl jedem Österreicher derzeit schon zum Hals heraus – außer natürlich denjenigen, die sich dahinter verstecken. Bei ihnen ist die „Unschuldsvermutung” zum Mantra geworden und fest im Wortschatz verankert.
Schamlose Schandtaten
Aber aufgepasst: Es gibt nicht nur strafrechtliche Vergehen, sondern auch moralische Schandtaten, zu denen antidemokratische Bemühungen zweifelsfrei gehören.
„Weitaus nicht so schlimm” oder „So funktioniert die Politik eben” mögen manche meinen, doch man kann nicht für das Volk arbeiten, wenn man gleichzeitig schamlos gegen das Volk arbeitet.
Lieber Duden, du irrst dich. Denn in einem Land, in dem man sich als Politiker für den Missbrauch des Volksvertrauens nicht einmal entschuldigen muss, ist „Moral” zweifelfrei zum Fremdwort geworden.