Wie’s im Inneren aussieht, geht niemanden etwas an
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CAREER NETWORK Paul Christian Jezek 08.07.2016

Wie’s im Inneren aussieht, geht niemanden etwas an

Nur jeder dritte Arbeitnehmer würde bei einem Krankenstand aufgrund von psychischen Problemen diese auch als Grund anführen.

••• Von Paul Christian Jezek

Termindruck, Überstunden und Dauerstress – für viele Menschen knallharter Alltag am Arbeitsplatz. In vielen Fällen macht die Arbeit krank, und der Körper sendet Alarmsignale: Schlaflosigkeit, Erschöpfung und genereller Produktivitätsverlust.

Mehr als 80% der im Rahmen einer repräsentativen Studie von Marketagent.com befragten Arbeitnehmer sind davon überzeugt, dass der psychische Zustand die Arbeitsleistung stark beeinflusst. Für die meisten ist das aber kein Grund, sich zu schonen und zu Hause zu bleiben. Denn nur ein Bruchteil geht auch in den Krankenstand, selbst wenn das Bedürfnis danach groß ist – oft aus Angst vor fehlender Akzeptanz der Kollegen. Und diese Vorsicht ist gar nicht unbegründet: Niedergeschlagenheit und Schlafstörungen rangieren auf den letzten Plätzen bei „salonfähigen” Krankenstandsgründen; Fieber und Knochenbrüche werden dagegen am meisten in der Belegschaft akzeptiert, sowohl bei Arbeitnehmern als auch Vorgesetzten.
Werden die körperlichen Beschwerden jedoch ignoriert, sind oft psychische Leiden wie Depression oder Burnout die Folge. Und diese Entwicklung von psychischen Leiden im Berufsalltag sehen die Befragten im vergangenen Jahrzehnt stark zunehmend. „Acht von zehn der befragten Erwerbstätigen meinen: Psychische Leiden im Berufsalltag haben in den letzten zehn Jahren zugenommen”, sagt Martin Pansy, CEO von Instahelp, einer Plattform für psychologische Online-Beratung in Echtzeit, die die Marketagent.com-Studie beauftragt hat. „Auch der Großteil der Arbeitgeber und Vorgesetzten sieht dies so. Und: Fast alle Befragten (95 Prozent) haben bereits Erfahrungen im Umgang mit Personen mit psychischen Problemen.”

Nicht „salonfähig”

Depression und Burnout werden in diesem Zusammenhang oft genannt und am ehesten als psychische Leiden betrachtet; private und berufliche Gründe sind dabei fast gleichermaßen Auslöser für psychische Probleme.

Hier erkennen 58% der Arbeitnehmer einen beruflichen Hintergrund als Auslöser, wohingegen nur 41% der Arbeitgeber dies so teilen. Trotzdem wird im Berufsalltag bzw. Kollegenkreis wenig darüber gesprochen: Fast die Hälfte der Arbeitnehmer sieht psychische Leiden als Tabuthema im Unternehmen (49%). Dabei fällt auf: In einer offenen Unternehmenskultur, wo psychologische Leiden auch durch Vorträge oder in Beratungsangeboten intern thematisiert werden, sehen nur mehr 35% der Arbeitnehmer psychische Leiden als Tabu-Thema.

Krankenstände: Büro statt Bett

Der Hals schmerzt, die Nase rinnt und man fühlt sich ausgelaugt und erschöpft: Dennoch ziehen es viele Arbeitnehmer vor, in die Arbeit zu gehen statt sich auszukurieren – aus Angst vor fehlender Akzeptanz der Kollegen und Chefs oder gar daraus resultierendem Jobverlust. Auch die vorliegende Studie bestätigt: Das Bedürfnis danach, in den Krankenstand zu gehen, ist höher als die ­tatsächliche Inanspruchnahme eines Krankenstands. Fast ein Fünftel der Erwerbstätigen (17%) möchte aufgrund eines körperlichen Leidens in Krankenstand zu gehen – jedoch nur 4% bleiben tatsächlich zu Hause.

Im Falle von psychischen Problemen sind dies noch weniger: 13% haben einmal im Monat das Bedürfnis, aufgrund eines psychischen Leidens zu Hause zu bleiben, jedoch nur ein Bruchteil von 3% tut es auch. Psychische Probleme sind demnach für viele Arbeitnehmer ein Tabu bzw. nach wie vor mit Scham besetzt.
Die Studie hat ergeben, dass Krankenstände aufgrund von Knochenbruch (79%) oder Fieber (74%) am ehesten auf Akzeptanz in der Belegschaft stoßen, gefolgt von Magen-Darm-Problemen (47%). Am wenigsten akzeptiert werden Niedergeschlagenheit (7%), gefolgt von Schlafstörungen (10%) und familiäre Probleme (13%).
Krankenstände aufgrund von Fieber (89%) oder Knochenbruch (83%) stoßen auch bei Vorgesetzten am ehesten auf Akzeptanz, gefolgt von Magen-Darm-Problemen (64%). Am wenigsten auf Akzeptanz stoßen Niedergeschlagenheit (6%), gefolgt von Schlafstörungen (10%) und familiären Problemen (10%).

Die Psyche ist das ganz große Tabu

Vier von fünf Arbeitnehmern gehen wie oben erwähnt davon aus, dass Krankenstände aufgrund psychischer Probleme oder Krankheiten zunehmen. Dabei sind psychische Leiden nach wie vor ein großes Tabuthema, überhaupt im Berufsalltag. Zu groß ist die Angst vor Stigmatisierung durch Kollegen oder Vorgesetzte. Lediglich jeder Dritte würde bei einem Krankenstand aufgrund von psychischen Problemen diese auch als Grund anführen (35%). Fast die Hälfte (42%) würden psychische Probleme vertuschen und ein körperliches Leiden für den Krankenstand angeben.

Diese Tatsache deckt sich mit der Einschätzung von Arbeitgeberseite; hier glauben 87% der Geschäftsführer, dass der Krankenstand offiziell körperlichen Ursprungs ist, und nur knapp 13%, dass der Krankenstand auf ein psychisches Leiden zurückzuführen ist. Inoffiziell würden Arbeitgeber aber annehmen, dass 31% der Krankenstände eigentlich psychischen Ursprungs sind. Dies würde bedeuten, dass jeder fünfte Krankenstand in Österreich als körperlicher verzeichnet wird, obwohl er einen psychischen Ursprung hat.
Und: Nur ein ganz geringer Anteil (17% mit Chefs, 14% mit Kollegen) würde mit dem Vorgesetzten bzw. im Kollegenkreis über eigene psychische Belastungen sprechen. Nur ein Fünftel (21% Chefs, 24% Kollegen) denkt, dass der Vorgesetzte Verständnis für psychische Belastungen hätte.

Zu wenig psychologische Beratung

Kantine, Essenszulage, gemeinsame Betriebsausflüge oder Betriebsarzt – Sozialleistungen in der Firma sind für die Mitarbeiter sehr wichtig. Solche Benefits stärken Teamzusammenhalt und Motivation und auch die Gesundheit der Belegschaft. Essenszulagen, Betriebsausflüge und Coaching sind die am meisten gebotenen Leistungen in heimischen Unternehmen.

Das Angebot an psychologischer Beratung, egal ob schriftlich oder persönlich, sowie Seminare zu psychischer Gesundheit rangieren auf den letzten Plätzen im innerbetrieblichen Angebot. Die Nachfrage ist jedoch vorhanden: Auf die Frage, welche innerbetrieblichen Sozialleistungen man in Anspruch nehmen würde, sagen fast doppelt so viele Arbeitnehmer als Vorgesetzte, dass sie Vorträge über psychische Gesundheit (32%) ebenso wie psychologische Beratung (26%) annehmen würden; insbesondere Frauen sind an solchen Angeboten interessiert (38% an Vorträgen, 30% an psychologischer Beratung.)
Der Joballtag als Belastung führt nicht „nur” zur körperlichen Erschöpfung, sondern auch zur seelischen Ausgebranntheit. 80% sind der Meinung, dass der psychische Zustand die Produktivität und Arbeitsleistung in der Arbeit stark beeinflusst. 45% und damit fast die Hälfte der befragten Erwerbstätigen waren bereits in einer Situation, in der sie gern eine psychologische Beratung/Therapie in Anspruch genommen hätten.
Im Detail: Ein Viertel (23%) der Befragten hat bereits psychologische Beratung in Anspruch genommen, 23% hatten das Bedürfnis dazu, haben es aber nicht gemacht. Die Gründe für das Nicht-Inanspruchnehmen von psychologischer Beratung sind vielfältig: Für über ein Viertel der Arbeitnehmer (26%) wäre es zu unangenehm gewesen, und ein Viertel (25%) wollte nicht, dass es jemand mitbekommt. Der Kostenfaktor spielt ebenso bei einem Viertel (25%) eine Rolle.
Fast die Hälfte der Befragten (42%) sieht es in der Verantwortung der Unternehmen, Bewusstsein für psychische Probleme zu schaffen. Mehr als doppelt so viele Erwerbstätige (35%) als Geschäftsführer (16%) sind der Meinung, dass der Arbeitgeber ein entsprechendes Beratungsangebot für Mitarbeiter mit psychischen Problemen bieten soll. Dieser hat jedoch wenig Erfahrung im Umgang mit psychologischer Beratung: zu wenig Know-How im Angebot von psychologischer Beratung wird bei über einem Drittel der Geschäftsführer angeführt, vor allem größere Unternehmen brauchen Hilfestellung (ab 50 Mitarbeiter 47%), kleinere Unternehmen (unter 50 Mitarbeiter 27%).
„Die Studie hat deutlich gezeigt, dass sich mehr Menschen in Unternehmen Zugang zu professioneller Unterstützung bei psychologischen Themen wünschen, als es tatsächlich angeboten wird”, fasst Martin Pansy zusammen. Leider ist das Thema nach wie vor für viele Menschen ein Tabu, weshalb viele Probleme erst zu spät erkannt werden. Da sich psychische Probleme eines Mitarbeiters aber darüber hinaus sowohl auf das Arbeitsumfeld und auch auf dessen Produktivität auswirken, sollte es im Interesse von Arbeitgebern liegen, auch seelische Belastungen mit betrieblichen Gesundheitsangeboten abzudecken.

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