••• Von Alexander Haide
Die Hände sind schweißnass, Schnappatmung und ein Gefühl des Ausgeliefertseins macht sich breit. Flugangst betrifft bis zu 1,7 Mio. Österreicher. Harry Gruber war bis vor zwei Jahren aktiver Pilot von Privatjets, im „Nebenjob” betreibt er seit 25 Jahren ein Coaching-Institut und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Flugangst. Ein von ihm gegründeter gemeinnütziger Verein verspricht nun Hilfestellungen, um in maximal 30 Tagen mittels Lehrfilm, App und Webinaren die Panik in der Luft unter anderem mit Atemübungen zu besiegen. Die Mitgliedschaft im Verein „KSLL – Kuratorium für Sicherheit zu Lande und in der Luft” kostet – je nach Paket – jährlich zwischen 69 (Film und App) und 269 € (mit persönlichem Coaching). Sie erlischt automatisch nach einem Jahr.
medianet: Sie saßen selbst lange Jahre im Cockpit. Hatten Sie jemals Angst?
Harry Gruber: Der Beruf ist meine große Leidenschaft und ich hatte nie Angst. Aber es gab stressige Situationen, doch für diese sind wir ja ausgebildet.
medianet: Fliegen ist die sicherste Reisemethode. Weshalb gibt es Flugangst, aber keine Bus- oder Bahn-Angst?
Gruber: Jede Mobilität auf der Erde ist für unseren Verstand normal. Dass es im Straßenverkehr jedes Jahr tausende Tote gibt, wird dabei ausgeblendet. Beim Fliegen fühlen sich Menschen jedoch ausgeliefert und viele meinen, wenn in 12.000 Metern Höhe etwas passiert, dann sind sie tot. Während der Verstand sagt, dass etwa bei einem Unfall mit einem Bus nicht viel passieren kann.
medianet: Woher kommt diese eigentlich unbegründete Angst?
Gruber: Aus dem Unterbewusstsein, da stecken Muster dahinter. Da hilft es auch nicht, wenn man tausend Mal mit Statistiken unterstreicht, dass sie unbegründet ist. Deshalb wirken jene Methoden, die ich entwickelt habe, rein im Unterbewusstsein. Alles andere hätte keinen Sinn.
medianet: Korreliert Flugangst mit Höhenangst?
Gruber: Es ist eine Mischung aus Höhenangst, Angst vor der Enge und dem Ausgeliefertsein.
medianet: Gibt es Personengruppen, die besonders von Flugangst betroffen sind?
Gruber: Nein, aber ich habe festgestellt, dass Menschen, die privat oder beruflich unter hohem Druck oder Stress stehen, anfälliger dafür sind.
medianet: Welche Rolle spielt die Unwissenheit über die Funktionsweise eines Flugzeugs?
Gruber: Bei jenen, die bereits mit einem mulmigen Gefühl ins Flugzeug steigen, wird die Angst dadurch verstärkt. Wenn es dann Geräusche gibt, die vom Gehirn nicht eindeutig zugeordnet werden können, wird aus der Maus ein Elefant und Menschen steigern sich in die Angst hinein.
Deshalb habe ich diesen Bereich ausführlich in meinem Lehrfilm behandelt. Bei vielen reicht die technische Erklärung bereits aus, um Flugangst zu besiegen.
medianet: Haben Handyvideos und deren rasante Verbreitung via Social Media zur größeren Verbreitung von Flugangst geführt?
Gruber: Das hat sich in den vergangenen Jahren potenziert, denn wenn eine kleine Maschine im Dschungel abstürzt, wird das sofort millionenfach geteilt. Für jene, die sich beim Fliegen bereits sowieso unwohl fühlen und dann ständig am Handy Absturzvideos serviert bekommen, hat sich die Situation extrem verschlimmert. Das vermittelt den Eindruck, dass ständig irgendwo ein Flieger abstürzt. Im vergangenen Jahr sind mehr als 5,5 Milliarden Menschen geflogen und es gab rund 250 Tote bei Abstürzen. Doch diese Statistik wirkt nicht gegen Flugangst.
medianet: Wie sehr verstärken Meldungen über mangelnde Flugsicherheit, das Fehlen von Controllern, die Sicherheitsmängel bei Boeing oder Beinahe-Kollisionen die Situation?
Gruber: Das sind zusätzliche Puzzleteile, die den Verstand bestärken, und der Angstpatient wird noch ängstlicher.
medianet: Wie können Sie Flugangstpatienten helfen?
Gruber: Meine Methode dauert längstens 30 Tage. Es handelt sich dabei um einfachste Techniken, bei denen man lernt, in verschiedensten Stufen den Stresspegel zu senken. Eine Variante sind Atem- und Unterbrechertechniken. Das sind Übungen, bei denen man sich derart konzentrieren muss, damit negative Gedanken vom Abstürzen gar keine Chance haben. In jener Zeit, in der die Übungen gemacht werden, unterbrechen sie die Angstgedanken.
Die Übungen, die zum Teil aus dem Bereich der Hypnose stammen, helfen im Flugzeug aber nur dann, wenn davor ein Trockentraining absolviert wurde. Das dauert nur wenige Minuten täglich über einen Zeitraum von bis zu 30 Tagen. Danach ist diese Methode im Unterbewusstsein abgespeichert. Das war der Grund, weshalb ich die App entwickelt habe, damit Menschen auch daheim Unterstützung erhalten. Es gibt auch ein Notfallprogramm, das nur 14 Tage dauert.
medianet: Was war die Motivation, sich diese Arbeit nach Ihrer aktiven Zeit als Pilot anzutun?
Gruber: Ich wollte Menschen helfen, die an Flugangst leiden, mit der ich 30 Jahre lang durch Passagiere konfrontiert war.
Um den Lehrfilm zu drehen, habe ich ein halbes Jahr das Filmemachen gelernt, ein Jahr lang am Drehbuch geschrieben und Equipment angeschafft. Die Idee zum Verein entstand deshalb, damit sich Menschen mit Fragen direkt an mich wenden können. Für Mitglieder halte ich regelmäßige Online-Meetings ab. Ich verkaufe also nicht bloß einen Film oder eine App, sondern es ist eine echte Gemeinschaft entstanden.
Das Geld, das durch Mitgliedsbeiträge hereinkommt, investiere ich in neue Projekte, die sich mit anderen Ängsten beschäftigen werden. Ich brauche diese Einkünfte nicht für mein Leben, denn ich habe durch meine beiden Firmen ein gutes Auskommen. Es ist wirklich eine Herzensangelegenheit, von Flugangst Betroffenen zu helfen.
medianet: Wo ist der beste Sitzplatz im Flieger, wenn ich unter Flugangst leide?
Gruber: Der beste Platz ist in der Mitte des Flugzeugs bei den Tragflächen. Das hat einen einfachen, technischen Grund. Wenn es zu Turbulenzen kommt, merkt man sie in diesem Bereich der Maschine am wenigsten. Sollte es möglich sein, ist ein Sitzplatz am Gang ideal, denn dort sieht man etwaige Bewegungen von Tragflächen oder Triebwerken nicht. Und es sind gerade Turbulenzen, die bei Flugangstpatienten Panik auslösen können.
