Die guten Seelen im Ort
© Franz Wiesinger (3)
DOSSIERS Redaktion 20.05.2022

Die guten Seelen im Ort

Über die Notwendigkeit der Nahversorgung und die Herausforderungen der Branche ­diskutierte im Rahmen eines Experten-Round ­Tables medianet-Heraus­geber Oliver Jonke mit Sachkundigen.

Die jüngste Vergangenheit hat uns allen neben der Erkenntnis, dass Homeschooling und Homeoffice mit einem Computer alleine nicht gut funktioniert, vor allem eines gelehrt: Selbstverständliches wird erst dann bitter vermisst, wenn es nicht mehr da ist – und auch nicht so leicht wiederzubekommen ist.

Zu diesen Selbstverständlichkeiten gehört zweifellos die Infrastruktur, in jedwedem Bereich. Seien es Kindergärten, Schulen, Arztpraxen, Krankenhäuser oder auch für den einzelnen vielleicht banale Dinge, wie die Müllabfuhr oder die Kanalisation – die Kommunen sind und bleiben, unabhängig von ihrer Größe, ganz schön gefordert und selten gefördert; Österreichs Bürgermeister können davon ein – meist – trauriges Lied singen.

Die Kraft der Kommunen

Ein weiterer Infrastrukturbereich, der Bürgermeistern oft Schweißperlen auf die Stirn treibt, ist die Nahversorgung. Auch so eine Selbstverständlichkeit, die erst dann unangenehm auffällt, wenn sie fehlt.

In der Waldviertler Gemeinde Arbesbach ist man sich des quasi Luxus, seit 60 Jahren einen Nahversorger im Ort zu haben, durchaus bewusst. Als Gemeinde sei man stets an einer gewissen Vorbildwirkung interessiert: Wo kauft die Gemeinde selber ein? Etwa für den Kindergarten, die Schule, die Feuerwehr oder Speisen und Getränke für eigene Veranstaltungen. Und sei es „nur” für eine Gemeinderatssitzung. Dies solle auch gar nicht groß diskutiert werden, es gebiete der Anstand und gebe dem Kaufmann im Ort eine gewisse Sicherheit.
Damit sei man sich auch bewusst, seinen Nahversorger als Gemeinde wo es geht zu unterstützen, ihn damit am Standort (be)halten zu können. Die vergangenen Jahre hätten sehr deutlich gemacht, wie wichtig ein Nahversorger ist, besonders für all jene, die nicht ganz so mobil sind. Man erinnere sich nur an den ersten coronabedingten Lockdown. Gemeinden mit einem Nahversorger waren da klar im Vorteil.
Auch im oberösterreichischen St. Agatha will man „seinen” Kaufmann nicht missen, hier übernimmt die Gemeinde beispielsweise die Reinigung oder die Schneeräumung vor dem Geschäft und am Parkplatz. Kleinigkeiten? Mag sein. Erleichtern sie dem Kaufmann seine Arbeit? Auf jeden Fall.

Herausforderungen

Ähnlich wie bei den Bürgermeistern wird auch von den Nahversorgern immer wieder etwas Neues abverlangt, Stichwort Maskenpflicht im Lebensmittelhandel oder, mit jedem Tag aktueller werdend, die neue Pfandregelung, die am 1. Jänner 2025 in Kraft treten wird. Besonders für die kleineren Betriebe eine Belastung. Und zwar nicht nur finanzieller Natur – ein kleinerer Leergutflaschenautomat schlägt ab happigen 30.000 € zu Buche –, sondern auch eine platzmäßige. Denn es ist ja nicht nur der Automat, dahinter geht es mit verschiedenen Förderbändern weiter, und da fragen sich gerade einige Kaufleute: Wohin mit dem Riesending?

Was die finanzielle Belastung angeht, so ist jedenfalls die Wirtschaftskammer dahinter, die kleineren und mittleren Lebensmittelhändler dahingehend zu unterstützen, dass sie ihre baulichen Maßnahmen und Automaten zu 100% gefördert bekommen. Hier sei aber eine gewisse Eile geboten, denn wenn der Fördertopf einmal leer ist, so wird er – zumindest nach momentaner Lesart – nicht wieder aufgefüllt.
Zumindest ist der Kelch der Transparenzverordnung an den Kleineren und Mittleren vorübergegangen. Bei ihnen ist jeder Produzent willkommen, Listungsgebühren gibt es keine.

Macht der Konsumenten

Zurück zum Bewusstsein: So wie sich Bürgermeister und Kaufleute ihrer jeweiligen Bedeutung bewusst sind, so habe der Konsument seine Bedeutung noch nicht wahrgenommen.

Konsumenten haben es in Hand, ob „ihr” Nahversorger „überleben” kann. Wer seinen wöchentlichen Großeinkauf beim Diskonter macht und nur „akut” Benötigtes beim lokalen Nahversorger einkauft, der brauche sich nicht wundern, wenn der plötzlich weg ist, sind sich die Diskutanten einig.
Es würde, besonders der jüngeren Generationen, ein wenig Weitblick gut tun. Denn jeder, der jetzt mobil ist, ist es vielleicht in (näherer) Zukunft nicht mehr – so wie viele ältere Mitmenschen. Mit seinem Einkaufsverhalten heute hat er sich seinen morgen notwendigen Nahversorger selber weg­rationalisiert.
Auch das gern genutzte Argument „Mein Einkauf ist mir dort zu teuer” könne man nicht gelten lassen. Die nahezu permament durchgeführten Preisvergleiche ließen diesen Schluss nicht zu. Vielmehr schaue der „kleine Nahversorger” ja genauso auf den Preis und darauf, dass er seiner Kundschaft günstige Angebote machen könne.

Junges Bewusstsein …

Besonders bei den jüngeren Mitgliedern der Gesellschaft mache sich eine gewisse Diskrepanz auf: Sie reden von Klimazielen, Earth-Day, Umweltschutz und haben oft nicht nur kein Problem damit, dass Erzeugnisse Hunderte Kilometer landauf und landab transportiert werden; es fehle auch oft das Bewusstsein und das Verständnis dafür, dass z.B. ein im Waldviertel mit lokalen Rohstoffen produziertes Bier von der Brauerei nicht quer durchs Land transportiert wird. Auch solle etwa die Frage erlaubt sein: Brauchen wir wirklich importierten Spargel?

… und seine Genese

Hier sei Bewusstseinsbildung angesagt, gerne beginnend bei den Kleinsten im Kindergarten. Bewusstsein für lokale, saisonale sowie biologische Produkte. Und damit einhergehend: Bewusstsein dafür, dass wir alle Nahversorgung brauchen, dass wir alle gemeinsam mit unser aller Kaufverhalten für ihr Bestehen verantwortlich sind. Lokale Produkte aus lokalen Rohstoffen bei einem lokalen Nahversorger zu bekommen, sei schließlich nicht nur klimatechnisch etwas Großartiges und zugleich Bemerkenswertes.

Ein Nahversorger ist viel mehr, als „nur” ein Geschäft für die Dinge des täglichen Bedarfs – die handelnden Personen dahinter sind allzu oft das Rückgrat einer gut funktionierenden Gemeinde. Wenn man so will: Die guten Seelen. Und wer will schon seine guten Seelen missen?

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