••• Von Reinhard Krémer
CARACAS/WIEN. Wer in den letzten Jahren auf einen steigenden Ölpreis setzte, wurde herb enttäuscht: Der Preis der am Markt begehrten, weil qualitativ hochwertigen Klasse Brent aus der Nordsee verfiel von 113 US-Dollar im Juni 2014 bis auf knapp unter 28 US-Dollar pro Fass zu 156 Liter Ende Jänner 2016.
Das machte nicht nur Russland schwer zu schaffen; viel schlimmer traf es Venezuela, das kurz vor dem Staatsbankrott stehen dürfte. Doch trotz diverser Aufschreie von Produzenten aus alle Ecken der Welt zog der Preis weiter südwärts – vor allem auch darum, weil einer der wichtigsten Anbieter, Saudi-Arabien, erklärt hatte, dass ihm der Preisverfall egal sei – auch wenn Öl bis 20 US-Dollar pro Fass fallen sollte. Experten vermuten, dass die Saudis so die US-Schieferölproduktion nachhaltig treffen wollen, die sich zu den aktuellen Preisen nicht rechnet.
Preisverfall killt Staaten
Als in den letzten Wochen immer klarer wurde, dass nach einer Einigung mit dem Iran im Atomstreit dieser wieder Zugang zum Ölmarkt bekommen würde, bekam der Preis einen weiteren Tritt in den Keller.
Die Situation ist vor allem für Venezuela so kritisch geworden, dass Ölminister Eulogio del Pino nach Moskau und anschließend in den Nahen Osten reisen will, um zwischen Russland und der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) zu vermitteln. Ziel wäre eine Absprache, die Ölförderung konzertiert zu drosseln und so den Preis wieder in die Höhe zu treiben. Der Preisverfall hat aber auch einige wichtige strukturelle Auswirkungen, meint der volkswirtschaftliche Berater der Hello bank!, Martin Hüfner. Er sieht diverse politische Ereignisse wie den Zusammenbruch der Sowjetunion, Friedensabkommen zwischen Israel und der PLO oder den Einmarsch Iraks in Kuwait als eine der Ursachen, dass die Ölförderländer unter erheblichen finanziellen Druck geraten waren und dies ihre Politik beeinflusste. Wenn der Ölpreis jetzt so niedrig bleiben sollte, muss man mit ähnlichen Reaktionen rechnen, meint Hüfner: „Die Länderrisiken steigen. Einzelne Staaten können in Schwierigkeiten kommen, wie das jetzt in Venezuela, Nigeria oder Aserbaidschan erkennbar ist.”
Was Anleger tun sollten
Für Anleger hat Hüfner einige Tipps parat: „Erstens: Wenn es zu einer neuen Finanzkrise kommen sollte, gibt es nur ein Rezept: Verkaufen beziehungsweise die Positionen entsprechend absichern und warten, bis das Gewitter vorbei ist. Zweitens wird es aber auch Veränderungen geben, gegen die man sich nicht einfach durch eine Umschichtung des Portfolios schützen kann”.
Dazu sind sie zu umfassend, meint Martin Hüfner. „Man muss die Entwicklungen abwarten und sich ad hoc entsprechend positionieren. Drittens muss nicht alles, was kommt, eine Krise oder überhaupt schlecht sein”. Es kann und wird bei solchen Veränderungen immer auch Chancen geben, ist der volkswirtschaftliche Berater der Hello bank! überzeugt. „Viertens zeigt die Grafik, dass die Zyklen häufig lang dauern. Gehen Sie also nicht davon aus, dass der Ölpreis schon in diesem Jahr wieder ein tragfähiges Niveau erreicht.” Schließlich fünftens: „Auch am Ölmarkt gibt es ein ‚Mean-Reversal'. Der Ölpreis geht nicht nur nach unten, sondern wird auf lange Sicht auch wieder steigen. Dann könnten Rohstoffwerte als Investment interessant werden.”