••• Von Oliver Jonke und Reinhard Krémer
Petia Niederländer ist die Direktorin der Hauptabteilung Zahlungsverkehr, Risikoüberwachung und Finanzbildung in der Oesterreichischen Nationalbank.
medianet: Was ist der digitale Euro überhaupt und wie funktioniert er?
Petia Niederländer: Der digitale Euro ist die Ergänzung von Bargeld für den digitalen Raum. Wir kennen das aus dem ganz normalen Einkauf, dass, wenn Konsumenten und Konsumentinnen vor Ort in Geschäften einkaufen, ist Bargeld das gesetzliche Zahlungsmittel.
Das heißt, fast überall kann man mit Bargeld bezahlen, ohne sich zusätzliche Tools oder Applikationen zulegen zu müssen. Im digitalen Raum ist das nicht so, im digitalen Raum haben wir noch kein gesetzliches Zahlungsmittel. Da gibt es sehr viele unterschiedliche private Lösungen, die den Konsumenten zur Verfügung stehen. Die sind aber für die Händler nicht verpflichtend. Das heißt, jeder Händler sucht sich aus, welche Zahlungslösung er verwenden kann.
Der digitale Euro soll zum einen sicherstellen, dass die Konsumenten überall in ganz Europa oder besser gesagt im ganzen Euroraum uneingeschränkt und kostenlos bezahlen können. Und zweitens, dass wir als europäischer Finanzplatz eine gemeinsame resiliente Zahlungslösung haben, die auf alle Fälle unter europäischer Governance steht und die sozusagen als Sicherheitsmechanismus dienen kann.
medianet: Welche Technologie steckt da dahinter?
Niederländer: Der digitale Euro wird eine sehr sichere, integrierte, sogenannte scriptete Lösung. Das heißt, es ist ein digitales Token und bringt den Wert mit sich selbst. Man muss keine zusätzliche Prüfungen machen.
Der digitale Euro wird schon allein durch den Besitz dieses Tokens wertvoll sein. Das ist die neueste Technologie, die es am Markt gibt, sie ist aber keine Blockchain-Lösung. Wir Zentralbanken genießen ein sehr hohes Vertrauen im Euroraum. Zuletzt zeigte das auch ein Eurobarometer. Die Bevölkerung vertraut dem Euro. Und daher brauchen wir keine zusätzlichen Teilnehmer, die garantieren oder überprüfen, dass der Werterhalt dieses Tokens genau so ist, wie es Zentralbanken garantieren – durch die Herausgabe genauso wie bei den Banknoten hat der digitale Euro einen Wert: Ein Euro ist ein Euro – und das ist gleichzusetzen mit einem physischen Euro.
medianet: Wie unterscheidet sich der digitale Euro von StableCoins oder von KryptoAssets?
Niederländer: KryptoAssets oder StableCoins sind private Instrumente. Im Fall von KryptoAssets handelt es sich gar nicht um ein Zahlungsmittel oder eine Währung, sondern um ein Spekulationsveranlagungsobjekt.
StableCoins sind nichts anderes als eine Finanzkonstruktion, die mit Deposits oder Wertpapieren gleichgesetzt werden müssten. Sie sind kein echtes Geld und sie sind nicht so stabil, wie sie sich anhören.
Oft werden StableCoins verwendet, um bestehende technologische Einschränkungen am Markt abzubauen, wie zum Beispiel die Geschwindigkeit für ein Wertpapier-Settlement oder die Überweisung in Fremdwährung. Da verwendet man das als ein Zwischenmittel, um diese Überweisungen oder das Settlement abzubilden.
Der digitale Euro gilt im Euroraum und braucht keine weitere Sicherheit wie Wertpapierbestände im Hintergrund oder Ähnliches, denn er ist eine direkte Verbindlichkeit oder Verpflichtung der Nationalbank, der EZB und der Euro-Nationalbanken gegenüber dem Bürger.
Ich kann einen digitalen Euro immer in einen physischen Euro eintauschen oder eben in Geschäften bezahlen oder auch in einer Bank deponieren – das ist der Unterschied zu StableCoins. Diese stellen ja nur fest, dass der Besitzer einen Vertrag mit dem Herausgeber hat und dass sie dort angenommen werden.
Das ist ähnlich wie bei den Loyality-Punkten oder sonstigen Treueprogrammen, die auch manchmal übergreifend in unterschiedlichen Unternehmen angenommen werden – aber eben nicht überall uneingeschränkt.
medianet: Worauf sollen wir uns vorbereiten?
Niederländer: Für die Zentralbanken war die Ausgangsbasis das veränderte Verhalten der Konsumenten. Man muss sich vorstellen: Bis zum Jahr 2019 waren 80 Prozent aller Zahlungen in Europa mit Bargeld, auch wenn man alle Finnen, Holländer und alle anderen dazuzählt, die sehr gerne digital bezahlen. Trotzdem wurde europaweit vorwiegend mit Bargeld bezahlt.
Ja, natürlich gab es 20 Prozent, die elektronisch getätigt wurden mit unterschiedlichen Karten oder digitalen Zahlungsmitteln usw., aber das war eben nicht der überwiegende Teil.
Seit der Pandemie haben wir eine sehr rapide Veränderung des Konsumverhaltens festgestellt. Die Bargeldnutzung ging im ganzen Euroraum zurück. Und so ist das Verhältnis heute 50 zu 50.
medianet: In Österreich hat sich nicht viel verändert …?
Niederländer: In Österreich lagen die Bargeldtransaktionen 2019 sogar bei 87 Prozent. Also ja, wir sind ein sehr bargeldaffines Land und das ist gut so, aber auch in Österreich läuft jetzt ein Gutteil der Zahlungen elektronisch.
Und wenn man sich die Entwicklung ansieht, dann wird es sich weiter so fortsetzen – nicht, weil wir das in irgendeiner Art und Weise vorantreiben wollen, sondern weil es aus dem Konsumverhalten rührt. Und da haben wir als Zentralbanken die Verantwortung, den sicheren Zahlungsverkehr für die Bevölkerung sicherzustellen.
Was bedeutet das? Wir müssen sicherstellen, dass jeder Bürger und jede Bürgerin immer Zugang zum elektronischen Zahlungsmittel hat, auch vulnerable Gruppen, auch Leute, die vielleicht eingeschränkt sind oder kein Bankkonto haben – das sind in Europa und Österreich ungefähr zwei Prozent.
Und wir müssen auch sicherstellen, dass der digitale Euro sicher und verfügbar ist – auch im Falle von geopolitischen Verwerfungen.
medianet: Welche Motivation hatten die Zentralbanken noch?
Niederländer: Das war die Unabhängigkeit von anderen Anbietern wie zum Beispiel jene aus den USA oder China. So hat Alipay die Europameisterschaftgesponsert – jeder, der im Stadion beim Fußball bezahlt hat, hat auch mit Alipay plus bezahlt.
Wichtig ist übrigens auch die ständige Verfügbarkeit: Ich muss auch in der Lage sein, offline bezahlen zu können. Wenn alle Stricke reißen, kann man mit einem digitalen Euro immer bezahlen. Und dieser digitale Euro wird auch überall angenommen, genauso wie beim Bargeld im physischen Fall.
medianet: Das heißt, auch bei einem großen Internetausfall könnte man weiter Transaktionen machen?
Niederländer: Korrekt. Auch bei einem Hackerangriff. Wir haben gesehen, dass Resilienz in aller Munde ist. Im April 2024 ist PayPal für ein paar Stunden ausgefallen. Das hat Millionen von Nutzern dazu gebracht, dass sie sich mit dem PayPal-Account nicht mehr sich sicher gefühlt haben.
Und der digitale Euro soll auch wesentlich billiger sein. Das ist ein wichtiger Vorteil.