••• Von Andre Exner
WIEN. Wann kommt die Zinswende in Europa? 2018, ließ Ewald Nowotny, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank und Ratsmitglied der EZB, zuletzt durchblicken. Auch Analysten sind seiner Meinung. „Die konjunkturellen Indikatoren ziehen an, und die Inflationssorgen sind im Euroraum geringer als noch im letzten Jahr”, sagt Clemens Hansmann, Stratege der Bank Gutmann. „Das Gesamtbild zeigt, dass es für die EZB langsam an der Zeit ist, Schritt für Schritt die Zinsen zu erhöhen und diese Schritte klar zu kommunizieren.”
EZB dreht an der Zinsschraube
Rainer Singer, Anleihenexperte der Ersten Bank, erwartet ebenfalls, dass die EZB bald ihre Anleihenkäufe – zuletzt erreichten diese das Rekordniveau von 1,5 Billionen € – einstellt und danach an der Zinsschraube dreht: „Mit den guten Konjunkturdaten aus der Eurozone schreitet dieser Prozess voran”, sagt Singer, der ebenfalls 2018 als das Anfangsjahr der bevorstehenden Zinswende sieht.
Am Sparbuch und am Aktienmarkt wird man einen Anstieg des Leitzinsniveaus von null auf 0,25% noch wenig bemerken: „Für Anleger und Sparer ist kein schnelles Ende der Tiefzinsphase zu erwarten”, sagt Michael Penninger vom Asset Management der Schoellerbank. Auch bei Anleihen dürften die Renditen kaum steigen.
Anders ist das Bild bei Finanzierungen: Die Möglichkeit, sich über den Anleihenmarkt zu finanzieren, haben nur Staaten oder Großkonzerne, die ihre diversen Anleihen derzeit zu Traumkonditionen begeben. Wenn aber Privatpersonen oder KMU einen Kredit beantragen, spüren sie jeden noch so kleinen Anstieg des Leitzinsniveaus sofort in Form von höheren Finanzierungskosten.
Firmenkredite kaum gefragt
Eigentlich sollte man Unternehmen deswegen dazu raten, noch jetzt eine günstige Finanzierung abzuschließen. Allerdings sind die Chancen dafür, einen Kredit zu bekommen, für KMU derzeit nicht besonders gut. Den Beweis dafür, dass Anleger und Kreditnehmer aus dem KMU-Sektor quasi die Zeche die tiefen Zinsen der vergangenen Jahre zu zahlen hatten, liefern just die Statistiken der Oesterreichischen Nationalbank: Die Neukreditvergabe an private Haushalte ist seit 2009 von 16 auf zuletzt 23 Mrd. € jährlich gestiegen, während die an Unternehmen (die Banken selbst sind in dieser Statistik nicht berücksichtigt) im selben Zeitraum von 85 auf 55 Mrd. € geschrumpft ist. Und zwar nicht, weil der Mittelstand weniger Kredite aufnehmen will, sondern weil er weniger Kredite bekommt.
Während die Konjunktur in ebendiesem Zeitraum mal schwächer und mal besser war, sind die Börsen von einem Hoch zum nächsten geeilt. Verkehrte Welt: Als Unternehmer sollte man offenbar weniger wirtschaften und das Geld statt ins Kerngeschäft lieber in Aktien stecken. Und das bleibt auch nach einer Zinserhöhung durch die EZB so: „Die Wirtschaft ist intakt, eine besondere Beschleunigung in Europa erwarten wir aber nicht”, resümiert Gutmann-Experte Hansmann.